Ingolstadt
Zum Anbeißen!

Umjubelte Premiere: Julia Mayr bringt "Eine Woche voller Samstage" ins Stadttheater Ingolstadt

11.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:56 Uhr
Zur großen Freude des Publikums fand das Sams (Constanze Rückert) immer etwas, das es anfressen konnte: Herrn Taschenbiers (Jan Sabo) Krawatte etwa - oder seinen Papierkorb. −Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Es ist laut. Es ist frech. Es kann herrlichen Unsinn zusammenreimen. Und es hat immer Hunger: das Sams. Ihr wisst doch hoffentlich, was ein Sams ist, oder?

Ein Sams ist ein kleines Wesen mit feuerrotem Haar, großen Knubbelzehen, prallrundem Bauch und einer vorwitzigen Rüsselnase, auf der sich aparte blaue Punkte tummeln. Diese Punkte haben es in sich. Es sind nämlich Wunschpunkte. Wer ein Sams besitzt, der kann sich wünschen, was er will - und jeder Wunsch geht sofort in Erfüllung. Als Herr Taschenbier allerdings Bekanntschaft mit dem Sams macht, weiß er davon nichts. Und so wünscht er sich allerlei Törichtes zusammen, bis er hinter das Sams-Geheimnis kommt. Da ist es fast schon zu spät - und die Punkte sind fast alle aufgebraucht. Aber wie das Sams überhaupt zu Herrn Taschenbier kommt, welche verrückten Abenteuer sie zusammen erleben und wie es "Papa" Taschenbier hilft, ein bisschen mutiger zu werden, davon erzählt Paul Maars Kinderbuchklassiker "Eine Woche voller Samstage", den das Stadttheater Ingolstadt heuer als Wintermärchen auserkoren hat - passend zum Spielzeitmotto "Fantasie an die Macht!".

Der Autor selbst hat das erste Buch seiner mittlerweile neunbändigen Kinderbuchreihe für die Bühne bearbeitet - und Regisseurin Julia Mayr hat das Stück im Großen Haus in Szene gesetzt. Die Premiere am Samstagabend war ausverkauft, und am Ende gab es für diese knallbunte, witzige Gute-Laune-Inszenierung viel Applaus.

1973 erschien das Buch erstmals - und in diesen 70ern hat Julia Mayr die Geschichte auch belassen. Die damalige Trendfarbe Orange setzt leuchtende Akzente - von Sams' Haarschopf bis zum Anzug des Kaufhaus-Abteilungsleiters -, auch gern in gewagten Kombinationen mit Braun und Senfgelb, Zickzack- und Karomustern, Schlaghosen und Puschelpantoffeln. Und in dem sehr kleinen, sehr ordentlichen Städtchen grüßt von der Litfaßsäule Franz Josef Strauß, der im selben Jahrzehnt zum bayerischen Ministerpräsident gewählt wird. Gelbe Häuser mit roten Dächern schmiegen sich aneinander. Ein Bild von Kinderhand gezeichnet scheint die Vorlage für Ausstatterin Dietlind Konold gewesen zu sein. Doch hinter diesem Gleich-und-Gleich verbergen sich raffinierte Bühnenlösungen. Wird die Drehbühne mittels Fahrradantrieb in Bewegung gesetzt, sieht man, dass in der Litfaßsäule eine Würstlbude steckt, zwei Haushälften sich zum Kaufhaus formen, ein Schrank sich als Obersteins Rechen-Büro entpuppt und Herr Taschenbier ein Mansardenzimmer bewohnt.

Hier sitzt er zu Beginn auf seinem Stuhl - und wartet. Worauf? Tja, das weiß er selber nicht genau. Warum er wartet? Das hat mit dieser seltsamen Woche zu tun, die am Sonntag mit Sonne begann. Am Montag kam dann Herr Mon, am Dienstag hatte Herr Taschenbier Dienst, am Mittwoch war die Mitte der Woche, am Donnerstag donnerte es und am Freitag hatte er frei. Heute ist Samstag - und Herr Taschenbier fragt sich, was dieser Samstag wohl bringen wird.

Es bringt das Sams - und mit ihm allerlei Vorkommnisse, Zwischenfälle, Geschehnisse im Wald und im Kaufhaus, in der Schule und zu Hause bei Frau Rotkohl. Denn das Sams ist unberechenbar, hat vor nichts und niemandem Respekt und nimmt alles so wortwörtlich, dass daraus spektakulär komisches Chaos entsteht. Constanze Rückert spielt dieses Sams in der Ingolstädter Inszenierung so wundersam und wild, so hingebungsvoll anarchisch, dass man es am liebsten gleich nach Hause mitnehmen würde. Wäre es nur nicht so gefräßig. In Ingolstadt frisst es alles an - Herrn Taschenbiers Krawatte, den Papierkorb und sogar ein Stück Wald, der so poetisch vom Schnürboden herabschwebt. Und wie sein draufgängerisches Wesen langsam auf Jan Sabos Taschenbier abfärbt, ist so keck wie berührend in Szene gesetzt. Manuela Brugger gibt den Hausdrachen Rotkohl mit Verve, und Emily Marie Seidel, Patrick Schlegel und Sebastian Witt teilen sich all die vielen anderen Rollen, sind Erzähler und Verkäuferin, Eisbär und Studienrat, Oberstein und Müllmann - ein verwegener Kostümmarathon, pfiffig choreografiert (Annette Taubmann), originell gespielt, superb gesungen. Die Musik von Markus Reyhani erweist sich dabei als so eingängig, gewitzt und erfinderisch wie die ganze Inszenierung.

Was am schönsten war? Vielleicht der Feuerwehreinsatz im Kaufhaus? Oder doch die Fahrrad-Drehbühne? Der krähende Karton? Die Zehen-Schuhe des Sams'? Das Bett-Ballett? Die knallbunten Kostüme? Herrn Taschenbiers tollkühne Tolle? Der Tango mit dem Eisbär? Das zauberhafte Entschwinden des Sams? Jedes einzelne davon und alles zusammen.

Und natürlich hat das Stück auch eine Botschaft: Lass dir nicht alles gefallen, trau dich was, sei ein bisschen mehr Sams! Das macht das Leben vielleicht nicht einfacher, aber auf jeden Fall macht es mehr Spaß.

Neben zahlreichen Schülervorstellungen gibt es auch drei Vorstellungen im freien Verkauf: 22. und 26. Dezember, 13. Januar. Kartentelefon (0841) 30547200.

Anja Witzke