Eichstätt
"Anti"-Parteien auf Suche nach dem "Volk"

K'Universale: Politologin Karin Priester über die Entstehungsursachen von Populismus

08.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:54 Uhr
Im Rahmen der interdisziplinären Vortragsreihe K?Universale referierte Politikwissenschaftlerin Karin Priester über das Phänomen Populismus. −Foto: Kusche

Eichstätt (EK) Populistische Parteien und Bewegungen sind derzeit in ganz Europa auf dem Vormarsch.

Ob in Deutschland, Italien oder Großbritannien, Österreich, den Niederlanden oder Polen - allenthalben stellen populistische Strömungen eine Herausforderung für die aktuelle Politik dar.

Im Rahmen der interdisziplinären Vortragsreihe K'Universale an der KU Eichstätt-Ingolstadt, die sich in diesem Semester dem Thema "Europa? ! " widmet, beschäftigte sich die Politikwissenschaftlerin und Historikerin Karin Priester, emeritierte Professorin am Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, mit den politischen, kulturellen und sozialen Entstehungsursachen des Phänomens. In der vollbesetzten Aula der Universität zeigte die Referentin die verschiedenen Erscheinungsformen populistischer Strömungen in Europa auf und diskutierte auch über die Zukunftschancen des Phänomens.

Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es immer wieder populistische Strömungen von Gruppen mittlerer sozialer Bevölkerungsgruppen, die sich von allzu schnellen Modernisierungsschüben bedroht fühlen. Medial hat das Phänomen seine Karriere allerdings erst um 1989 angetreten, als mit der Auflösung des einstigen Ostblocks der "Feind Nr. 1" weggefallen war und es eines neuen Feindes bedurfte. Die Hintergründe für das Aufkommen populistischer Bewegungen, so Karin Priester, basierten jedoch immer auf ähnlichen Prämissen: "Der Wunsch nach stärkerer Kontrolle und das Gefühl, von den Eliten vernachlässigt und nicht gehört zu werden, sind die beiden Hauptmotive populistischer Bewegungen. "

So ließen sich dann auch gerade in den zwei stärksten Momenten des gefühlten Kontrollverlusts - 2008 während der großen Finanzkrise und ab 2015 im Rahmen der Flüchtlingsaufnahmen in Deutschland - ausgeprägte populistische Bewegungen ausmachen: "Dieses Phänomen äußert sich immer wellenförmig", so Priester, die an dieser Stelle Bezug auf zahlreiche europäische rechtspopulistische Parteien wie die Fortschrittsparteien in Dänemark und Norwegen, die Schweizerische Volkspartei (SVP) oder die französische Front National (FN) nahm, die in den 1970er-Jahren entstanden und noch heute fortbestehen. Zu einer zweiten Welle sei es in den 1990er-Jahren mit der schwedischen Neuen Demokratie, den Wahren Finnen oder der Lega Nord in Italien gekommen.

Dabei müsse allerdings, so die Referentin eindrücklich, zwischen einer nationalpopulistischen Variante, zu der zum Beispiel die AfD zu zählen sei, und einer nationalliberalen Variante unterschieden werden, die, wie die Schweizerische Volkspartei, eine liberalere Mittelstandspartei repräsentiere: "Bei den nationalpopulistischen Flügeln können die Grenzen zum Rechtsextremismus allerdings fließend sein", warnte Priester. Populismus ist ein eindeutiges Krisensymptom: "Unsere Gesellschaften in Mitteleuropa durchleben heute einen Prozess der Postindustrialisierung und Tertiärisierung; wir leben längst nicht mehr in Industrieländern, sondern in Dienstleistungsgesellschaften. " So sei es kein Wunder, dass die Frustration großer Bevölkerungsteile und deren Suche nach vermeintlichen politischen Alternativen gerade in dem großen Gürtel zwischen den britischen Midlands über die vormaligen nordfranzösischen Industrieregionen bis hin zu unserem Ruhrgebiet sowie natürlich auch im Osten Deutschlands besonders stark ausgeprägt seien - eine riesige deindustrialisierte Zone: "Hier fühlen sich viele Menschen einfach als Modernisierungsverlierer, sie werden zum Nichtwähler oder empfänglich für populistische Strömungen", sagte Priester.
"Wenn sich Menschen sowohl ungehört als auch nicht mehr von der Politik vertreten fühlen, dann führt das zu einer bestimmten Wahrnehmung", so Priester, "dann verliert die fernab der Realität unter einer ,Käseglocke' tätige politische Elite in den Augen dieser Menschen jeden Kontakt zu ihnen. " Zu diesen Krisen beigetragen habe nach Meinung der Politologin auch der Niedergang der Volksparteien, die in den 1950er-Jahren noch "catch-all"-Parteien gewesen seien. Hier sieht Priester mit Blick auf Europa ein epochales Phänomen, denn insbesondere die sozialdemokratischen Volksparteien befänden sich - bedingt durch den Druck der Globalisierung, zunehmender Deindustrialisierung und damit einhergehendem sozialen Wandel - in vielen Ländern im veritablen Sturzflug. Für populistische Bewegungen sei dies ein guter Nährboden.
In der Wahrnehmung der Populisten existiere "da oben" ein EU-Machtkampf, der der politischen Elite die Kontrolle über den Staat nehme. Daraus erwachse der Wunsch, wieder Herr im eigenen Haus zu sein und sich gegen eine als zu technokratisch und intransparent wahrgenommene Globalisierung zu wenden. Daher setzten viele populistische Bewegungen auf eine Rückbesinnung auf die eigene Identität und die nationalen Grenzen.

Wie sind populistische Strömungen einzuschätzen? "Man kann den Erfolg des Populismus nicht separat von Phänomenen der Europäischen Union, des Brexits und auch der Regierung Donald Trumps sehen", betonte Priester abschließend. Deutschland habe lange als populismusresistent gegolten, müsse sich aber inzwischen mit einem Newcomer am rechten Rand auseinandersetzen, der in allen Länderregierungen sitze. Eine Gefahr für die Demokratie sieht die Referentin im Populismus jedoch nicht: "Populistische Parteien werden immer in Koalitionen tätig sein. Und meist werden sie dann in diesem Moment entzaubert. " Denn diese Parteien müssten sich schließlich an politische Gepflogenheiten anpassen und könnten kaum mehr an Profil gewinnen, meint Priester. Für die europäischen Demokratien stelle der Populismus dennoch eine Herausforderung dar: "Die großen menschheitsbeglückenden Ideologien - ob Kommunismus, Kapitalismus oder Globalisierung - haben ausgedient oder werden zunehmend unglaubwürdig. "

Dagmar Kusche