Eichstätt
Zurück von den Wanderjahren

Gerhard Lutz hat nach der Lehrzeit seine Heimat für mehr als drei Jahre verlassen - jetzt ist er wieder da

21.12.2018 | Stand 23.09.2023, 5:28 Uhr
Siegfried Fries
  −Foto: Fries, Siegfried, Pollenfeld

Pollenfeld (EK) Es ist eine jahrhundertealte Tradition: Die Wanderjahre, auch Walz genannt, schließen an die abgeschlossene Lehre einiger Handwerksberufe an. Auch der Pollenfelder Steinmetzgeselle Gerhard Lutz hat sich aufgemacht und ist drei Jahre umhergezogen.

Im Juni 2015 wurde der Steinmetzgeselle Gerhard Lutz verabschiedet. Lutz machte damals seinen lang gehegten Traum wahr und begab sich auf die Walz. Er kehrte in Begleitung einiger Zunftkollegen seinem Heimatort und seiner Familie den Rücken, um als "rechtschaffender Fremder" für mindestens drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft zu gehen. Jetzt kam er in seinen Heimatort zurück, in der selben steingrauen Kluft in der er gegangen ist, als Gepäck den Charlottenburger um die Schulter, die Ehrbarkeit, also den Schlips um den Hals geknüpft und mit seinem Stenz, dem Wanderstab aus Eberesche. Der Empfang in der Heimat war überwältigend, als er wie angekündigt aus Richtung Wachenzell kommend, mit einigen Gleichgesinnten und seiner neuen Freundin Kristine, die extra aus Norwegen angereist war, die Pollenfelder Ortsgrenze überschritt.

Als er vor knapp dreieinhalb Jahren losgezogen war, wurde er sechs Wochen lang von einem "Exportkollegen" begleitet, der ihn in das Leben und die Rituale der Wandergesellen einführte. "Als der mich dann verlassen hat, war das schon ein mulmiges Gefühl, jetzt ganz alleine zu sein. Wo will ich eigentlich hin, was mache ich als nächstes?" erinnert sich Lutz. Wanderfreunde haben ihn in dieser Phase aufgefangen und mit in die Toskana genommen, wo er sechs Wochen lang arbeitete. Unter diesen Kameraden hat er "Brüder für`s Leben" gefunden, wie Lutz es ausdrückt.

In dem penibel geführten Wanderbuch kann man seine Stationen und Arbeitsstellen quer durch Deutschland bis nach Norwegen und zurück lückenlos nachvollziehen. Das Buch ist voll mit Stempeln und Siegeln, die der Geselle "zünftig um das Siegel vorsprechend" bei den Gemeinden und Städten, die er durchreist hat, erbittet. Natürlich war es das Ziel während der Wanderschaft in seinem Beruf zu arbeiten. "Doch um durch zu kommen, darf man nicht immer zu wählerisch sein und Flauten sind durchaus üblich." So arbeitete Gerhard Lutz neben seinem Beruf als Steinmetz auch als Beton- und Trockenbauer, in einem landwirtschaftlichen Betrieb, in einem Bergbauunternehmen, als Garten- und Landschaftsbauer oder sogar als Bierbrauer.

Wo wohnt und schläft man auf der Walz? "Meistens beim Arbeitgeber, aber auch in Scheunen, unter Brücken oder in Vorräumen von Banken, da ist es relativ warm", erzählt Lutz mit dem Hinweis, dass ein guter Schlafsack ein sehr wichtiges Reiseutensil sei. Aber: "Man erfährt viel Unterstützung von der Gesellschaft. Das hätte ich vor Antritt der Wanderschaft nie erwartet. Die Kluft und der Stenz sind sehr oft ein Türöffner." So berichtet er von einem Autofahrer, der ihn und einen Wanderkollegen mit in die nächste Stadt genommen hat. Als sie nicht wussten, wo sie die Nacht verbringen sollten, hat er sie kurzerhand mit nach Hause genommen. Am nächsten Morgen ging der Hausherr zur Arbeit und verabschiedete sie mit den Worten: "Wenn ihr geht, macht einfach die Tür hinter euch zu". "Da war schon blindes Vertrauen da", meint Lutz.

Während der Walz darf man einen Bannkreis von 50 Kilometern um den Heimatort nicht betreten. Einmal musste Lutz diese Bedingung allerdings brechen. Zur Beerdigung seines Großvaters durfte er nach Hause zurückkehren. Der Kontakt nach Hause war trotz dem Bannkreis immer vorhanden. Zwar darf ein rechtschaffender Fremder kein Handy benutzen, doch man hat meist die Möglichkeit beim Arbeitgeber zu telefonieren, in einem Internetcafe eine E-Mail oder eine Postkarte zu schreiben. Um zu zeigen, dass dies nicht unüblich ist, zieht Lutz zwei Briefmarkenbögen aus seinem Wanderbuch. Warum neben Marken für Postkarten, auch Briefmarken im Wert von 90 Cent? "Die benötigt man für Postkarten nach Norwegen", so Lutz. Ja, Norwegen. Dort in der Hafenstadt Bergen hat er auf seiner Wanderschaft Kristine, eine junge Norwegerin, kennen und lieben gelernt. Deshalb war Lutz auch die letzten Monate vor seinem Rückmarsch und seiner "Einheimischmeldung" auf der skandinavischen Halbinsel. Von dieser Beziehung wird es abhängen, wie es bei Lutz weitergeht. "Vielleicht geht es für längere Zeit wieder nach Norwegen zurück".

Auf die Frage, ob es etwas ganz besonderes von der Walz zu berichten gibt, antwortet Lutz: "Ich weiß nicht, ob es etwas besonders ist, aber ich habe viele nette und hilfsbereite Menschen getroffen und Erfahrungen gemacht, die ich nicht missen möchte. Ich habe die Mitternachtssonne im Hohen Norden erlebt und in der Toskana Wölfe heulen hören. Trotz aller Widrigkeiten habe ich keine Minute meiner Reise bereut und kann jedem jungen Gesellen nur raten, dieses Erlebnis zu wagen".
 

Siegfried Fries