"Zu uns kommen keine Migranten"

Ungarns Außenminister verteidigt die harte Haltung der Orban-Regierung

14.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:30 Uhr
  −Foto: Zsolt BURGER/MFA

Herr Szijjártó, die CSU hat ausgesprochen lange zu Viktor Orban, seiner Politik und zu Ungarns Regierung gehalten.

Der CSU-Politiker Manfred Weber hat bis zuletzt versucht, Ihnen eine Brücke zur Europäischen Volkspartei zu bauen. Nun haben Sie ausgerechnet ihn erfolgreich als EU-Kommissionschef verhindert. Wieviel zählen Freundschaft und Verlässlichkeit in der Politik?
Péter Szijjártó: Zunächst einmal: Manfred Weber hat es nicht geschafft, für sich eine Mehrheit im Europäischen Parlament zu bekommen. Es ist eine Lüge, wenn das so dargestellt wird, als habe das an uns gelegen. Wir haben seine Kandidatur stets unterstützt, obwohl wir in vielen Fragen nicht einer Meinung waren. Aber nachdem er Ungarn schwer beleidigt hat, waren wir nicht mehr in der Lage, ihn weiter zu unterstützen. Ich bedaure sehr, dass das in der deutschen Presse geleugnet wird. Aber Fakt ist: Weber gab im ZDF ein Interview, in dem er gesagt hat, dass er nicht EU-Kommissionspräsident werden wolle, wenn das nur mit den ungarischen Stimmen ginge. Sind ungarische Stimmen und damit die Menschen in Ungarn weniger wert als die in anderen europäischen Nationen? Das ist eine Erniedrigung der Ungarn. Danach konnte ihn die ungarische Regierung nicht mehr unterstützen.

Man hat den Eindruck: Statt auf Europas Bürgerliche und Konservative in der EVP zu setzen, machen Sie lieber gemeinsame Politik und Sache mit Populisten, von Le Pen in Frankreich über Salvini in Italien bis zur AfD in Deutschland. Werden diese Bewegungen mittelfristig die Sieger in Europa sein?
Szijjártó: Unter den von Ihnen aufgeführtenPolitikern und Parteien pflegen wir ausschließlich zu Salvini Kontakt. Die Zeit der vereinfachenden Abstempelungen müsste allmählich ablaufen. Es gibt offensichtlich welche, die gegen den Mainstream auftreten. Wenn das viele tun, können sie nach einiger Zeit selbst der Mainstream sein. Ein heutiger Minderheitenstandpunkt kann morgen die Mehrheit bekommen.

Daran arbeiten Sie?
Szijjártó: Es ist nicht richtig, einem Standpunkt das "europäische" abzusprechen, nur weil er eine Minderheitenposition ist. Uns wird immer Rechenschaft über Demokratie abverlangt. Es wird gleichzeitig stigmatisiert, abgestempelt und ausgegrenzt, wenn jemand einen konträren Standpunkt vertritt wie wir. Ich denke, die Attacken gegen Salvini sind ganz erstaunlich. Denn während alle über die Wichtigkeit des europäischen Grenzschutzes sprechen, werden diejenigen angegriffen, die die Grenze tatsächlich schützen: Wir wegen der Landgrenze und Salvini wegen der Meeresgrenze. Wer künftig Erfolg haben wird, das sollten die Menschen in Europa entscheiden. Man sollte nicht außer Acht lassen, wer bei der Europawahl die größte Unterstützung der Wähler bekommen haben: Fidesz 53 Prozent, Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen 46 Prozent, ÖVP in Österreich 36 Prozent, Lega in Italien 34 Prozent.

Ungarn setzt zugleich auf eine Allianz mit Polen, Tschechien und der Slowakei - die sogenannten Visegrad-Staaten. Mit dieser Allianz können Sie vieles in Europa blockieren, aber nichts anschieben. Insbesondere keine EU-Zahlungen.
Szijjártó: Mitteleuropa hat bewiesen, dass es beträchtlich zum Gesamterfolg von Europa beiträgt. Das wirtschaftliche Wachstum liegt in Mitteleuropa doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt. Wir haben strukturelle Reformen umgesetzt, die Westeuropa nicht geschafft hat. Wirtschafts- und Sicherheitspolitik sind auf eine rationale Grundlage gestellt worden. Das Handelsvolumen Deutschlands mit den Visegrad-Ländern ist 74 Prozent höher als zwischen Deutschland und Frankreich. Der Beitrag der mitteleuropäischen Wirtschaft zur EU-Gesamtwirtschaft steht außer Frage. Im Übrigen: Unsere Visionen über die europäische Zukunft sind keine Gefangenen von irgendwelchen Parteibündnissen - denn die vier Regierungsparteien der Visegrad-Staaten gehören vier unterschiedlichen europäischen Parteienfamilien an. Was wir wollen, ist ein starkes Europa, das aus starken Ländern und Nationen besteht. Und wir wollen ein Europa, das am kulturellen, religiösen und historischen Erbe festhält.

