Altmannstein
Zu Besuch im eisernen Herz Kärntens

Altmannstein und Hüttenberg pflegen eine Partnerschaft, die ihresgleichen sucht.

09.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:48 Uhr
Beim Adventszauber im Bergwerk treiben sich auch Krampen herum. −Foto: Ammer

Ein Besuch in einem Ort, der das Dach der Welt mit der Tradition unter Tage verbindet. Und ein Besuch bei Freunden.

Altmannstein/Hüttenberg - Kerzen weisen den Weg in den Berg. Ihr Schein lässt Schatten über die Felsen tanzen, blitzt in glasklaren Eiszapfen auf, die an rostigen Eisenträgern von der Decke wachsen. Tiefer und tiefer hinein führt der schmale Tunnel in den Berg, begleitet von Schienen, die am Boden entlanglaufen. Ein Relikt aus Bergbauzeiten, wie der rostige Wagen, der in einer niedrigen Ausbuchtung des felsigen Ganges steht. "Glück auf", grüßt ein entgegenkommender Mann, gelb behelmt, mit österreichischem Dialekt. Wo sich der Tunnel in eine Gabelung öffnet, steht ein Christbaum. Es riecht nach Stein und Vergangenheit und ein bisschen nach Glühwein.

Wer nach links geht, kommt sogleich zu den Altmannsteinern. Wer den Gang zu seiner Rechten wählt, erst am Ende des Rundwegs - vorbei an Schmuck und Likören, Plätzchen und Aufstrichen, Zinnwaren und Apfelpunsch. Doch ganz gleich von wo, irgendwann schaut jeder vorbei bei Bürgermeister Norbert Hummel und seinem Team, das auch heuer mit einem Stand beim Adventszauber in der Partnergemeinde Hüttenberg vertreten ist. Manche schlendern vorbei, viele verweilen - auf ein Stamperl Sauschwanzelbeißer oder zwei, auf einen Ratsch mit den alten Bekannten aus Bayern, inmitten dieser unwirklichen, sagenhaften Atmosphäre des Schaubergwerks Knappenberg, das an diesem Tag mehr noch als alles andere zu einem Ort der Freundschaft wird.

Begonnen hat alles mit einer Begebenheit, die schließlich sogar Hollywood verfilmt hat. Brad Pitt spielt Heinrich Harrer, einen waschechten Hüttenberger, der während des Zweiten Weltkriegs aus britischer Kriegsgefangenschaft in Indien fliehen kann und sich nach Tibet durchschlägt. Dort wird er nach großen Schwierigkeiten, als Fremder in Tibet einen Passierschein zu bekommen, schließlich Lehrer, Vertrauter und Freund des 14. noch jungen Dalai Lama. "Sieben Jahre in Tibet" heißt das Buch, das er schließlich zurück in Österreich schreibt - und das Jean-Jacques Annaud 1997 verfilmt. "Das Buch ist als Gerüst von Hollywood verwendet worden", erzählt Irene Gösseringer, die das Harrer-Museum in Hüttenberg leitet und die mit dem sicherlich bekanntesten Sohn der Kärntner Gemeinde auch über die Verfilmung seiner Erlebnisse in Tibet gesprochen hat. "So einfach war die Flucht aus dem Lager nicht, aber im Großen und Ganzen war er recht zufrieden mit dem Film. Ihm war es wichtig, dass die Unterdrückung der Tibeter an die Öffentlichkeit kommt." Sie kann die Faszination des damals 13-jährigen Dalai Lama nachvollziehen, die den Europäern schließlich die Türen ins Dach der Welt öffnete: "Er hatte Tibet noch nie verlassen - und dann kamen da diese Europäer zu Fuß."

