Die
Blütezeit und Beginn der Krisenjahre

Das Eichstätter Priesterseminar zwischen dem Kulturkampf und dem Beginn des "Dritten Reiches"

07.05.2014 | Stand 02.12.2020, 22:44 Uhr

Im Ersten Weltkrieg gerieten Alumnen des Priesterseminars in französische Kriegsgefangenschaft (großes Bild). Sie wurden auf dem Foto als „sales boches“ bezeichnet – als „dreckige Deutsche“. 1929 wurde ein neuer Gebäudetrakt errichtet, der sogenannte Haindlbau (unten links). Heute ist dort das Collegium Orientale untergebracht. Links oben steht Regens Karl Kiefer (1899–1923) in seinem Arbeitszimmer. Das Foto stammt wohl aus der Zeit vor 1905. - Fotos: UB Eichstättt (Graphische Sammlung/Nachlass Kürzinger)

Die in Preußen schon länger bestehenden Spannungen zwischen dem Staat und der katholischen Kirche eskalierten 1871 zum offenen Konflikt, der sich durch verschiedene von Reichskanzler Bismarck initiierte Gesetze in den Jahren bis 1876 stufenweise verschärfte. Im Zuge der staatlichen Zwangsmaßnahmen kam es unter anderem zur Schließung von Priesterseminaren.

Als im Herbst 1876 die ersten acht Kölner Alumnen nach Eichstätt kamen, wussten einige von ihnen zunächst gar nicht, wo die kleine Bischofsstadt überhaupt lag. Das sollte sich bald ändern. Das Eichstätter Lyzeum wurde nun zum Zufluchtsort für Theologiestudenten aus ganz Deutschland, hauptsächlich aber aus den unter preußischer Oberhoheit liegenden west- und norddeutschen Diözesen. Von noch relativ überschaubaren 88 Immatrikulationen im Studienjahr 1874/75 stiegen die Frequenzzahlen in den Folgejahren rasch an und erreichten im Studienjahr 1885/86 mit 289 Einschreibungen ihren Höchststand.

Als 1886 die bis dahin geschlossenen Priesterseminare wieder geöffnet wurden und ein Jahr später Papst Leo XIII. das Ende des Kulturkampfes verkündete, entspannte sich die Situation langsam wieder, wenngleich noch bis weit in die 1890er Jahre hinein erhöhte Immatrikulationszahlen zu verzeichnen sind. Zwischen 1873 und 1900 besuchten insgesamt über 700 Priesteramtskandidaten aus anderen deutschen Diözesen das Eichstätter Lyzeum. Dazu kamen noch einmal etwa 300 Theologiestudenten aus der Schweiz, wo bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts kulturkampfähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden hatten.

Wie Reisach war seinen Nachfolgern Georg von Oettl (1846–1866) und Franz Leopold von Leonrod (1867–1905) das Wohl und Gedeihen des Seminars eine Herzensangelegenheit. Unter dem fast vier Jahrzehnte währenden Episkopat von Leonrod erlebte das Seminar – wie gerade gehört – eine unerwartete Blütezeit, die der hiesigen Priesterausbildungsstätte überregionale Bekanntheit und Anerkennung verschaffte. Leonrod war es auch, der 1885 einen schon vorher geplanten, aber aufgrund des starken Andrangs auswärtiger Alumnen unerlässlich gewordenen Erweiterungsbau errichten ließ.

Die Ökonomiegebäude wurden zeitgleich ebenfalls erweitert beziehungsweise umgebaut. Anlässlich seines goldenen Priesterjubiläums im Jahr 1901 benannte die Stadt den bisherigen „Jesuitenplatz“ dem Bischof zu Ehren in „Leonrodplatz“ um. In Leonrods Zeit als Eichstätter Oberhirte fiel außerdem der Kauf der Sommerresidenz 1899, in der ab dem Jahr 1900 die staatliche und die Seminarbibliothek untergebracht wurden. So kommt es, dass sich der Regens des Eichstätter Priesterseminars bis heute mit Fug und Recht als Herr zweier Schlösser bezeichnen darf – wenngleich er darüber nicht immer glücklich sein dürfte...

Mit dem Tod von Bischof Franz Leopold von Leonrod am 5. September 1905 endete nicht nur ein langes Episkopat für die Diözese Eichstätt (seit 1867), sondern zugleich eine überaus bedeutsame Ära für das bischöfliche Seminar, in deren Verlauf die unter Bischof Reisach reorganisierte und in gewisser Weise ein zweites Mal gegründete Pflanzstätte des Diözesanklerus eine unerwartete Blüte erlebt hatte, indem sie während der Zeit des Kulturkampfes gleichsam als „Seminar für ganz Deutschland“ eine weit über die Eichstätter Bistumsgrenzen hinausreichende Bedeutung erlangt hatte.