Die von Ihnen unterstützte Kandidatin für die EU-Kommissions-Präsidentschaft, Ursula von der Leyen, ist eine klare Befürworterin von Rechtsstaatsmechanismen, wenn es um die nächste EU-Finanzierungsrunde geht. Das sollte dann so auch in Ihrem Sinne sein, oder?
Szijjártó: Hier muss man unterscheiden: Was den gemeinsamen Haushalt angeht, halten wir subjektive Bedingungen für unannehmbar. Wer will denn die Bedingungen aufstellen? Und wer entscheiden, ob sie eingehalten werden? Eine politische Entscheidungsfindung in Haushaltsfragen ist fehl am Platz. Es tut weh und ist verlogen, dass die Länder Mitteleuropas so dargestellt werden, als würden sie bei der EU nur einen finanziellen Profit abschöpfen. Im Zuge der sich in Mitteleuropa ansiedelnden westeuropäischen Unternehmen fließen 70 Prozent der EU-Ressourcen nach Westeuropa zurück. Was nun die Rechtstaatlichkeit angeht: Wir müssen uns in Sachen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit überhaupt nicht schämen. Wir beteiligen uns gerne an jeder faktenbasierten Diskussion. Aber wir ertragen keine Lügen. Frans Timmermanns, seine sozialdemokratischen Parteigenossen und die Medien verbreiten über Ungarn größtenteils Lügen. Sie berufen sich auf Hörensagen, also eine diffuse Wahrnehmung. Wenn, dann sollten wir über konkrete Punkte sprechen. Sagen Sie uns, warum es Ihrer Meinung nach in Ungarn keine Pressefreiheit gibt? Sagen Sie mir, warum nach Ihrer Ansicht unsere Justiz nicht unabhängig ist? Da kommt jedoch nichts Konkretes. Würde in Ungarn die Demokratie verletzt, würden die Rechte verletzt, hätte die Regierung nach der langen Regierungszeit keine Rekordunterstützung. Ich warne: Halten Sie die Ungarn nicht für blöd! Sie können sehr gut über ihr Leben entscheiden.

Ursula von der Leyen verfolgt in der Flüchtlingsfrage den Kurs, den auch Bundeskanzlerin Angela Merkel verfolgt. Vielleicht ist sie sogar noch ein Stück weiter links als Merkel. Da Ungarn von der Leyen unterstützt: Darf man sich Bewegung erhoffen, was die europaweite Verteilung von Flüchtlingen angeht?
Szijjártó: Unser Standpunkt ist eindeutig: Die gescheiterte Migrationspolitik Europas muss beendet werden. Sie ist mit enormen Sicherheitsrisiken verbunden. Und mit zivilisatorischen Risiken. Wir haben deutlich gemacht, dass kein einziger illegaler Migrant nach Ungarn kommen kann. Wir schützen unsere Grenzen nach Süden wie nach Westen: Zu uns kommen keine Migranten, weder aus dem außereuropäischen Ausland noch aus anderen europäischen Staaten. Das ist die klare Entscheidung der Menschen in Ungarn, sie wollen ihr Land als das Land der Ungarn bewahren. Dazu haben wir das Recht. Wenn andere europäische Länder eine andere Migrationspolitik verfolgen, dann ist das ihre Sache. Mit den Folgen seines Handelns muss jedes Land auch selbst klarkommen. Wir erwarten deshalb, von niemandem unter Druck gesetzt zu werden.

Ihre Kandidatin wird als EU-Kommissionspräsidentin wohl anderes von Ihnen fordern.
Szijjártó: Das werden wir sehen. Wir haben uns in der Vergangenheit an dieser Diskussion beteiligt. Das werden wir auch in Zukunft tun - und zwar auf Grundlage gegenseitigen Respekts. Diese Grundlage haben wir bei Timmermanns nicht gesehen. Bei Frau von der Leyen sehen wir das schon, da sie immer eine respektvolle und faire Haltung zu Ungarn hatte.

Die Fragen stellte

Alexander Kain.