Ingolstadt
Zwischen Normalität und Grauen

18.01.2010 | Stand 03.12.2020, 4:20 Uhr

Die jüdische Haushaltsschule in Wolfratshausen war eine besondere Schule in einer besonderen Zeit: Die Historikerin und Filmemacherin Sybille Krafft (Mitte) und Museumsleiterin Gabriele Neumaier (rechts) führen durch die Schau. - Foto: Herbert

Ingolstadt (DK) Die Damen sind alt – 88 Jahre die jüngste, 99 die älteste. Und sie sind, wie sie da Auskunft geben über diese ganz besonderen Jahre ihrer Vergangenheit im bayerischen Wolfratshausen, berückend jung. Lebhaft, humorvoll, sprachgewandt – auch wenn das Deutsche längst nicht mehr ihre Sprache ist.




In England, den USA, Kanada und Israel leben die zwölf einstigen Schülerinnen der "Wirtschaftlichen Frauenschule auf dem Lande"; dort haben die Fernsehjournalistin Sybille Krafft und ihr Team sie interviewt. Der Film, der daraus entstanden ist: eine der Kostbarkeiten der Ausstellung "Wir lebten in einer Oase des Friedens" im Heinrich-Stiefel-Schulmuseum.

Ein Rückzugsort

Am Sonntag wurde unter großem Besucherinteresse die Schau eröffnet, die anhand des Films, von Dokumentationswänden mit Fotos, Legenden, historischen Quellen und Installationen die "Geschichte einer jüdischen Mädchenschule 1926–1938" erzählt. Jener Institution, die ursprünglich traditionelle jüdische Haushaltsführung vermitteln wollte, aber bald zum Rückzugsort vor Anfeindung wurde und die Mädchen, die schließlich aus dem gesamten deutschen Reich hier Zuflucht suchten, statt auf weiterführende Berufe auf die Emigration vorbereitete.

Die landwirtschaftliche Ausbildung, die disziplinierte Anleitung zur Autarkie, wird eine der Interviewten sagen, habe ihnen letztendlich das Rüstzeug gegeben, in der Fremde bestehen zu können. Obwohl die alten Damen sich noch heute mokieren über die einstigen Riten, die strengen Lehrerinnen, die Tricks und Vorlieben der Einzelnen. Teenager waren sie eben, und so fühlten und dachten sie.

Es ist das Schöne an der Schau, dass sie genau das schafft: den Bogen zwischen Normalität und Grauen. Und betroffen zu machen, ohne Betroffenheit von vornherein zu beschwören. Schlicht auf die Schule legt man den Fokus – und vermittelt so wie nebenbei das Schicksal jüdischer Familien in der NS-Zeit aus weiblicher Sicht. Eine Abteilung zur Schule selbst (wo sich an Zeugnissen auch Stundenpläne nachvollziehen lassen), eine zu zunehmenden Repressalien (darunter ein brutaler Drohbrief des ehemaligen Bürgermeisters), eine mit individuellen Schicksalen (auch der Ermordeten) – ein komplexes Bild entsteht so im (leider etwas abgelegenen) Ausstellungsraum im dritten Stock. Zeit sollte mitbringen, wer hier heraufsteigt.

Spuren in Ingolstadt

Zeit brauchte übrigens auch das ehrenamtliche (!) Team des Ausstellungsprojekts. Sieben Wolfratshausener Frauen, darunter Sybille Krafft, hatten sich 2002 auf Spurensuche nach diesem vergessenen Teil ihrer Stadtgeschichte gemacht. Hatten in internationalen Archiven nach den vermutlich über 500 Schülerinnen der Schule geforscht, die 1938 gewaltsam von den Nazis geschlossen wurde, Informationen über rund 100 gefunden, 50 angeschrieben, die zwölf Interviewbereiten aufgesucht und schließlich die Schau konzipiert.

Seitdem ist sie auf Wanderschaft: Bereits 20. Station ist Ingolstadt. Und doch etwas besonderes. Denn Museumsleiterin Gabriele Neumaier und eine siebenköpfige Schülergruppe griffen das Thema auf und forschten, mit Unterstützung des Historikers Theodor Straub, selbst: Nach der Ingolstädterin Beate Rosenbusch, die ebenfalls Schülerin in Wolfratshausen war. "Das war eine große Hoffnung von uns: Andere anzustoßen", sagte Sybille Krafft dankbar zu Eröffnung.