Unter Leonrods Nachfolger Johannes Leo (ab 1906 von) Mergel (1905 - 32) gelang 1910 endlich etwas, was man in den Jahrzehnten davor vergeblich zu erreichen versucht hatte: Das bayerische Kultusministerium bewilligte einen regelmäßigen Zuschuss für das Lyzeum sowie eine Zulage zu den Gehältern der Professoren, allerdings unter der Auflage, dass fortan jede Ernennung eines Dozenten oder Professors vom Kultusministerium genehmigt werden musste.

Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, ging die Kriegsbegeisterung auch am Eichstätter Seminar nicht spurlos vorüber, sodass am Ende des ersten Kriegsstudienjahres 1914/15 nur noch 17 Alumnen im Lyzeum übrig blieben. Die anfängliche Begeisterung wich rasch der Ernüchterung und nach vier Jahren waren 23 Gefallene (davon 18 aus der Diözese) und fünf Vermisste zu beklagen. Dennoch schlossen sich alle Seminaristen der achten und neunten Klasse in den Osterferien 1919 dem „Freikorps Oberland“ an, um München von den Kommunisten zu befreien. Dafür reichte die vaterländische Begeisterung also noch aus.

In den Krisenjahren nach dem Krieg erwies sich nun der seit 1910 gewährte staatliche Zuschuss als überlebenswichtig für das Lyzeum, denn sowohl der Lyzeal- als auch der Seminarfonds waren durch die Inflation 1923 zugrunde gegangen. Wie ernst die Lage war, lässt sich daran ablesen, dass Regens Karl Kiefer (1899 - 1924) im Jahre 1923 sogar Schloss Hirschberg an den Bund Neudeutschland verkaufen wollte, aber durch seinen Nachfolger Professor Michael Rackl gerade noch von dieser Idee abgebracht werden konnte. Dafür unternahm Regens Kiefer 1924 eine USA-Reise, um Spenden für das Seminar zu sammeln (was von Erfolg gekrönt war). Zur Erklärung ist an dieser Stelle einzufügen, dass im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert eine ganze Reihe von amerikanischen Priesteramtskandidaten am Eichstätter Lyzeum studiert hatte. Dem Vorbild der staatlichen Einrichtungen folgend ordnete Bischof Mergel im Februar 1924 die Umbenennung des Eichstätter Lyzeums an. Fortan hieß es „Bischöfliche philosophisch-theologische Hochschule“. Trotz oder vielleicht gerade wegen der bestehenden Notsituation nahm die Zahl der Eichstätter Priesteramtskandidaten seit Mitte der 1920er Jahre stetig zu, so dass Bischof Mergel schließlich sogar Sorge hatte, die vielen Neupriester in der Diözese überhaupt unterzubringen. Gegen Ende des Jahrzehnts hatten sich die finanziellen Verhältnisse des Seminars offenbar so weit konsolidiert, dass man 1929 darangehen konnte, einen neuen Gebäudetrakt, den sogenannten Haindlbau, zu errichten, der 1930 fertiggestellt wurde.

Mit der sogenannten Machtübernahme am 30. Januar 1933 begann das „Dritte Reich“. In der Folge kamen neue Schwierigkeiten auf die katholische Kirche zu. Mahner hatte es bereits im Vorfeld durchaus gegeben, wie etwa den gerade in Eichstätt wohlbekannten Kapuzinerpater Ingbert Naab. Der Abschluss des Reichskonkordates im Juli 1933 indes mochte manchen Repräsentanten der Kirche den Eindruck vermitteln, dass es so schlimm wohl nicht kommen würde. Konrad Graf von Preysing, der 1932 Johannes Leo von Mergel auf dem Stuhl des heiligen Willibald nachgefolgt war, ließ sich davon jedoch nicht täuschen. Wie nur wenige andere Bischöfe im Reich hatte er den wahren Charakter des NS-Regimes von Anfang an klar erkannt. Gemäß der totalitären Ideologie der NSDAP gab sich der neue Staat nicht mit einer nur politischen Gleichschaltung zufrieden, sondern strebte nach einer systematischen, effektiven und dauerhaften Indoktrination aller Teile der Gesellschaft.

Im Bezug auf den Bildungssektor kommt das in einem internen Schreiben des bayerischen Kultusministeriums vom November 1933 unmissverständlich zum Ausdruck: „Der nationalsozialistische Staat wird in erhöhtem Maße dafür Sorge tragen wollen, daß Jugend und Volk möglichst umfassend in seinem Geist erzogen und weitergebildet werden. Er wird daher darauf Wert legen müssen, daß auch die römisch-katholische Geistlichkeit in diesem Sinne ausgebildet wird, damit ihr das Weitertragen dieses Geistes in Schule und Kirche Selbstverständlichkeit ist.“ Der Konflikt um die Hoheit über die Priesterausbildungsstätten war damit vorprogrammiert.