Eichstätt
"Angst ist kein guter Ratgeber"

Corona hat Sri Lanka fest im Griff - Medizinische Hilfe kaum zu bekommen - Der Tod ist ein ständiger Begleiter

10.11.2020 | Stand 02.12.2020, 10:10 Uhr
Anka Blank kümmert sich um Blessuren, Bauchschmerzen und andere gesundheitliche Probleme der Kinder. −Foto: Kreitmeir

Eichstätt - Vor 21 Jahren hat Michael Kreitmeir aus Eichstätt begonnen, in den Bergen von Sri Lanka das Kinderdorf "Little Smile" aufzubauen.

Mittlerweile gehören über 1000 Menschen zu dieser Dorfgemeinschaft. Kreitmeirs Nichtregierungsorganisation gibt den Ärmsten unter den Bürgerkriegsopfern des von Krisen und Korruption geschüttelten asiatischen Landes ein Heim und eine Hoffnung, Ausbildung, Arbeit und damit eine Zukunft.

In einem Brief an die Bürgerinnen und Bürger seiner alten Heimat beschreibt er die Situationen im Jahr 2020 auf Sri Lanka, speziell die Entwicklung von Corona und die Auswirkungen auf die Menschen und somit auf die Arbeit und die Kinder in Mahagedara.

In seinem Schreiben an unsere Zeitung fragt er auch, wie es denn in der alten Heimat aussieht und wie sehr Corona das tägliche Leben in einer Kleinstadt wie Eichstätt beeinträchtigt. In Sri Lanka, so seine Nachricht, sah es lange so aus, als könne diese Insel vor dem Virus weitgehend abgeschottet werden. Leider zeigte sich inzwischen, dass dies eine Illusion war. Da kaum Tests gemacht werden, bleiben die Infektionsraten im Dunkeln, aber wo getestet wird, ist die Mär von der "Insel der Seligen" nicht mehr aufrechtzuerhalten: Bei einem Probetest von 5000 Menschen in der Hauptstadt Colombo waren fast 1000 Menschen infiziert. "Man stelle sich das mal in Deutschland vor", sagt Kreitmeir. Zudem gebe es auf der Insel keine Intensivbetten und kaum Beatmungsgeräte. Deshalb werde weiter nur auf Isolation und Lockdown gesetzt.

Michael Kreitmeir schreibt aus seinem Kinderdorf Little Smile: "Eigentlich ist jetzt im Oktober Regenzeit, eigentlich, aber in diesem Jahr ist alles anders. Es ist trocken, unglaublich trocken. Überall brennen die Hänge, fressen sich die Feuer in die Bergwälder, die letzten Quellen versiegen, Wasser wurde sogar hier in den Bergen Mangelware, das nur noch stundenweise aus der Leitung tropft, wenn überhaupt.

Als es dann auch am Rande des Kinderdorfes brennt und wir den Notruf 119 wählen, kommt - niemand. Brandstiftung ist nicht einmal mehr ein Kavaliersdelikt und auch daran ist das Virus schuld. Dabei hatte Sri Lanka schon sehr früh seine Grenzen dichtgemacht und es hat lange so ausgesehen, als würde der "Covid-19-Kelch" an der kleinen Insel vorübergehen.

Schon Ende März ging am Flughafen nichts mehr, andere Einreisemöglichkeiten gibt es hier nicht, wer in Sri Lanka war, kam nur noch mühevoll heraus. Von draußen reinzukommen war noch schwieriger und mit einer langen und sehr strikten Quarantäne verbunden, die vom Militär kontrolliert wurde.

Im April und Mai waren es offiziell noch weniger als 100 Coronafälle, trotzdem gab es einen totalen Lockdown, die Schulen waren schon Ende März geschlossen worden, das öffentliche Leben in den Städten kam weitgehend zum Stillstand. Auch in unserem entlegenen Winkel gab es Polizeisperren und es kontrollierte das Militär. Die meisten Menschen trauten sich ohnehin nicht nach draußen, zu unheimlich war dieses Virus, zu erschreckend die Bilder, die Geschichten, die sich von Smartphone zu Smartphone wie ein Feuer verbreiteten.

Das Tor zum Kinderdorf musste auf amtliche Anordnung geschlossen bleiben. Was dann passiert und ob wir klarkommen mit mehr als 100 Kindern - völlig auf uns alleine gestellt - ,interessierte freilich niemanden.

Gut war, dass wir uns aufgrund schlechter Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem vor Ort inzwischen ein eigenes Behandlungszentrum mit einer recht umfangreichen Apotheke aufgebaut hatten. Anka Blank, inzwischen seit sieben Jahren im Kinderdorf und die rechte Hand des Kinderdorfleiters, hat sich aus der Not geboren nach und nach sehr viel beigebracht.

Ende August wurde teilweise Entwarnung gegeben, der Flughafen blieb aber trotzdem dicht, Importe waren verboten. Dafür wird nun jeder, der etwas anbauen will, unterstützt. Naturschutz hat da keinen Platz mehr. Die Reichen aus der Hauptstadt schwärmten aus, fanden ihren Weg bis in unsere entlegene Gegend, entdeckten den Reiz des Landlebens, frei von all den Corona-Einschränkungen, und fingen an, Grundstücke zu kaufen. Die Preise für Land schossen in astronomische Höhen, unerreichbar für die Menschen hier.