Seit 1992 gibt es das Museum in Hüttenberg, das ein Tor zur Welt bildet mit seinen Exponaten aus Afrika, Borneo und Surinam, das Harrers Expeditionen nachvollzieht, und dessen Herzstück ein tibetischer Tempel bildet, ganz in Rot getaucht, der den Besucher hineinzieht in eine andere Welt. Und das ein ganz besonderes Gästebuch sein eigen nennt. Behutsam schlägt es Irene Gösseringer auf. Zeigt den Eintrag vom ersten Besuch des Dalai Lama in Hüttenberg, die Würdigungen von hochrangigen Politikern - und einen Eintrag von Brad Pitt aus dem Jahr 1996: "Thank you for the thrill."

Begraben liegt Harrer neben seiner Frau Carina am Hüttenberger Friedhof. Mehrere Kerzen brennen an dem schlichten Grab, den ein großer Stein, einem Felsen gleich, überragt. Ein vielsagendes Symbol für einen Mann, der im Jahr 1938 als Erster die Eiger-Nordwand durchstiegen hat.

Die Verbindung zu Altmannstein nun rührt wiederum von einer Freundschaft her. Der Steinsdorfer Künstler Werner Engelmann, der damals für das Völkerkundemuseum in München arbeitete, wurde zum Vertrauten Harrers. Von ihm stammt auch die künstlerische Gestaltung des Lingkor - ein tibetanischer Pilgerpfad, der über die gesamte Felswand gegenüber führt und der 2002 vom Dalai Lama geweiht wurde.

Die Kunst Werner Engelmanns ist aus Hüttenberg nicht mehr wegzudenken. "Sie hat unsere Identität mitgeprägt", weiß Bürgermeister Josef Ofner. Die tibetische Kultur in Hüttenberg ist nichts Selbstverständliches, nichts, das von Anfang an mit angenommen worden wäre. Engelmann habe viel vorgewirkt, um den Hüttenbergern den Zugang zu dieser Kultur und zu seiner Kunst zu ermöglichen. "Durch sein empathisches Wirken hat er diese Ebene geschaffen", so Ofner. Sein eigener Opa habe damals tibetische Zeichen in den Fels gehauen - "und das hat er für Werner und für Hüttenberg gemacht, weil er gewusst hat, da entsteht etwas."

Entstanden ist dabei noch etwas anderes, eine Verbindung zwischen den Heimatgemeinden von Harrer und Engelmann. "Einfach durch sein Wirken hat er diese Partnerschaft begründet, auf die wir alle stolz sind." Die Alten, die ihm damals beim Bau des Lingkor geholfen hätten, da wäre die Verbindung sowieso da, weiß Ofner. "Die gesellschaftliche Herausforderung ist es, dass auch die Jungen die Partnerschaft annehmen - und das haben wir über die Musik geschafft." Heute festigen viele persönliche Freundschaften die Verbindung, so auch zwischen den beiden Bürgermeistern. "Die Partnerschaft ist übergeschwappt auf die ganze Gemeinde", freut sich Ofner. Die vielen zwischenmenschlichen Verknüpfungen seien das Schönste, was man in so einer Verbindung der beiden Gemeinden erleben dürfe. "Nach Altmannstein fahre ich in meine zweite Heimat."

Ähnlich sieht es Altmannsteins Bürgermeister Hummel: "Man muss die Partnerschaft leben, damit sie nicht nur auf dem Papier existiert - und das klappt hervorragend." Mehrmals im Jahr besuchen sich Delegationen aus Kärnten und Oberbayern, mit jedem Besuch wird die Verbindung gestärkt. Einen großen Vorteil sieht Hummel in der gemeinsamen Sprache. Natürlich könne auch eine andere Partnerschaft funktionieren, aber es sei viel komplizierter, als wenn sich jeder mit jedem verständigen könne. Hüttenberg und Altmannstein passen für Hummel auch als Gemeinden gut zusammen. "Beide sind ländlich geprägt, haben keine nennenswerte Industrie und hoffen auf mehr Tourismus." Dazu kommen gelebtes Vereinswesen, eine ähnliche Kultur, fügt Ofner an - "und wir verstehen uns einfach".

