Ingolstadt
Zum Kandidieren nach Kabul

21.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:27 Uhr

Das Grundgesetz Afghanistans hält Shahista Saleh hier in den Händen. Die 40-Jährige, die seit ihrer Kindheit in Ingolstadt lebt, will in ihre Geburtsstadt Kabul zurückkehren und bei den Parlamentswahlen kandidieren. - Fotos: Eberl/Saleh

Die Ingolstädterin Shahista Saleh will in ihre afghanische Geburtsstadt zurückkehren,
um bei den Parlamentswahlen anzutreten. Dahinter steht die Idee, ihren Landsleuten zu helfen. Es geht ihr um Bildung und Frauenrechte. Sie riskiert ihr Leben.

Ingolstadt (DK) Vor Reisen nach Afghanistan warnt das Auswärtige Amt dringend. Weiter heißt es auf der Internetseite: "Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch terroristische oder kriminell motivierte Gewalttaten bewusst sein." Shahista Saleh lässt sich durch solche Warnungen nicht abschrecken: Die Ingolstädterin will in ihre Heimat zurückkehren, um dort bei den nächsten Parlamentswahlen zu kandidieren. Auf diesem Wege möchte sie Einfluss gewinnen, um ihrem Land wirksam zu helfen. Im Kleinen tut die 40-Jährige das schon seit Jahren. Nun aber will sie wirklich etwas verändern in Afghanistan, sich für Frauenrechte, Waisenkinder, Bildung und Hygiene einsetzen. Deshalb heißt es: Raus aus der Komfortzone - rein ins Krisengebiet. Heute ist sie für einen kurzen Aufenthalt nach Kabul geflogen, um die ersten Vorbereitungen zu treffen. "Es wird ein langer Weg. Aber wenn ich mir ein Ziel setze, dann arbeite ich mit ganzen Herzen dafür. Ich bin eine Kämpferin."

Wenn sie anderen von ihren Plänen erzählt, stößt sie meist auf ungläubiges Kopfschütteln. Manche halten sie auch schlicht für verrückt. "Warum heiratest du nicht einen netten jungen Mann und genießt dein Leben", meinte ihr mittlerweile verstorbener Vater immer, wenn sie wieder einmal von ihrer Idee sprach, nach Afghanistan zurückzukehren und Politikerin zu werden. "Er hat mir aber seinen Segen gegeben, als er starb", sagt Shahista Saleh, und man spürt, wie wichtig ihr das ist. Jetzt kann sie nichts mehr aufhalten.

Sie kam in Kabul zur Welt und stammt aus einer wohlhabenden, adeligen Familie. 1986 kamen die Salehs als Asylbewerber nach Ingolstadt. "Wir waren die ersten Flüchtlinge aus Afghanistan", erzählt sie. Der DONAUKURIER berichtete damals über das Ereignis und fotografierte die Familie beim Deutschlernen. Shahista war zu dem Zeitpunkt zehn Jahre alt und kam auf die Lessingschule. Später wechselte sie auf die Realschule und machte dann eine Ausbildung als pharmazeutisch-technische Assistentin. Sie hat Weiterbildungen als Ernährungsberaterin und Betriebsinformatikerin absolviert. "Ich habe in mehreren Apotheken gearbeitet und bin auch als Dolmetscherin für die Kripo und Rechtsanwälte tätig."

Sie könnte ein sorgloses Leben führen, aber das Leid ihrer Landsleute lässt sie nicht los. Seit 20 Jahren schon arbeitet Saleh ehrenamtlich für die Hilfsorganisation "Friedensdorf international", die kranke und verletzte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten zur medizinischen Versorgung nach Deutschland holt. Saleh betreut Kinder wie Amina, die mit ihrer Familie in Afghanistan zu einer Hochzeit fuhr, als das Auto plötzlich von einer Landmine zerfetzt wurde. Die Eltern starben bei der Explosion, das kleine Mädchen kam schwer krank nach Ingolstadt. "Die medizinische Versorgung in Afghanistan ist so mangelhaft - schlechter geht es gar nicht mehr."

Zuletzt hat Saleh ihre Geburtsstadt Kabul im Dezember 2016 besucht. Sie hat Fotos von Kindern in Lumpen, mit leeren, teilnahmslosen Blicken gemacht, die Plastiktüten verkaufen oder in rostigen Dosen Weihrauch anbieten, der eine reinigende Wirkung hat. Ein Bild zeigt einen kleinen Schuhputzer, der zugeschneit auf der Straße hockt. "Früher hatte Kabul 100 000 Einwohner, jetzt sind es 6 Millionen", berichtet sie. Aus dem ganzen Land kommen die Binnenflüchtlinge. "Die Stadt ist so schmutzig, dass mein Mundschutz abends schwarz ist." Die Straßen seien zerstört, überall liege Müll herum, Wasser gebe es fast gar nicht mehr und Brot sei dreimal so teuer wie früher.

Saleh zeigt ein Video von einem ausgetrockneten Flussbett: "Dieser Fluss war früher blau und klar. Das Haus meines Großvaters steht ganz in der Nähe." Jetzt sieht man nur noch ein Rinnsal, das sich durch Abfallberge schlängelt, dazwischen liegen Menschen wie Tote. "Das sind Drogenabhängige", erklärt sie. Eine Familie habe sie dort besucht, die lebe in Schmutz und Armut unter einer Plastikplane, die Mutter sei süchtig. "Die Frau werde ich ins Krankenhaus und die Kinder ins Waisenhaus bringen", erklärt die Ingolstädterin in ihrer resoluten Art. Außerdem will sie Minenarbeitern helfen, Müll sammeln und Bäume pflanzen: In Afghanistan ist Frühlingsanfang - und das Jahr 1396 hat gerade begonnen.

Es heißt, dass der Termin für die Parlamentswahlen in diesen Tagen bekannt gegeben werden soll. Sie hätten eigentlich schon 2015 stattfinden sollen, wurden aber immer wieder verschoben. Jetzt will Saleh ihre Chance nutzen, will den Weg ebnen für ihre politische Laufbahn. "Ich werde diesmal meine Freundin, die Journalistin, einladen, wenn ich meinen Landsleuten helfe", erklärt sie. "Ich hoffe natürlich auch auf Unterstützung aus Bayern, meiner anderen Heimat." Sie sucht Sponsoren für ihre Mission.

Eine Mission Impossible? Diese Frau strahlt so viel Zuversicht aus, als könne sie nichts und niemand aufhalten. "Die Lage in Afghanistan hat sich enorm verschlechtert in den letzten sechs Jahren", meint sie. "Das Leid ist so groß - es verschlägt einem die Sprache. Da muss ich einfach helfen." Dann zieht sie sich für das Zeitungsfoto den Spitzenschal übers Haar, so wie es Sitte ist in Afghanistan, und sagt entschlossen: "Ich werde es schaffen."