Pfaffenhofen
Zwei auf einem Gleis

Kerstin und Harry Welker haben mit über 50 eine Ausbildung bei der Bahn absolviert

29.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:22 Uhr

Die Eheleute Kerstin und Harry Welker aus Pfaffenhofen haben mit über 50 Jahren eine neue Ausbildung gemacht – und sind jetzt Kollegen bei der Deutschen Bahn - Foto: Foto Hofmann

Pfaffenhofen (DK) Menschen über 50 haben es auf dem Arbeitsmarkt nicht gerade leicht. Es geht aber auch anders, wie ein Fall zeigt, von dem die Agentur für Arbeit berichtet: Die Pfaffenhofener Eheleute Kerstin und Harry Welker haben nach einer erneuten Ausbildung beruflich und privat ihr Glück gefunden.

„Machen wir uns mal nichts vor: Die Chancen auf einen guten Arbeitsplatz sind mit über 50 nicht sonderlich berauschend.“ Kerstin und Harry Welker wissen, wovon sie sprechen. Beide waren arbeitslos, als sie sich im Spätsommer 2014 entschieden, mit über 50 Jahren bei der Deutschen Bahn eine Ausbildung zum sogenannten „Kundenbetreuer im Nahverkehr mit betrieblichen Aufgaben“ zu beginnen – landläufig auch als Schaffner oder Zugbegleiter bekannt. Heute sind die beiden nicht nur stolz, es geschafft, sondern auch glücklich, es gewagt zu haben.

Harry Welker, Jahrgang 1963, ist ein waschechter Pfaffenhofener. Nach der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bei Karstadt in München zog es ihn zur Bundeswehr, ehe er vorwiegend in der Logistik und als Druckvorlagenhersteller seinen Lebensunterhalt verdiente. Ende Mai 2014 erhielt er überraschend von seinem Arbeitgeber die Kündigung und meldete sich gezwungenermaßen arbeitslos.

Seine Gattin Kerstin, Jahrgang 1964, wuchs in der Nähe von Cottbus auf und absolvierte eine Lehre zur Industrienäherin, qualifizierte sich später zur Elektronikfacharbeiterin und schulte nach der Wende zur Bürokauffrau um. Fast auf den Tag genau an ihrem 50. Geburtstag wurde sie gekündigt. „Ich suchte wieder eine Stelle im Büro und bewarb mich auch ausschließlich auf derartige Stellen. Meine Arbeitsvermittlerin versuchte jedoch, mein Augenmerk auch auf andere Bereiche zu lenken.“ Verheiratet sind beide seit dem 8. August 2008. „Meine Frau ist für mich mein ganz persönlicher Sechser im Lotto“, schwärmt Gatte Harry von seiner besseren Hälfte. „Wenn ich sie nicht hätte, müsste ich sie glatt erfinden.“

Auf die Idee, sich für eine Ausbildung zum Zugbegleiter bei der Bahn zu bewerben, brachte die beiden ihre Vermittlerin der Ingolstädter Arbeitsagentur, die sich speziell um Arbeitslose über 50 Jahre kümmert: „Sie erfuhr, dass dringend Zugbegleiter gesucht werden, und hat gleich an uns gedacht“, erinnert sich Kerstin Welker. Danach ging alles rasend schnell: „Bereits zweieinhalb Stunden, nachdem unsere Bewerbungsunterlagen an die Personalabteilung der DB Region AG München gemailt waren, erhielten wir von dort einen Anruf und die Einladung für ein Vorstellungsgespräch am 8. August – unserem Hochzeitstag.“ Das konnte nur ein gutes Omen sein, habe sie gedacht.

Und so war es dann auch: Zwei Monate später starteten die beiden ihre Ausbildung. Und erst einmal hieß es, das Lernen wieder zu lernen. „Mit über 50 Jahren saßen wir nun da, haben Hausaufgaben gemacht, Skripte vor Lernzielkontrollen ausgearbeitet, uns gegenseitig abgefragt und vor Prüfungen so richtig gebibbert“, erinnert sich Kerstin Welker. Nach der Integration in den Klassenverbund – zwischen 19 und 51 Jahren war alles vertreten – stellte der betrieblich-technische Teil der Ausbildung die größte Herausforderung für beide dar: „Brems- und Türsysteme, Störungsbehebungen bei Türen, Toiletten, Heizung, Sicherheit der Fahrgäste und des Zuges, Signale, Rangieren, Weichenstellungen – es war schon heftig, was wir in kurzer Zeit in unsere Köpfe bekommen mussten“, resümiert das Paar. „Wer nicht den notwendigen Ehrgeiz und Willen mitbringt, es zu schaffen, der bleibt im wahrsten Sinne des Wortes auf der Strecke.“ Heute sind beide stolz, es geschafft zu haben: „Vor allem, weil wir es uns hart erarbeitet haben.“

Die beiden sind im Regio-Verkehr auf der Strecke München-Nürnberg zu Hause und erleben dabei viel Positives: „Es sind die kleinen und großen Zwischenmenschlichkeiten, die wir mit unseren Fahrgästen haben und die sie mit uns teilen“, versichern beide. Besonders in Erinnerung ist Kerstin Welker eine Begegnung geblieben, die sie während einer Streikphase bei der Deutschen Bahn erlebte: „Eine Reisegruppe, die sich als Kirchenchor offenbarte, sang mir spontan ein Ständchen, weil auch durch meinen Einsatz dieser Zug fahren würde“, erzählt sie lächelnd.