Und so kam der Oktober 2020. An die hohen Infektionszahlen in den USA und Indien hatte man sich bereits gewöhnt, aber dann ging es in Europa wieder los. Gerade noch angedachte Lockerungen bei der Einreise wurden undenkbar, nur auf der Insel schien man noch sicher in dieser vom Virus beherrschten Welt.

Ein Paradies also, wie für den Tourismus so gerne propagiert? Anfangs hatten zahlreiche Zwangsmaßnahmen und enorme Geldsummen, die man sich aus China geliehen hatte, die schlimmsten Folgen abgefedert und verhungern musste auch in der Krise niemand. Doch dann kam die Ernüchterung: Irgendwie hatte es das Virus doch geschafft und die Insel erreicht, vermutlich durch Fischer, die besonders im Norden die Gewässer und Fische mit vielen indischen Fischern teilen.

Ab Mitte Oktober wich der Stolz der Sieger der Gewissheit: Das Virus ist da - und wie. In der Hauptstadt Colombo wurden etwas über 5000 Menschen getestet, fast 1000 waren infiziert. Wieder wurden Anka und ich schief angeschaut, sobald wir uns außerhalb der Regionen bewegten, wo man uns kannte. Weiße haben Corona, sind gefährlich, so die weit verbreitete Meinung. Weiße bringen den Tod. Warum darf so einer frei hier rumlaufen, fragten sich die Menschen. Als ich einem Offiziellen erklärte, dass mein Heimatland dichtmacht, wenn mehr als 50 von 100000 Menschen infiziert sind, erntete ich nur ungläubiges Kopfschütteln. Doch Angst ist kein guter Ratgeber und Facebook ganz sicher keine brauchbare Informationsquelle.

Am 29. Oktober 2015 hatte nach heftigen Regenfällen eine Schlammlawine unser Nachbardorf begraben. Die Überlebenden durften nicht zurück, Gestrüpp und Unkraut überwuchert das, was übrig geblieben war. Man vergisst hier schnell und nur ein paar Menschen haben sich deshalb fünf Jahre später am Rand des Hanges zusammengefunden, um der Toten zu gedenken.

Die Leute haben andere Sorgen. Es geht darum, wie man heute klarkommt, wie man die nächste Mahlzeit sichert. Morgen ist morgen und weit weg, so wie dieses Virus. Zwar tragen viele selbst in unserer Region Masken (oft seit Wochen nicht gewaschen oder gewechselt), weil es sonst empfindliche Strafen hagelt, aber die Alltagssorgen sind näher, stärker, zumindest noch.

Jetzt Anfang November wird er kommen, der große Regen. Und mit ihm all die Krankheiten, Bakterien, Viren, Erkältungen, Husten, Fieber. Wenn es jetzt losgehen sollte mit dem Sterben und man das dann nicht mehr auf das obligatorische Nierenversagen schieben kann, dann kann es ganz schnell ganz anders werden. Gerüchte sind leicht in die Welt gesetzt, besonders im Internetzeitalter.

Was wird der November bringen, was der Dezember dieses Jahres? Gut, dass auch mir das Grübeln über das, was vielleicht morgen sein könnte, in 21 Jahren Sri Lanka völlig abhanden gekommen ist. Viel dringlicher ist für mich derzeit ein auf Eiter sitzender Backenzahn, der sich weder mit Schmerzmitteln noch mit Naturmedizin besänftigen lässt. Zum Zahnarzt gehen? Es gibt derzeit keine, die sind alle irgendwo in Sicherheit. Bleibt nur aushalten, Zähne zusammenbeißen wie so oft und hoffen, dass es sich schon selber richten wird.

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Irgendwie haben wir es geschafft und auch in diesem Jahr Pfeffer geerntet, verarbeitet und nach Deutschland bringen lassen. Unser Gruß aus einer inzwischen wieder fernen, fast unerreichbaren Welt in die alte Heimat. Es gibt uns noch, hier im Bergurwald Sri Lankas. Ich bin müde, sehr müde und doch dankbar dafür, dass wir alle gesund und heil durch diese schwierige Zeit gekommen sind. Wie verletzlich wir alle sind, wie schnell auch die durchdachtesten Pläne nichts mehr wert sind, hat uns Corona gezeigt.

Weihnachten 2020 wird wohl ganz anders werden, zumindest äußerlich. Aber wie heißt es so schön: Das Wesentliche sieht das Herz allein. Ich wünsche uns hier und allen in der alten Heimat, dass wir gesund bleiben und solidarisch durch diese nicht einfachen Zeiten gehen. Hier in Little Smile werde ich jeden Tag, also auch an Weihnachten, versuchen, das Beste aus jedem Moment zu machen, keine Angst zu haben, niemals aufzugeben und dankbar zu sein, gerade auch für all die Menschen in meiner alten Heimatstadt Eichstätt, die uns gerade in diesen schwierigen Zeiten das Gefühl geben: Ihr seid nicht allein. Danke und frohe Weihnachten! "

DK