Schelldorf
Wenn Jungs im Wald verloren gehen

Alles nur ausgedacht: Für eine Großübung versetzten sich Rettungskräfte in ein heikles Szenario hinein

26.08.2018 | Stand 02.12.2020, 15:48 Uhr
Wie im Ernstfall: In der Einsatzzentrale im Schelldorfer Feuerwehrhaus sitzen alle Beteiligten an einem Tisch und beraten, wie sie vorgehen und wo sie zuerst nach den Vermissten suchen. Der Örtliche Einsatzleiter Franz Waltl (Mitte, mit ÖEL auf der Weste) koordiniert alles. −Foto: Schiavone

 Schelldorf (DK) Alle folgen diesem Szenario: Es ist 17 Uhr. Bei der Polizei wurden fünf Jugendliche als vermisst gemeldet, die am Abend zuvor in einer Gartenlaube außerhalb Schelldorfs gefeiert haben.

Alle folgen diesem Szenario: Es ist 17 Uhr. Bei der Polizei wurden fünf Jugendliche als vermisst gemeldet, die am Abend zuvor in einer Gartenlaube außerhalb Schelldorfs gefeiert haben. In der Nacht hat ein schweres Unwetter den Ort erschüttert und seit der Party am Vorabend gibt es keine Spur mehr von den jungen Leuten. Um 4 Uhr nachts erreicht die Eltern eine Nachricht, bis jetzt das letzte Lebenszeichen der Jungen. Das liegt bereits mehr als zwölf Stunden zurück. Einziger Anhaltspunkt ist ein blaues Auto in der Nähe der Gartenlaube. Die Polizei weitet die Suche nun aus.

Die freiwillige Feuerwehr Schelldorf-Biberg-Krut und das Technische Hilfswerk werden alarmiert, außerdem die Rettungshundestaffel des Arbeiter-Samariter-Bundes Ingolstadt. Die Unterstützungsgruppe Örtliche Einsatzleitung (UG-ÖEL) des Katastrophenschutzes im Landkreis ist mit Einsatzfahrzeug und Flugdrohne angerückt. Auch Kipfenbergs Bürgermeister Christian Wagner und die Presse sind vor Ort. Alle verfügbaren Kräfte warten auf ihre Anweisungen - im Feuerwehrhaus, das kurzerhand zur Einsatzzentrale umfunktioniert wurde. Der Landrat wurde informiert und ernennt per Fax Franz Waltl vom Katastrophenschutz zum Örtlichen Einsatzleiter, der für solche Fälle speziell ausgebildet ist.

Waltl hat nun das Sagen. Ab diesem Zeitpunkt trifft er alle Entscheidungen, plant die Einsatzstrategie und koordiniert die Arbeit der Hilfsorganisationen von der Einsatzzentrale aus. Als "Führung von hinten" bezeichnet er das. "Ins operative Geschehen greife ich nicht ein, sonst würde ich den Überblick komplett verlieren. Ich plane und gehe strategisch vor", erläutert er. "Das ist nicht immer einfach, denn dazu muss ich mich auf die Informationen aller Hilfsorganisationen und der Polizei zu 100 Prozent verlassen." Waltl denkt einen Schritt im Voraus und versucht die Mannschaften auf alle möglichen Notfallszenarien vorzubereiten. Gleichzeitig muss er zwischen den nächsten Maßnahmen taktieren. Dazu sitzt er gemeinsam mit den Gruppenführern von Feuerwehr, THW, Hundestaffel, den Mitarbeitern des Katastrophenschutzes und dem Bürgermeister an einem runden Tisch.

Die Einsatzlage wird besprochen. Was wissen wir über die vermissten Personen? In welchem gesundheitlichen Zustand befinden sie sich? Gibt es Fotos von ihnen? Wo sollte die Suche beginnen? Welche Gebiete werden von den Hunden zuerst abgesucht? Wo kann die Drohne sich den besten Überblick über das Gebiet verschaffen? Am runden Tisch werden alle Informationen zusammengetragen, um den Schlachtplan für die Suche festzulegen. Ein Schriftführer hält alle Informationen und getroffenen Entscheidungen in einer speziellen Software fest, in der nicht nur der Landrat, sondern auch das zuständige bayerische Ministerium alles in Echtzeit mitverfolgen kann.