Zurück im Bergwerk. Ein Mann dreht seine Runden, einen weißen Helm auf den eben solchen Haaren, ein Gerät in der Hand, das er immer wieder wachsam prüft. Willi Kleer hat über Jahrzehnte im Bergwerk gearbeitet, er war vorne mit dabei, als es schließlich zum Schaubergwerk wurde - und an diesem Tag kümmert er sich um das Wetter. Nicht um Schnee, Regen oder Sonnenschein, das ist im Inneren eines Berges irrelevant. Unter Wetter versteht man im Bergbau die Luftzusammensetzung, also die Gase. Gute Wetter kann der Bergmann atmen, schlechte oder böse Wetter enthalten beispielsweise zu viele Stickoxide oder Kohlenmonoxid. Willi Kleer ist eng verbunden mit dem Bergwerk, er ist heute gerne für die Sicherheit zuständig, ebenso wie er vor Jahren und Jahrzehnten gerne Stollen geschlagen hat. Die über 2000-jährige Geschichte des Bergbaus in Hüttenberg - dem eisernen Herz Kärntens - ist ihm vertraut und gerne erzählt er von jenen Zeiten, in denen der Stein mit der Kratze bearbeitet und das Erz händisch in die sogenannten Hunde geladen wurde.

In einem Gang, an dessen Eingang eine Frau auf einem Tisch Marmeladen und Brotaufstriche verkauft, drängen sich Namen auf Steintafeln. Die Toten im Bergwerk, viele von ihnen sind keine 30 geworden. Auch auf den Grabsteinen am Hüttenberger Friedhof zieren Schlägel und Eisen als gekreuztes Symbol viele Grabsteine. Von 1567 bis 1978 wurden in dem Erbstollen, der heute Schaubergwerk ist, über 180 Mineralarten abgebaut. Und Willi Kleer weiß: "So hart die Arbeit auch war, die Leute wollten gar nicht über Tage arbeiten. Weil hier unten kam die Aufsicht nur ein- bis zweimal am Tag vorbei."

Aus dem Zwielicht eines langen Tunnels, dessen Ende sich irgendwo im Fels verliert, dringt lautes Geschepper. Wild und furchteinflößend nähert es sich schnell. Die Menschen weichen beiseite, den kalten Stein im Rücken machen sie Platz für was auch immer da aus den Tiefen des Berges kommt. Mit wilder Fratze bahnt sich der Krampus seinen Weg, lässt Besucher zurückweichen und Fotos über sich ergehen. Mit jenen, die mutig genug sind, sich ihm und seinen langen gewundenen Hörnern zu nähern. Schon verschwindet er im nächsten Gang.

Am Stand der Altmannsteiner gibt es gerade ein besonderes Ständchen von den vier Männern des Familiengesangs Kogler. Zwei Frauen nehmen sich Broschüren mit, Sonja Hartl schaut auf einen Plausch vorbei. Dreimal war sie schon in der bayerischen Partnergemeinde auf Einladung von Werner Engelmann - "und es hat mir super gefallen, vor allem die Menschen". Die Freundlichkeit und die Gemütlichkeit würden so gut zusammenpassen, fügt Willi Kleer hinzu, bevor er sich wieder dem Sauerstoffgehalt im Bergwerk widmet. Auf die schöne Landschaft im Schambachtal verweist Engelbert Birker. Natürlich seien die Berge in Kärnten besonders, aber auch die Laubwälder hätten ihren Reiz. Und dass Engelmann längst ein halber Hüttenberger ist, da sind sich sowieso alle einig.

Kerzen weisen den langen Weg hinaus aus dem Stollen. Kerzen und die historischen Schienen am Boden. Ein knisterndes Feuer brennt im Innenhof, um das sich die Altmannsteiner und die Hüttenberger schmiegen. Der Männergesangsverein singt ein Weihnachtslied und das gemeinsame Gelächter von Freunden tränkt die Nacht.

Isabel Ammer