Zuversicht und Leichtigkeit im Novembergrau

CD-Tipp statt Jazztage-Konzert: Melody Gardot legt mit "Sunset In The Blue" ein hinreißendes neues Album vor

09.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:18 Uhr
Charismatische Musikerin mit großer Stimme: Die Sängerin Melody Gardot wäre am vergangenen Sonntag in Ingolstadt aufgetreten. Das Konzert im Rahmen der Ingolstädter Jazztage wurde Corona-bedingt auf den 7. November nächsten Jahres verlegt. −Foto: Laurence Laborie, Universal Music

Ingolstadt - Was wäre das für ein Konzert am vergangenen Sonntag geworden!

Melody Gardot nach 2015 erneut auf der Bühne des Festsaals in Ingolstadt. Doch der Auftritt der 35-jährigen US-Amerikanerin im Rahmen der Jazztage wurde Corona-bedingt abgesagt. Sie hätte vielleicht Hits wie "Baby I'm A Fool" oder "Love Is Easy" präsentiert, hätte gemeinsam mit ihrer Band Songs von ihrer neuen CD vorgestellt. Und allein diese wären Garant für einen großartigen Abend gewesen.

"Sunset In The Blue" ist das fünfte Studioalbum der außergewöhnlichen und charismatischen Sängerin, Pianistin und Gitarristin, die Genre-übergreifend und experimentell - zwischen Folk, Blues, Swing, Latin und Jazz changierend - ihren Erfolgsweg geht. Die stets Neues entdeckt, die sich gerne auf Reisen durch die Welt von Rio de Janeiro bis Marrakesch, von Lissabon bis Buenos Aires von den Menschen, der Kultur, den Landschaften begeistern und von den musikalischen Einflüssen inspirieren lässt. So auch auf "Sunset In The Blue".

Neben Cover-Songs wie "Love Song", "You Won't Forget Me", "I Fall in Love Too Easily" - als reduzierte Unplugged-Version - oder dem Mancini-Klassiker "Moon River" - betörend schön interpretiert - singt sie eigene Kompositionen mit Welteinfluss. Zum großen Thema Liebe. Bei "C'est Magnifique" mit dem Fado-Sänger Antonio Zambujo auf Portugiesisch, Französisch und Englisch. Der Saudade huldigt sie auch in "Um Beijo" mit einem fantastischen Trompetensolo von Till Brönner, der auch im ersten Song "If You Love Me" zu hören ist. Gardot mischt in zwölf Stücken Bossa Nova und satten Orchester-Sound, der dem Pathos entkommt, leise Töne und schnelle Rhythmen mit afrobrasilianischen und afrokubanischen Schlaginstrumenten, elegante Arrangements und schwebender Leichtigkeit.

Wie alle anderen Künstlerinnen und Künstler hat die Pandemie mit ihren Folgen auch Melody Gardot ausgebremst. Doch sie ließ sich nicht beirren. Für "From Paris With Love" hat Gardot, die in der französischen Hauptstadt lebt, während des Lockdowns kurzfristig zum Casting aufgerufen und mit 40 Musikern in einem virtuellen Orchester, dem "Global Digital Orchestra", die erste Single veröffentlicht. Sie habe es aus "Solidarität, aus Brüderlichkeit mit denen getan, die Corona zeitweise zum Verstummen" gebracht habe, sagte sie. Und: "Es gibt so viele großartige Musiker auf dem Planeten, die derzeit nicht in der Lage sind, ihre Kunst zu leben oder ihren Beruf auszuüben. Ich bin zu Hause in Paris und warte wie alle anderen. Mir ist klar geworden, dass wir versuchen können, gemeinsam etwas Schönes zu erschaffen und virtuell Grenzen zu überwinden. Ich hoffe, dieses Projekt vermittelt etwas Liebe und Hoffnung. " Die ausgewählten Musiker erhielten professionelle Studiotarife, die Lizenzgebühren hat Gardot an Wohltätigkeitsorganisationen zugunsten von Mitarbeitern des Gesundheitswesens gespendet.

Für den Videoclip des Songs hat sie Fans weltweit eingeladen, kurze Videoporträts von sich mit dem Zeichen "From (ihre Stadt) With Love" beizusteuern. Die Leute haben geliefert: von Malmö bis Moskau, von Las Vegas bis Köln. Anfang Juni schließlich hat die Musikerin die erste Covid-19-sichere Studio-Session in den Abbey Road Studios in London, die erstmals in ihrer 90-jährigen Geschichte schließen mussten, aufgenommen, zusammen mit dem Royal Philharmonic Orchestra. Da waren sie und ihr langjähriger Produzent Larry Klein aber wegen der geltenden Reisebeschränkungen nur virtuell zugeschaltet. Sie aus Paris, er aus Los Angeles. CD und Schallplatte konnten Ende Oktober erscheinen.

Etwas aus der nostalgischen und melancholisch-sehnsüchtigen Stimmung des Albums fällt das Duett mit Sting, als Bonus Track nur auf der CD. "Little Something" hat Ohrwurmqualität, animiert zum Tanzen, ist aber weniger subtil und geheimnisvoll. Aber, warum nicht? ! Ein leichter, latin-gefärbter Pop-Track, der zwei großartige und unverkennbare Stimmen vereint. Mit oder ohne Sting: "Sunset In The Blue" ist ein Album, das lichte Momente und Zuversicht in das Novembergrau und in diese komplizierten Zeiten zaubern kann. Und: Am 7. November 2021 gibt es im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt die nächste Chance für einen Auftritt der Ausnahmemusikerin.

ZUR CD UND PLATTECover und Booklet der CD und der Schallplatte zeigen ein Werk der US-amerikanische Künstlerin Pat Steir von 2019: "Untitled IX, (Taipei)". Die 80-Jährige gehört zu den einflussreichen und international renommierten Vertreterinnen der Konzept- und Installationskunst. Bekannt sind ihre Malereien der Serie "Waterfall", die sie auch 1992 auf der documenta IX in Kassel ausgestellt hat. Dabei stand die Künstlerin auf einer Leiter und ließ die verdünnte Farbe auf einer bis zu elf Meter großen Leinwand nach unten strömen. Das Ergebnis waren Farbspuren, die an einen Wasserfall oder an Kaskaden erinnern. Wie auf dem Bild des Covers von "Sunset in The Blue". Das neue Album ist bei Decca erschienen und kostet zirka 16 Euro, die Schallplatte etwa 28 Euro.

DK

Katrin Fehr