Ingolstadt
"Zum Glück sind wir hier"

Ingolstädter aus Polen beobachten ihr Heimatland mit Sorge

05.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:21 Uhr

Ingolstadt (DK) Natalia Granat liest Nachrichten aus ihrer Heimat zurzeit mit Verwunderung. „Ich kann nicht glauben, dass das passiert“, sagt die Polin, die seit 25 Jahren in Deutschland lebt. Seit die Polen im vergangenen Mai die konservative PiS-Partei gewählt haben, auch bekannt unter dem Namen Recht und Gerechtigkeit, verändert sich das Land.

Die Regierung setzte eine umstrittene Verfassungsänderung durch, jetzt folgte eine Reform der Mediengesetze – international als Eingriff in die Pressefreiheit kritisiert. Künftig ernennt die Regierung die Senderchefs des öffentlich-rechtlichen Rundfunks direkt. Natalia Granat wundert sich, dass die Polen damit auf Rechte verzichten, die sie sich beim Sturz der kommunistischen Regierung 1989 hart erkämpft hätten.

Doch nicht alle sehen die Situation so dramatisch wie die Ingolstädterin. „Die Partei ist von einer demokratischen Mehrheit gewählt worden“, betont Marlena Dusza-Makowska, Polin und Mitglied im Ingolstädter Migrationsrat. „Das muss man respektieren, auch wenn es einem nicht gefällt.“ Sie empfindet die kritische Berichterstattung als übertrieben – schließlich sei die Regierung erst seit wenigen Monaten im Amt. „Ich würde erst einmal ein bis zwei Jahre abwarten und ihnen dabei genau auf die Finger schauen“, sagt die 43-Jährige.

Dementsprechend kritisch beurteilt sie die Reaktion der Europäischen Union. Die prüft, ob sie gegen die polnische Reform vorgehen kann. „Natürlich wäre mehr Transparenz in Polen besser“, sagt Dusza-Makowska. „Aber es ist die Frage, ob das ein EU-Problem ist.“ Druck erzeuge immer auch Gegendruck und am Ende leiden die Bürger: Mit diesem Argument fordert sie mehr Gelassenheit. Wenn die Polin mit Bekannten aus der Heimat spricht, sei die Politik kein Thema. „Wenn es so tragisch wäre, würden meine Freunde es ansprechen“, sagt sie.

Ganz anders sieht das Markus Bregulla, der Vorsitzende des Deutsch-Polnischen Kulturvereins in Ingolstadt. Unter Polen würden sich zurzeit viele Gespräche um Politik drehen, berichtet er. Man brauche nicht abzuwarten, um die Situation beurteilen zu können: „Was die Regierung in diesen Tagen gemacht hat, ist der Hammer!“ Die Verwandten in Polen hätten inzwischen Angst vor der Zukunft. „Das neue Mediengesetz erinnert mich an die Zeiten, als die Kommunisten an der Macht waren“, sagt Bregulla.

Wenn der 52-Jährige vor einer neuen Diktatur warnt, weiß er, wovon er spricht: Er ist selbst 1988 vor dem Regime geflohen. Trotzdem kann er der aktuellen Situation auch etwas Gutes abgewinnen. In Polen organisieren Bürger gerade den Widerstand gegen die Regierung, solche Demonstrationen habe es seit 26 Jahren nicht gegeben, sagt Bregulla. Damals war die Bewegung Solidarnosc einer der Auslöser für den Fall des Eisernen Vorhangs. Jetzt würden viele Polen angesichts der Gefahr wieder zusammenrücken.

Dass die EU sich in dieser Sache zu Wort meldet, sieht allerdings auch der Vereinsvorsitzende mit gemischten Gefühlen. Zwar sei das ein positives Zeichen für die Polen, die sich nun gegen die Regierung engagieren, sagt er. Gleichzeitig sei der Parteivorsitzende der PiS-Partei, Jaroslaw Kaczynski, zu unberechenbar, um ihn auf diese Weise unter Druck zu setzen. Die Gespräche der Vereinsmitglieder liefen oft auf das Gleiche hinaus, berichtet Bregulla: „Zum Glück sind wir in Ingolstadt – und nicht drüben .“