Zwischen Elfenbeinturm und Rednerpult

Das Münchner Literaturhaus präsentiert die fabelhafte Ausstellung "Thomas Mann. Democracy Will Win"

10.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:18 Uhr
Barbara Reitter-Welter
Im US-amerikanischen Exil: Thomas Mann mit Tochter Elisabeth 1946 in Pacific Palisades, einem Nobelvorort von Los Angeles. In der "Weißen Villa" (unten) hat die Familie Mann zwischen 1942 und 1952 gelebt. −Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv

München - Was für ein Gegensatz!

Während aus dem Weißen Haus in Washington seit drei Jahren das Dauer-Mantra "America first" dröhnt, gingen aus dem "Weißen Haus des Exils" die "Voices for Democracy" um die Welt. Das waren jene 55 Radioansprachen, die der deutsche Großschriftsteller Thomas Mann während des Hitler-Regimes von 1940 bis 1945 nach Europa schickte, um die am Krieg Beteiligten aufzuklären, zu warnen, aufzurütteln. Beide Stimmen kann man hören in der ebenso klug konzipierten wie effektvoll inszenierten Schau im Münchner Literaturhaus, welche unter dem Motto "Thomas Mann: Democracy Will Win" das politische Engagement des Nobelpreisträgers im amerikanischen Exil thematisiert - ein hochaktuelles Thema in Zeiten wachsenden Nationalismus und Populismus.

Thomas Mann war keiner, der mit dem verbalen Säbel rasselte, er nutzte elegant und ästhetisch das Florett. Doch sein Ton wurde schärfer, die Attacken gegen die NS-Herrschaft im Laufe der Jahre radikaler. Dabei verdankte er seine Politisierung dem Drängen seiner Kinder Erika und Klaus, die den Vater erst ab 1936 zu dezidierter Haltung gegen "Bruder Hitler" brachten - was letztlich zu seiner Ausbürgerung aus Deutschland führte! Dieser Entwicklung ist der erste Teil der Ausstellung gewidmet, welche Manns Veränderung vom konservativen Monarchisten zum kritischen "Vernunftrepublikaner" bis zum scharfen Gegner des Nationalsozialismus nachzeichnet.

Das wird nicht trocken textlastig, sondern multimedial mit Fotos und Dokumenten, Hörbeispielen und Filmausschnitten präsentiert. Diese finden sich im stilisierten Nachbau seiner "Weißen Villa" in Pacific Palisades, einem Nobelvorort von Los Angeles. Der erste Ausstellungssaal führt in das eher behäbige Ambiente seines Arbeitszimmers, ausgestattet mit Perserteppichen und geblümter Tapete. Doch zwischen Schreibtisch und Büchern setzen fünf Leitbegriffe das Signal: Herkunft, Zeitgeist, Bekenntnis, Handeln und Verantwortung. Dazu passend arrangiert sind die entsprechenden Info-Materialien, mit welchen ein historischer Bogen bis in die Gegenwart gespannt wird, der Fragestellungen der Demokratie aufwirft - und das nicht nur anhand der Nürnberger Prozesse, Ungarn 1956, Prag 1968 bis zur Wiedervereinigung 1989.

Von diesem Raum wird der Besucher zur sonnendurchfluteten Terrasse der Villa mit Blick auf die berühmten Palmen im Garten geleitet. Das bewusst gesetzte Innen und Außen mag symbolisch für die Zerrissenheit Thomas Manns stehen, der in den USA immer wieder zum Spagat zwischen konzentrierter literarischer Arbeit im Elfenbeinturm und den engagierten Lectures zur Demokratie gezwungen war.

Zum Schluss eine Anekdote am Rande: Beim Presserundgang erzählte Manns Enkel Frido von seiner kürzlich beendeten Lesetour durch die Staaten: gut aufgenommen an Ost- und Westküste, mit Ablehnung konfrontiert im Herzen des Landes, das noch immer weit weg von Thomas Manns "Democracy Will Win" ist.

DK


Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, bis 4. Oktober, täglich zwischen 11 und 18 Uhr. Weitere Informationen unter www. literaturhaus-muenchen. de.

Barbara Reitter-Welter