Vom Schilderbent im Niederlandt

11.08.2006 | Stand 03.12.2020, 7:38 Uhr

Eichstätt (EK) Sie nennen sich Mynheers. Im normalen Leben gehen sie ihrem Beruf als Lehrer, Hand- und Kunsthandwerker, Künstler, Arzt oder Selbstständiger nach, sind Jurist, Geistlicher oder auch Verwaltungsangestellter. Doch alle zwei Wochen, und vor allem einmal im Jahr, dann nämlich, wenn wieder eine "Große Weltumbsegelung" in Pappenheim ansteht, dann hält sie nichts mehr. Dann ziehen sie ihr "Wämbslyn" (Kleidungsoberteil, Jacke im Stil der Moderne des 17. Jahrhunderts) über, schlüpfen in eine ganz eigene Rolle und in eine ganz andere Welt: in das Niederlandt.

Das Niederlandt. Im 19. Jahrhundert nach dem Bruderkrieg 1870/71 und dem Nationalitätenwahn, nach der Übernahme Bayerns durch Preußen, wollte Ludwig von Nagel, genannt Adrian van Os, die gesellschaftlichen Schranken etwas lockern und versammelte in lockerer Runde künstlerisch begabte, musische und kreative Menschen um sich, um sich mit ihnen auszutauschen. Vorbild waren die niederländischen Maler und deren Werke. Nach und nach bildeten sich Sozietäten heraus, vor allem in Süddeutschland, die heute noch – manche vom Aussterben bedroht, andere recht aktiv – einer Idee nachjagen und sie auch umzusetzen versuchen, die da heißt "Vivat amicitia nostra" ("Es lebe unsere Freundschaft"). Deshalb auch begrüßen sie sich mit "VAN", teilen ihre Zustimmung oder ihren Ärger mit "Van" mit und haben das Van als Namensbestandteil.

19 Sozietäten gibt es insgesamt in Deutschland, dazu noch einige wenige "Coloneyen" außerhalb des Landes. Der Schwerpunkt liegt in Süddeutschland – und vor allem Eichstätt.

Denn die am 21. März 1889 von einem Mynheer van Stopelfeldt gegründete Eichstätter Sozietät mit dem Namen "Schilderbent" ist die mitgliederstärkste und wohl auch die rührigste unter allen Gesellschaften im Niederlandt. Getragen von dem Bestreben, einfach mal aus der Normalität auszusteigen, in eine andere Rolle zu schlüpfen, geht es seitdem auf der Eichstätter Willibaldsburg im Niederlandt nach festen und lieb gewordenen Regularien "jeden übersprungenen Mittwoch", also 14-tägig, zum "Malgang". Da gibt es nach der Begrüßung durch den "Bents-Pfleger", dem Vorsitzender, in Gedichtform eine Erinnerung an den Tagesheiligen, dann wird der Chronist bestimmt, dann geht es von dem "Plackschuss" ans Alltagsgeschäft. Schließlich wird – meist in Versform oder in musikalischer Umrahmung – die Chronik des letzten Treffens verlesen, und es folgt ein "Schlämplyn", ein vom "Generalschlämplynmeister" zusammengestelltes Essen. Musikstücke schließen sich an, und am Ende erhält jeder Mynheer eine "Awwfgäb": ein monatliches Losungswort, zu dem man sich bis zur nächsten Zusammenkunft "Awwfgäb-Lösungen" ausdenken muss in musikalischer, poetischer, bildlicher oder sonst wie witziger Form und die für das Unterhaltungsprogramm nach dem "Schlämplyn" des nächsten Treffens vorbereitet werden.

"Geistreiche Spielwiese"

Eine "geistreiche Spielwiese" eine "geistreiche Spinnerei" nennt der derzeit amtierende "Bents-Pfleger" von Schilderbent , Ewert van Wardenaar, mit bürgerlichem Namen Erich Anton Wagner und Seminarleiter, die Treffen. Eine "lustige Spinnerei auf hohem Niveau". Natürlich sehe man sich dann und wann dem Vorwurf ausgesetzt, "Die spinnen doch total", aber das, so van Wardenaar, sage man nur, solange man den Betrieb nicht kenne. Den Vorwurf, es gehe im Niederlandt auch um Kungelei und Beziehungen, kontert er mit dem Hinweis: "Man darf Freundschaft nicht überstrapazieren."

Vielmehr gehe es im Niederlandt um das Zusammensein, um eine Art "Spieltrieb", um Kunst und Musik, um Literatur und Geselligkeit, ergänzt Dr. Walter Buckl, "van Brunswijk" im Niederlandt, der heuer auch die Mayenpredigt zur "Großen Weltumbsegelung" geschrieben hat und dabei ganz köstliche Vergleiche zwischen dem Fußballspiel und dem Niederlandt gezogen hat. "De Pediludio" ist das Stück in "Verslyn & mehr dann 100 Ströphlyn gesetzet" und "feyn mit Bildlyns verizieret von deme van Leerdam", sprich von Eichstätts Steinbildhauer Günter Lang.

Der hat übrigens auch das Bühnenbild gefertigt für das Festspiel "Van Dom, der Opa", das die Eichstätter in Pappenheim aufgeführt haben. Die Musik hat der frühere Domkapellmeister Professor Wolfram Menschick von dem Musical Phantom der Oper entnommen und trefflich umgesetzt für das Niederlandt.

Eigene Zeitrechnung

Die Niederländter leben in ihrer eigenen Zeitrechnung, und da scheint es mit dem Fortbestand nicht mehr allzu weit her zu sein, wovon auch das Stück handelt. Hermann Reil, seines Zeichens Huig van Reijsel spielt die Hauptrolle – energisch, geistreich, schauspielerisch brillant – und ist der letzte Mynheer. Denn: die Frauen haben die Herrschaft übernommen. Am Ende – zum Glück – alles nur ein Traum, von dem er vom Niederlandt-Heiligen St. Romuald (Walter Buckl) wieder erlöst wird. Und so können die Mynheers vom Schilderbent doch noch jeden übersprungenen Mittwoch sich zusammensetzen, blödeln und sich ihrer ganz eigenen Rolle freuen. Van.