Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

31.05.2010 | Stand 03.12.2020, 3:58 Uhr

Anfeiern gegen das Elend: Engel (Jan Ole Sroka), Anne (Caroline Ebner) und Jenny ( Annette Paulmann). - Foto: Huber

München (DK) Schwere Vorhänge verdecken den Blick durchs Fenster nach draußen. Und wie von Geisterhand gezogen, schieben sich die Stores durch das mit einer Yucca-Palme, Stofftieren und einem Sofa karg bestückte Wohnzimmer (Bühnenbild: Eva-Maria Bauer).

Total abgeschottet hat sich Anne mit ihrem Vater (Jochen Noch), der nur aus dem Off zu hören ist und in knappen Sätzen mit seiner Tochter kommuniziert. Akkurat hält Anne ihre "gute Stube" sauber und legt Babystrampler zusammen, obwohl ein Baby vermutlich gar nicht vorhanden ist. Gespenstisch ist die Situation, bis man langsam erfährt, warum Anne so verstört ist und jeden Kontakt mit der Außenwelt meidet. Als Kind ist sie von ihrem Vater vergewaltigt worden und lebt trotzdem seit 40 Jahren mit ihm zusammen. Ihrer verstorbenen Mutter schuldet sie das, wie sie sich einredet, und rekapituliert mantramäßig die kruden "Lebensweisheiten" ihres Erzeugers und Seelenzerstörers.

Die Vorhänge als Symbol der Isolation von der Außenwelt, als Kokon der Ängste und verletzten Gefühle, werden erst etwas aufgezogen, als Annes Jugendfreundin Jenny zu Besuch kommt. Es wird heller im Raum, aber nicht in Annes Gemüt. Denn Jenny ist ebenfalls ein Psychowrack. Sie ist nur aufgekreuzt, um bei Anne ihr ebenfalls verpfuschtes Leben auszukotzen. Ein Baby hatte sie, das sie fahrlässig sterben ließ. Und ihren erneuten Kinderwunsch blockt ihr etwas einfältiger Mann (Jan Ole Sroka), der ebenso hilfesuchend wie zynisch Engel genannt wird, radikal ab.

Zwei Frauen, im Innersten restlos gebrochen, sehen in ihrer Existenz keinen Sinn mehr, ergehen sich in Larmoyanz und wütenden Selbstbezichtigungen und überhäufen sich gegenseitig mit Vorwürfen, Eifersüchteleien und hysterischen Ausbrüchen.

"Sonst ist alles drinnen" der 32-jährigen Anne Lepper wurde im vergangenen Jahr mit dem Förderpreis für deutschsprachige Dramatik ausgezeichnet und nun in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Ein deprimierendes Stück, das die Regisseurin Jessica Glause zwischen realem Horror und visualisierten Albträumen, zwischen Psychoschocker und einer aufgesetzt lustigen Geburtstagsfeier angesiedelt hat. Wie hinter dem Panzer der Verdrängungen die seelischen Wunden beider Frauen immer wieder aufbrechen, dies hat die Regisseurin höchst eindrucksvoll herausgearbeitet und dabei manch papierne Dialoge der Autorin ideal übertüncht.

Vor allem jedoch glänzen Annette Paulmann und Caroline Ebner als die aus unterschiedlichen Gründen Traumatisierten. Wie hinter dem Bemühen von Anne und Jenny, die Nachtseiten ihres Daseins zu vergessen, das erlebte Grauen immer wieder hochkommt – diesen inneren Kampf zwischen Hoffnung und Verzweiflung zeigen die beiden Schauspielerinnen ebenso einfühlsam wie eindringlich auf.

Kurzum: Ein Debütstück in knapper Sprache, aber mit tief auslotender Seelenanalyse einer verheißungsvollen Autorin und eine Uraufführung, die gewaltig unter die Haut geht. Das Premierenpublikum spendete denn auch sehr lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligten.