Eysölden
Zufluchtsort für alte Rassen

Bio-Arche Gerstner in Eysölden setzt sich für selten gewordene Nutztiere ein "Will keine Zoohaltung"

21.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:03 Uhr

Foto: Volker Luff

Eysölden (HK) Von allen Tieren, "in denen Odem ist" (1 Mose 7,15), sollte Noah einst zwei Exemplare in seiner Arche retten. Bei Heinz Gerstner in Eysölden sind es nicht ganz so viele Arten. Doch das Prinzip ist ähnlich: Die Bio-Arche Gerstner bewahrt Tiere vor dem Aussterben.

Zumindest trägt sie dazu bei, dass die Artenvielfalt ein Stück weit erhalten bleibt. Denn: "Nicht der Gerstner aus Eysölden erhält die Rassen", sagt Heinz Gerstner ebenso bestimmt wie bescheiden. "Sondern die GEH." Diese Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen, so der volle Name, wurde 1981 gegründet mit dem Ziel, die Restbestände alter Haustierrassen zu erhalten. Gerstner ist Mitglied in diesem Verein, sogar ein sehr aktives. Vor 30 Jahren, als der Maurermeister, der nicht einmal aus einer Landwirtschaft heraus stammt, seinen Hof gründete, hätte er sich "nicht träumen lassen, was hier einmal entsteht". Rund 19 gefährdeten Haustierrassen ermöglicht die Familie Gerstner ein Überleben.

Wohlgemerkt: der Rasse. Nicht dem einzelnen Tier. "Erhalten können wir sie nur durch aufessen", sagt Gerstner. "Auch wenn das blöd klingt." Ziel sei es, alte Nutztierrassen wieder in den landwirtschaftlichen Kreislauf zu bringen, "ich will keine Zootierhaltung". Verdrängt worden sind solche alten, widerstandsfähigen Nutztierrassen von wenigen Hochleistungsrassen, die das Gros der Nahrungsmittelproduktion ausmachen.

So seien etwa die Koteletts von seinen Lämmern kleiner als beim Merinoschaf, von dem die Koteletts heutzutage gerne stammen, sagt Gerstner. Dafür hätten sie deutlich weniger Fettanteil. Und die Tiere ein längeres Leben. Das Merinolamm werde nach dreieinhalb Monaten geschlachtet, "da laufen meine noch mit der Mutter herum, meine Rassen brauchen Zeit zum Wachsen". Ein Dreivierteljahr dürfen sie sich mindestens ihres Daseins erfreuen. Und bringen beim Schlachten vielleicht 15 Kilogramm auf die Waage, nicht 25 - wie moderne Zuchttiere.

Rund 300 Schafe nennt die Familie Gerstner ihr Eigen, Brillenschafe, Alpine und Krainer Steinschafe, das Walliser Schwarznasenschaf und das Rouge du Roussillon, auch als Rotkopfschaf bekannt. Dazu kommen noch Ziegen, Hühner, Kaninchen und nicht zuletzt das Rottaler Pferd. Die Landwirtschaft im Nebenerwerb funktioniert, weil Heinz Gerstner auf seine Frau Anita sowie die Töchter Barbara und Alexandra bauen kann. Lediglich Bianca, die dritte Tochter des Ehepaars, hält es eher wie die Großeltern: Die hatten nämlich weder mütterlicherseits noch väterlicherseits etwas mit der Landwirtschaft zu tun. Doch Anita Gerstner teilt die Leidenschaft ihres Mannes, kümmert sich um die Tiere, wenn er als Bauleiter wieder unterwegs ist, vermarktet das Fleisch. Und nicht zuletzt Wolle und Wollprodukte, die sie selbst fertigt und als Direktvermarkterin nebst dem Fleisch vertreibt.

