Ingolstadt
Zwölf Jahre des Wandels

Wie Alfred Lehmanns Amtszeit als Oberbürgermeister die Politik im Ingolstädter Rathaus verändert hat

07.03.2019 | Stand 02.12.2020, 14:29 Uhr
Triumph und Enttäuschung: 2002 wurde Alfred Lehmann zum Ingolstädter Oberbürgermeister gewählt. −Foto: Richter, Hammer, Herbert, Rössle, Strisch

Ingolstadt (DK) Seit Donnerstag ist das deutsche Strafrecht der Maßstab, und er wird es für viele Wochen bleiben, nach dem Alfred Lehmann beurteilt wird. Seine zwölf Jahre als Oberbürgermeister im Ingolstädter Rathaus von 2002 bis 2014 treten in den Hintergrund. Dabei hat sich unter der Führung des CSU-Politikers nach der Ära Peter Schnell ein grundlegender Wandel in der Stadtregierung vollzogen.

Als Lehmann am 2. Mai 2014 die Amtskette des Oberbürgermeisters an den jungen Nachfolger Christian Lösel weiterreichte, hätten die Ingolstädter sich vieles vorstellen können: vielleicht, dass er noch einige weitere Jahre im Stadtrat seinen großen Einfluss geltend macht, dass er sich nebenbei in der Privatwirtschaft ein Betätigungsfeld sucht, und vor allem, dass er als durchaus erfolgreicher Alt-OB zum Ingolstädter Ehrenbürger ernannt wird. Dass er jedoch am 7. März 2019 als Angeklagter vor Gericht stehen würden, damit rechnete niemand.

Nach 30 Jahren des hochverehrten Bürgerkönigs Peter Schnell ab 2002 die Ingolstädter zu regieren, das bedeutete zunächst harte Überzeugungsarbeit für einen Wirtschaftsexperten, der aus Norddeutschland stammte und mit der Schanzer Politfolklore eigentlich nicht viel im Sinn hatte. "Er ist ein sehr rationaler Mensch", schätzte Ex-Fraktionschef Joachim Genosko seinen Parteifreund ein, "wir ergänzen uns in gewisser Weise, das liegt wohl am Niederbayern." Lehmanns große Stärke sei es, "sehr schnell Probleme erfassen und analysieren" zu können. Und er sei ein "sehr loyaler Mensch".

Der Übergang von Schnell zu Lehmann brachte eine deutliche, sicher auch notwendige Zäsur im Rathaus, denn die stark expandierende Boomstadt mit ihrer großen Investitionskraft ist zwar nicht nur, aber eben auch ein Wirtschaftsunternehmen. Während Schnell jedem Bürger das Gefühl geben wollte, nur für ihn da zu sein, definierte Lehmann im DK-Gespräch einmal seine Rolle als kommunaler Konzernlenker folgendermaßen: "Politik ist für mich nicht das Spektakuläre. Nachhaltige Politik ist für mich, wenn die Leute Arbeit haben, wenn sie eine vernünftige Wohnung haben, wenn sie bei Krankheit gut versorgt werden. Das muss passen."

Mit dem Begriff Stadtkonzern, den er anfangs verwendete, tat sich Lehmann keinen Gefallen. Erweckte er doch bei Kritikern den Eindruck des Wirschaftsbosses, der nichts als die Bilanzen und den Profit im Auge hat. Nicht ohne Grund wurde von ihm später die abgemilderte Version Bürgerkonzern in die Diskussion eingeführt. Die Vorliebe für Rankings mit rekordträchtigen Spitzenplätzen ist jedoch mittlerweile in der Führungsetage des Ingolstädter Rathauses fest verwurzelt.

Mit welcher Haltung der Schnell-Nachfolger sein Amt antrat, wird bei einem Detail deutlich: Als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft kam er mit dem Vorschlag, man könne doch einen Teil des Wohnungsbestandes privatisieren, also an Investoren verkaufen. Heute, in Zeiten der ständig steigenden Mieten, käme so ein OB-Vorstoß einer politischen Todsünde gleich. Lehmann war klug genug, nicht lange daran festzuhalten.

Sein "weiter Weg zur Bürgernähe", wie es in einem DK-Titel hieß, führte Lehmann unter anderem über den Fußballplatz. Hätte er als OB nicht zusammen mit Peter Jackwerth die Sache energisch in die Hand genommen, gäbe es wohl keinen Bundesligaklub FC Ingolstadt mit neuem Stadion. "Sagen Sie mir eine Stadt, die besser läuft", lautete eine seiner typischen Formulierungen, als zur Hälfte seiner Amtszeit einiges eben nicht so gut zu laufen schien, Stichwort Güterverkehrszentrum II im Wasserschutzgebiet.

Manchmal ist es für einen CSU-OB im Ingolstädter Rathaus nur ein schmaler Grat zwischen gesundem Selbstbewusstsein und Selbstherrlichkeit ("Sonnenkönig"). 2012 machte der DK öffentlich, dass Lehmann an der Einbogenlohe zum Vorteil eines alten Parteifreundes einen Baurechtsverstoß abgesegnet hatte. Als SPD-Stadtrat Achim Werner, damals noch Landtagsabgeordneter, den Fall der Regierung zur Überprüfung vorlegte, war das für einen Parlamentarier der Opposition keine völlig abwegige Idee. Lehmann freilich war schwer beleidigt und entzog dem Kritiker von der SPD demonstrativ das Du.

Jahre später, da hatte längst Nachfolger Christian Lösel sich in der Chefetage des Rathauses etabliert, bekam Lehmann nachträglich von Achim Werner und anderen kritischen Geistern viel Lob für etwas, das sie erst jetzt zu schätzen wissen: Der frühere OB hatte die Kunst der zielgerichteten Debattenführung in seinen letzten Amtsjahren perfektioniert - Stadtratsdebatten, bei denen am Ende nicht die eine Seite regelmäßig als Verlierer vom Platz schleichen muss.