Hilpoltstein
Zwischen Super-Abi und totalem Absturz

Lockdown und Distanzunterricht bereitet Schulen große Probleme - Sozialverhalten verlernt

22.07.2021 | Stand 28.07.2021, 3:33 Uhr
Sehr gute Noten lieferten die Schülerinnen und Schüler bei den Abschlussprüfungen der Realschule Hilpoltstein ab. Doch viele haben wegen des langen Lockdowns mit psychischen Problemen zu kämpfen. −Foto: Tschapka/Archiv

Hilpoltstein - Die Kluft, die Distanzunterricht und Corona-Regeln in den Schulen geschaffen haben, ist riesig. Einige Schülerinnen und Schüler sind zur Hochform aufgelaufen, einige sind völlig abgestürzt, psychisch wie notenmäßig. Das ist bei der Sitzung des Schulausschusses am Dienstag in der Aula der Hilpoltsteiner Realschule deutlich geworden. Vor allem die Berichte der Schulleiterinnen und Schulleiter zeichneten ein alarmierendes Bild.

Hausherr Stefan Binder berichtete von einer Abschlussklasse seiner Realschule, die bei der Abschlussprüfung in Mathematik den sagenhaften Schnitt von 1,5 hingelegt hat. Aber auch von zwölf Schülern, die nur auf Probe vorrücken dürfen. "Aber im sozialen Bereich sind die härteren Fälle angestiegen." Bis zur Einlieferung in die Bezirksklinik Ansbach, um dort die schweren psychischen Probleme zu behandeln. Schulsozialarbeiterin Ulla Heiden habe gerade "immens viel Arbeit. Sie ist Gold wert, was die ackert Tag und Nacht", sagte Bindner. Sie sei immer zur Stelle - auch wenn am späten Abend noch Schüler anrufen und von Selbstmordgedanken berichten.

Die sozialen Probleme, die der lange Lockdown von November 2020 bis Ende Mai 2021 ausgelöst hat, beginnen aber schon bei Kleinigkeiten. Den Sportunterricht müsse er bereits nach drei Minuten unterbrechen, weil sich die Schüler in die Haare gekriegt haben, berichtete Binder. "Die sind es nicht mehr gewohnt, etwas miteinander zu machen."

Landrat Herbert Eckstein (SPD) beunruhigte die Nachricht, dass zehn Prozent der bayerischen Abiturienten psychische Probleme hätten. Auf die Frage, ob die Schulleiter das bestätigen könnten, fiel Binders Antwort bedrückend aus. Er halte die Zahl fast für zu tief gegriffen, sagte der Hilpoltsteiner Realschulleiter. Vor allem wisse er nicht, wie hoch die Dunkelziffer sei. Viele Probleme würden aktuell gar nicht bemerkt, so Bindner. "Ich habe Angst vor denen, die ich jetzt noch gar nicht sehe."

Johannes Novotny, Leiter der Gymnasiums Wendelstein, meinte zwar, dass bei seinen Schülern die Freude groß gewesen sei, als sie nach Pfingsten endlich wieder in die Schule gehen durften, "aber die Sozialformen müssen neu gelernt werden." Der Zusammenhalt sei stark in Mitleidenschaft gezogen worden. So hätten nach der Abifeier nur vier Schülerinnen und Schüler beim Aufräumen geholfen - bei 111 Abiturienten. Er freue sich deshalb sehr auf die Schulsozialarbeiterin, die ab September ihre Arbeit aufnehmen wird. "Wir können sie sicherlich gut brauchen", sagte Novotny.

Auch Susanne Steiner, Leiterin der Realschule Roth, berichtete vom Verfall der Umgangsformen. Neulich sei ein Schüler ins Sekretariat gekommen und habe in dürren Worten erklärt: "Ich brauch ein Pflaster!" Es gebe kein Hallo mehr, kein Guten Morgen, kein Bitte und kein Danke. Deswegen werde ihre Schule bis Weihnachten den Fokus auf das Soziale legen. "Einmal pro Woche arbeiten wir eine Stunde an der Sozialkompetenz", sagte Steiner.

Am schwersten hat der Lockdown die Förderschüler getroffen. Zeitweise sei mehr als die Hälfte der insgesamt 500 Schülerinnen und Schüler in der aufgeblähten Notbetreuung gewesen, weil sie im Homeschooling völlig abgehängt waren. "Viele Schüler haben total den Rhythmus verloren. Die Eltern sind überfordert, die Kinder sind überfordert - Tendenz steigend, auch wegen der Perspektivlosigkeit", so die verheerende Bilanz von Schulleiterin Beate Buchholz.

Und die Zukunft sieht noch schwärzer aus. Als "Schwachsinn" bezeichnete Buchholz, dass ihrer Schule vom Ministerium Lehrerstunden gestrichen wurden, sie dafür aber ein Budget erhalte, um sich selbst Personal zu suchen. "Aber es gibt kaum Förderlehrer", kritisierte Buchholz. Die Methode sei ein "sicheres Zeichen dafür, dass der Markt leergefegt ist", bestätigte Landrat Eckstein. "Bedrückend", fasste Kreisrätin Christine Rodarius (SPD) aus Hilpoltstein die Berichte der Schulleiter zusammen. Die Schulen seien zwar digital gut ausgestattet, doch die soziale Kompetenz sei viel wichtiger als die Inhalte: "Es krankt doch am gesamten System."

HK