Zylinderförmige Bilderwelten

26.08.2019 | Stand 02.12.2020, 13:12 Uhr
Das Meisterwerk des Künstlers im Berliner Pergamonmuseum: Die schnellste Reise von Berlin nach Pergamon führt hier über den Rundhorizont. −Foto: Broede/Wyrwar/asisi

Yadegar Asisi hat das Genre des Panoramas in unsere Zeit gerettet. Der Österreicher gestaltete raumfüllende Rundgemälde in Wittenberg, Dresden, Leipzig und gleich zwei in Berlin. Seine Themen bewegen sich von der Titanic bis hin zum Great Barrier Reef.

Man kann sich gut vorstellen, wie gewaltig der Eindruck im 18. und 19. Jahrhundert gewesen sein muss: Eine begehbare Rundum-Ansicht von fremden Gegenden, riesig und perspektivisch gemalt. In Altötting ist noch heute ein 1903 eröffnetes Original aus der großen Zeit des Panoramas zu sehen, das - dem Ort angemessen - eine Darstellung der Kreuzigung zeigt. Nachdem der irische Maler Robert Barker sich diese Idee hatte patentieren lassen, wurden solche Bilder ein europäischer Trend. Landschaftspanoramen ersetzten kleinen Leuten das Reisen, zeigten ferne Gegenden, historische Ereignisse oder Innenansichten von Gebäuden und wurden zu Jahrmarktattraktionen. Das 19. Jahrhundert wimmelte vor diesen großen Bildern, die meist ein Haus für sich forderten, in welchem die Besucher auf Treppen und Gerüsten die zusammengenähten Leinwände entlang promenierten. Dann kamen andere Belustigungen in Mode, vor allem das bewegte Bild in Film und Kino. Doch die totgesagte Kunstform lebt länger - das in Brasilien ansässige "International Panorama Council" aktualisiert ständig eine lange Liste, wo in der Welt derzeit Panoramen gezeigt werden. Meistens sind sie im 20. und 21. Jahrhundert entstanden. Teils gemalt, teils fotografiert oder gefilmt findet man sie in China, Amerika, Russland oder Australien - man könnte dafür rund um die Welt reisen. In Deutschland ist der in Österreich geborene Yadegar Asisi (64) der Kapitalhirsch der Szene: Seine derzeit neun Panoramen finden sich unter anderem in Wittenberg, Dresden, Leipzig und gleich zwei von ihnen in Berlin. Ihre Themen sind ein bunter Mix: Seine Fantasie entzündete sich am Wrack der Titanic genauso wie am barocken Dresden, Luthers Thesenanschlag oder dem Great Barrier Reef. Der Künstler hat Architektur und Malerei studiert und kann für sich in Anspruch nehmen, hierzulande die Wiederauferstehung eines ganzen Genres bewirkt zu haben. Klar wurden ihm die Möglichkeiten des Rundformates, als er zu Beginn der 90er-Jahre als Berater zu einem Panoramaprojekt hinzugezogen wurde. "Da wusste ich schnell: Im Panorama gibt es Aspekte, die so sehr meine sind! Dass diese Form zu mir gekommen ist, hat seinen tieferen Sinn."

Er hat eine Firma gegründet zur Realisation seiner Projekte, denn der Aufwand dafür ist immens. Zusammen mit großen Teams von Ausstattern, Computeranimateuren und Kollegen fotografiert und malt er, berechnet Dimensionen und Perspektiven und findet immer wieder neue Aspekte dieser faszinierenden Kunstform. "Für Rouen mache ich gerade das erste Mal ein klassisch gemaltes Panorama, hier male ich im Stil des Impressionismus - ich weiß, dass immer noch sehr viel mehr möglich ist. Für mich sind aber auch all die anderen Bilder gemalt, denn ich nähere mich malerisch dem Thema. Dann aber fängt die komplexe Arbeit an. Im Pergamonmuseum beispielsweise erzählen wir eine alternative Geschichte über den Altar, zeigen den Ort eines rauchenden, blutigen Schachtfestes."

Das Berliner Projekt, das als Stellvertreter des Originalaltars während der Museumssanierung einen exklusiven Platz auf der Museumsinsel hat, zeigt vielleicht am besten die Möglichkeiten des Mediums: Ausstellung und Imagination, Licht, Ton und Fotografie, Malerei, Skulptur, Fantasie und Wissenschaft verweben sich hier zu einem imponierenden Gesamtkunstwerk. So packt die Antike auch den, der sonst nicht viel mit alten Steinen anfangen kann. "Die Besucher gehen in die Panoramen hinein und sind dort wie in einer Kirche, runtergebeamt, man kann sich diesen Themen nicht mehr entziehen. Sogar Kinder entwickeln eine ganz eigentümliche Andacht", hat Asisi beobachtet. "Ein Museum muss mindestens so spannend sein wie ein Computerspiel, sonst machen die Jugendlichen von heute als Politiker von morgen die Museen zu. Die Konkurrenz der Spieleentwicklung ist durch die 3D-Technologie sensationell."

Und so wird Asisi weiter Teams anleiten, Welten zu gebären, in meterhohen, archaisch dimensionierten Bildzylindern, auf Riesenleinwänden, für deren Herstellung und faltenfreie Hängung man eine Menge Know-How braucht. Dass animierte Filme die Tiefenschärfe des Bildes erreichen, ist für Asisi derzeit noch Zukunftsmusik und wäre höchstens unter immensen Aufwand erreichbar. Außerdem meint er: "Letztlich bin ich ein Maler, ich zeichne, seit ich ein Zehnjähriger war. Ich will einfach ein Bild malen, in das man eintreten kann wie in einen Raum."