So kennt auch Anita Gerstner selbstverständlich die Geschichte des Karakulschafs, einer Rasse, die es auch ihrem Mann angetan hat. Es ist eine der ältesten Haustierrassen der Welt, Professor Julius Kühn, ein Agrarwissenschaftler des 19. Jahrhunderts, hat das Karakulschaf seinerzeit aus Zentralasien nach Deutschland eingeführt. Vor allem wegen der Tageslocke: Lämmer wurden bereits nach einem Tag geschlachtet, um an ihr Fell zu gelangen. "So etwas würde ich niemals machen", sagt seine Frau entsetzt. Aus dem Fell wurde "der Pelz der kleinen Leute" (Heinz Gerstner) produziert, der Persianer. Später kam das Tragen von Pelzen aus der Mode, der Tierbestand brach fast vollständig zusammen, lediglich in der DDR wurde das Karakulschaf noch gehalten.

Im vereinigten Deutschland gebe es noch sechs Züchter dieser Rasse. "Und von denen bin ich der jüngste", erzählt der 59-jährige Heinz Gerstner. Doch die Zucht erfordert Aufwand: "Ich bin der, der in Deutschland die meisten Schafe spazieren fährt", sagt er und lacht. Der Genpool soll schließlich erhalten bleiben.

Derartiges Engagement bleibt nicht unbemerkt. Auch auf Betreiben des Eysöldeners hat die GEH das Deutsche Karakulschaf zur "Gefährdeten Nutztierrasse des Jahres 2015" erkoren. Und so wurde die Baronin Stephanie von Reichenau auf den Arche-Hof in Eysölden aufmerksam. Die heute 93-Jährige ist nicht nur das Patenkind von Oskar, Prinz von Preußen und Sohn des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II., sondern auch die Urenkelin des Landwirtschafts-Reformators Julius Kühn. In Eysölden streichelte sie nach 83 Jahren wieder einem Karakulschaf über den Rücken - und sagte: "Ich hatte immer diese Sehnsucht."

Derlei Begeisterung können Gerstners zwar nachvollziehen, doch setzen sie aus anderen Gründen auf alte Rassen. Ideell um die Arten zu erhalten. Und ganz praktisch vor allem für die Landschaftspflege. "Alte Rassen sind anspruchslos", sagt Heinz Gerstner, "sie kommen mit kargem Futter zurecht." Das sei gerade auf Weiden der Fränkischen Sandachse wichtig, die ohne Schafe schnell verá †buschen würden. Gerstner steht wegen dieser Aufgabe seiner Tiere in engem Kontakt zum Bund Naturschutz. Andererseits sei ihm wichtig, dass sich die Tiere wohlfühlen. Wenn er zum Beispiel auf die Weide zu schreienden Tieren kommen würde, zöge er sie ab, sagt er. Das Wohlergehen seiner Schafe ist ihm wichtig - selbst im Tod. Schlachtungen am Fließband sind nicht seine Sache. Er halte das einzelne Tier ruhig in der Hand, bevor der tödliche Schuss fällt. "Sie meinen dann, ich schneide die Hufe aus", sagt Gerstner. "Das bilde ich mir zumindest ein - und das brauche ich auch selbst."

Zur Schafhaltung gehört die umfassende Vermarktung des Fleisches wie der Wolle. Um beides kümmert sich vor allem Anita Gerstner, die auf dem Hof, den die Familie vor vielen Jahren am Rande Eysöldens gekauft hat, einen Laden betreibt: die Woll-Arche. Die Kunden kommen nicht nur aus dem Landkreis, sondern "auch aus Ingolstadt und Nürnberg", erzählt sie. Für einen Schafschinken fährt mancher Gourmet auch weitere Strecken. Schon ein schöner Erfolg. "Aber man muss immer dranbleiben."

Anita Gerstner filzt, fertigt Hausschuhe, Hüte und robuste Stuhlkissen, denn die Wolle der alten Rassen ist widerstandsfähig. Und vielleicht auch ein wenig kratziger als heutzutage gewohnt, doch hat schon der Ötzi vor 5000 Jahren auf die Wolle des Krainer Steinschafs gesetzt. Wie heute Familie Gerstner.

Doch ob es noch lange so weitergehen wird, daran hat Heinz Gerstner leichte Zweifel. Er kommt herum, trifft Züchter auch im Osten. Und sieht dort, wie sich der Wolf ausbreitet, von Naturschützern oftmals gewünscht. Doch mit der Schafzucht im Freien wäre es dann wohl vorbei, befürchtet Gerstner, dessen Tiere auch im Winter draußen sind. "Dann haben wir Rassenerhaltung im Stall."