Zockerbude in der Nachbarschaft

02.03.2010 | Stand 03.12.2020, 4:13 Uhr

München (DK) Verena H., 28, war sich sicher, ihr Geld gut investiert zu haben. Vor eineinhalb Jahren hatte sie sich zusammen mit ihrem Freund eine Wohnung im Münchner Stadtteil Neuhausen gekauft – in guter Lage, mit einem netten Italiener im Erdgeschoss. Der ist ausgezogen, demnächst soll dort eine Spielhalle eröffnen. Soll, denn die Eigentümergemeinschaft des Karl-Albrecht-Hofs will sich dagegen wehren – notfalls vor Gericht.

Die Bewohner befürchten unter anderem einen Wertverlust ihrer Immobilien. H. sagt: "Eine Spielothek wirft ein schlechtes Licht auf die ganze Umgebung." Und: "Es kann nicht sein, dass in einer zu mehr als 80 Prozent genutzten Wohnanlage mit Kinderspielplatz und Schulen in unmittelbarer Nähe ein Casino eröffnen kann." Die Eigentümergemeinschaft hat nun einen Rechtsanwalt eingeschaltet.

Ob er die Spielothek verhindern kann, ist fraglich. Es sei jedenfalls "sehr schwierig, jemandem die Erlaubnis für eine Spielhalle zu versagen", sagt Daniela Schlegel vom Kreisverwaltungsreferat (KVR).

Die Zockerbuden gelten als reguläres Gewerbe – und nicht als Glücksspiel. Erfüllt ein Antragsteller die bau- und damit die gewerberechtlichen Voraussetzungen, erhält er in aller Regel eine Konzession. Die Hürden sind nicht sonderlich hoch: Spielotheken seien als "Vergnügungsstätten" in Kern- und in Mischgebieten mit einer überwiegend gewerblich geprägten Nutzung zulässig, heißt es aus dem Planungsreferat. Auch in Gewerbegebieten können sie eingerichtet werden. Nur in reinen Wohngebieten sind Spielhallen tabu.

In einem solchen liegt der Karl-Albrecht-Hof allerdings nicht. Verena H. sagt, die 153 Parteien hätten sich auf einer eilig einberufenen Versammlung gegen eine Nutzungsänderung in der ehemaligen Pizzeria ausgesprochen. In eben jenen Räumen dürfe nur ein Laden oder eine Gaststätte eingerichtet werden, argumentiert sie. Das stehe so in einer "Teilungserklärung" von 1984, die alle Immobilien-Besitzer unterschrieben haben. "Die Öffnungszeiten einer Spielhalle – angeblich 24 Stunden am Tag und das an sieben Tagen die Woche – und die Belastungen für die Bewohner sind damit unvereinbar", glaubt sie.

Für die baurechtliche Genehmigung hat der Vertrag jedoch wenig Relevanz, sagt Daniela Schlegel vom KVR. So oder so: Die Spielhallenbranche boomt. Nach Angaben des KVR locken derzeit 1868 Spielautomaten in München Spieler an. Die Behörde hat insgesamt 180 Konzessionen für Spielhallen an 93 Standorten ausgestellt. Vor zehn Jahren gab es gerade mal 64 Zockerbuden. Die Betreiber siedeln sich heute aber nicht mehr im Bahnhofsviertel an, sie weichen auf Ausfallstraßen wie den Frankfurter Ring aus.

Warum die Zahl der Spielhallen in der Stadt so stark angestiegen ist, kann man sich beim KVR indes nicht erklären. "Das wäre reine Spekulation", sagt Schlegel. Andreas Czerny, Geschäftsführer der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern, hat hingegen eine Erklärung, und die ist sehr simpel: "Spielhallen werfen richtig viel Gewinn ab." Die Branche verzeichnet mitunter zweistellige Steigerungsraten. 2009 soll sie bundesweit 8,35 Milliarden Euro umgesetzt haben, sagt der auf Glücksspielsucht spezialisierte Bremer Psychologe Gerhard Meyer. Alleine in Bayern haben die Spieler 258 Millionen Euro in Automaten gesteckt. Für München gibt es keine Zahlen.

Dass sich die Spielotheken in Bayern so rasant ausgebreitet haben, hat einen weiteren Grund: Nur hier erheben die Kommunen keine Vergnügungssteuer auf Spielautomaten. Hinzu komme, dass die Automaten-Industrie eine zum Jahr 2006 in Kraft getretene Spielverordnung so weit dehnt, wie es eben geht, sagt Czerny. "Die Branche versucht zu mogeln, wo sie nur kann." Zwei Beispiele: Weil nur zwölf Automaten in einer Spielhalle stehen dürfen, ziehen die Betreiber mitunter ein paar Wände ein und beantragen mehrere Konzessionen für einen Standort. Weil ein Spieler nur 20 Cent pro Spiel setzen und nicht mehr als 80 Euro in einer Stunde verlieren darf, arbeiten die Betreiber mit einem Punktesystem. Czerny: "Gewinn und Verlust sind dann nicht mehr so einfach messbar." Diese Praktiken erklären vielleicht auch, warum sich die Betreiber von Spielhallen so bedeckt halten: Der Besitzer der Immobilie im Karl-Albrecht-Hof, der je eine Spielothek in München und in Bonn betreibt, schickte auf Anfrage des DONAUKURIER seinen Geschäftsführer vor, um zu sagen, dass er nichts sagen will.

Derweil hat sich der Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg hinter seine Bürger gestellt und sich einstimmig gegen eine Nutzungsänderung ausgesprochen. Er hat aber nur ein Anhörungsrecht. Beim KVR hat man noch nicht über den Antrag entschieden. Noch kann Verena H. also hoffen.