Die erste Info zu den vermissten Jungs ist keine allzu Gute: Einer der Jugendlichen hat Diabetes Typ 1. Der Örtliche Einsatzleiter Waltl reagiert sofort: "Die Insulinspritzen und das Blutzuckermessgerät des Jungen müssen sofort her, um es gleich parat zu haben. Wir müssen der Familie Bescheid geben." Im Fünfminutentakt werden Fotos von den Jugendlichen in die Einsatzzentrale gebracht.

Die ersten Suchgebiete werden abgesteckt, ein Waldstück nahe des gefundenen Autos. Die Rettungshundestaffel ist bereits auf dem Weg dorthin. Der Feuerwehreinsatzleiter bespricht sich derweil mit seinen Gruppenführern. Drei Feuerwehrgruppen suchen parallel verschiedene Waldstücke ab. Nach vierzig Minuten der erste Erfolg: Die Hunde haben den ersten Vermissten erspürt. Die Feuerwehr sucht weiter. Kurze Zeit später meldet die Leiterin der Rettungshundestaffel, dass einer der Hunde verletzt ist. Damit sind nur noch zwei Hunde vor Ort.

Waltl entscheidet jetzt, die Flugdrohne zu starten, um sich einen besseren Überblick über das Gebiet zu verschaffen und mittels Wärmebildkamera die Jungen zu finden. In der Einsatzzentrale werden alle Einsatzleiter darüber informiert, ehe Drohnen-Operator David Vogel sich zusammen mit seinem Drohnen-Team und einer kleinen Feuerwehrgruppe auf den Weg macht. Binnen weniger Minuten ist die Drohne mit Wärmebild- und HD-Kamera einsatzbereit. Während der Pilot die Drohne steuert, ist der Spotter für die Drohnenkamera verantwortlich und schickt die Bilder in Echtzeit an den Katastrophenschutz in der Einsatzzentrale. Noch immer keine Spur von den Vermissten. Das Drohnen-Team macht sich wieder auf den Weg ins Feuerwehrhaus zu Franz Waltl.

Die nächste Einsatzbesprechung steht an. Diesmal mit einer guten Nachricht: Die Feuerwehr und die Rettungshundestaffel haben die restlichen Personen aufgespürt. Nach nur zwei Stunden wurden alle fünf Jugendlichen gefunden. Ein ideales Ende für eine Einsatzübung in dieser Größe und Mannstärke, an der rund 50 Ehrenamtliche beteiligt waren.

Für gewöhnlich üben Feuerwehr, THW, die Rettungshundestaffel und das Drohnen-Team solche Szenarien nicht miteinander. Michael Kappelmeier vom Katastrophenschutz des Landkreises (UG-ÖEL) wollte das ändern, damit im Ernstfall Austausch und Koordination zwischen den beteiligten Hilfsorganisationen so reibungslos wie möglich ablaufen: "Wir hatten in den vergangenen drei Jahren einige solcher Einsätze mit der Feuerwehr. Die sind zwar gut abgelaufen, aber der Anfang war immer ein bisschen holprig". Nun hat er zusammen mit Kreisbrandrat Martin Lackner und einem dafür eigens initiierten Organisationsteam die Übung zwei Wochen lang geplant und vorbereitet, damit die Umsetzung so wahrheitsgetreu wie möglich abläuft.

Am vergangenen Samstag wurde das Szenario gleich zweimal geübt, bei Tageslicht und in der Dämmerung. Beide Male mit Erfolg binnen weniger Stunden. Auch wenn es im Ernstfall wahrscheinlich hektischer und emotionaler zur Sache geht, die Hilfsorganisationen des Landkreises und der Katastrophenschutz sind bestens vorbereitet.