Neuburg
Zweifel an der "kommunalen Intelligenz"

Im Café Wortschatz diskutieren Experten über ein entsprechendes Buch von Gerald Hüther

16.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:40 Uhr

Der "Kommunalen Intelligenz" kritisch auf der Spur: Buchhändlerin Hedwig Eser (v. l.), die Lehrerin Rita J. Kunze, die Geisteswissenschaftlerin Stefanie Hass und Politiker Horst Gutjahr. - Foto: Heumann

Neuburg (lm) Stichwort "Kommunale Intelligenz" - da kommen einem wie Horst Gutjahr, der seine vierzig Jahre Kommunalpolitik auf dem Buckel hat, rasch Zweifel. Ja, es gebe durchaus intelligente Politiker, es gebe auch intelligente Beschlüsse. Aber in der Summe müsse man den Begriff doch "sehr kritisch hinterfragen".

Von daher standen am Ende auch mehr Zweifel und Fragezeichen unter dem "Denk-Experiment", wie sie es nannte, zu dem die Buchhändlerin Hedwig Eser ins Café Wortschatz eingeladen hatte. Den Schatz, den es diesmal zu heben galt, waren die Gedankenspiele, die der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther eben über die "Kommunale Intelligenz" anstellt. Hüthers Modell übertragbar gar auf die Politkultur vor Ort? - Zu kurz und vor allem schön gedacht, pflichteten im Resümee die langjährige Gymnasiallehrerin Rita J. Kunze und die Eichstätter Geisteswissenschaftlerin Stefanie Hass der kritischen Hinterfragung Gutjahrs bei.

Hüther vergleicht höchst einleuchtend in seinem Buch Städte mit dem Gehirn. Wie dieses durch die Schädeldecke im Wachstum begrenzt ist, könnten auch Kommunen nicht beliebig wachsen. Dennoch meistert das Gehirn neue Aufgabenstellungen durch immer wieder neue intelligente Verknüpfungen und Variationen seiner dadurch viel besser nutzbaren Potenziale. Dieses Muster will der Forscher nun auf die Kommune übertragen; die Kernforderung: "Wir brauchen eine neue Beziehungskultur." Aber Hüther weiß sehr wohl: Das Umdenken fällt schwer. Jedoch: Weiterentwicklung und echtes Wachstum sind jederzeit möglich. "Aber nicht durch mehr Einwohner, mehr Gewerbetreibende, mehr Kinder oder gar mehr Geld, sondern durch eine günstigere Art des Umgangs miteinander: durch intensivere, einander unterstützende, einander einladende, ermutigende und inspirierende Beziehungen" aller Bürger. Menschen könnten "die in ihnen angelegten Potenziale nur innerhalb einer Gemeinschaft entfalten, der sie sich zugehörig, in der sie sich geborgen und sicher fühlen".

Für die Zukunftsfähigkeit der Kommunen gehe es, so die Folgerung, vor allem um die Lernfähigkeit innerhalb von Gemeinschaften - im Idealfall ein gegenseitiger Prozess. Pädagogen lesen so einen Satz naturgemäß weniger gern: "Worauf es im Leben ankommt, lässt sich nicht unterrichten", erst eigene Erfahrungen strukturierten das Gehirn, weiß der Forscher. Aber zielt eine zeitgemäße Pädagogik nicht genau in diese Richtung, das eigenständige Lernen, Denken und Handeln zu fördern? Ist Hüther, muss man wohl auch fragen, nicht im Grunde stark vom amerikanischen Behaviorismus beeinflusst, der allzu sehr von der Konditionierbarkeit des Menschen ausgeht, man schaffe nur die entsprechende Umgebung, und der Mensch und letztlich alles würden dann schon gut.

Den Kommunen stellt Gerald Hüther freilich nicht das beste Zeugnis aus. Sie seien ganz wesentlich eine Gemeinschaft zur Besitzstandswahrung geworden. Den zentralen Begriff, den Hüther dann ableitet, ist die "Community Education". Zielpunkt dieser "Erziehung" könnte dann eine andere Beziehungskultur sein. In der müsste spürbar werden, "das jedes Mitglied einer Kommune mit seinen besonderen Erfahrungen, seinem Wissen und seinen Fähigkeiten dazugehört und gebraucht wird, um dieses Zusammenleben zu gestalten". Dass Lob und Anerkennung weiterbringen, weiß die Pädagogin Kunze nur zu gut. Doch, da sind sich alle drei auf dem Podium ziemlich einig: An der Alltagswirklichkeit in Schule und Kommune gingen die universitären Gedankenspiele des Gehirnforschers ein gutes Stück vorbei. "Das Buch ist eine Idealvorstellung", urteilt Ex-Rektor und Ex-Bürgermeister Gutjahr.