Ingolstadt
Zirkus um ein Kaninchen

Keine Regie, keine Proben und ein Text im verschlossenen Umschlag: Neues Format im Ingolstädter Altstadttheater

01.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:32 Uhr
"Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen" ist ein Manifest des Protests von Nassim Soleimanpour. Das Theaterexperiment ist am 19. Oktober zu erleben. −Foto: Wabitsch/dpa

Ingolstadt (DK) Es ist ein ganz neues Theaterformat. Und ein Experiment. Denn weder der Schauspieler, der den Abend bestreiten wird, noch das Publikum wissen, worum es geht. "Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen" ist ein Stück des jungen Iraners Nassim Soleimanpour, das am 19. Oktober auf dem Spielplan des Ingolstädter Altstadttheaters steht. Ein einzelner Schauspieler bekommt seinen Text und alle Handlungsanweisungen in einem verschlossenen Umschlag auf der Bühne überreicht - keine Regie, keine Proben, keine Vorbereitungszeit.

Mehr noch: Auf Wunsch des Autors soll der Schauspieler auch nichts über das Stück in Erfahrung bringen. Immerhin: 48 Stunden vor der Vorstellung erhält der Schauspieler ein paar schriftliche Instruktionen. Etwa: "Bereiten Sie die Imitation eines bestimmten Tieres vor." Oder: "Wenn Sie mit dem Vorlesen des Stücks begonnen haben, müsses Sie es auch beenden." Auf Bitten des Autors sollte in der ersten Reihe ein Platz für ihn reserviert bleiben.

Das Dilemma ist jetzt: Wie soll man ein Stück ankündigen, von dem nichts verraten darf? Leni Brem, die mit Falco Blome die Leitung des Altstadttheaters innehat, steht vor einem Problem. Sie selber hat das Stück noch nicht gesehen, aber natürlich gelesen und fand das Format sehr spannend, "weil alles so unklar und mysteriös ist", meint sie. "Und natürlich müssen die Schauspieler Mut mitbringen, sich auf so etwas einzulassen." Für die ersten Termine stehen Maria Helgath (19. Oktober), Amelie Bauer (31. Oktober) und Thomas Schrimm (29. November) bereit.

Aber auch das Publikum ist gefordert. "Es gibt Handlungsanweisungen für den Schauspieler und das Publikum", erklärt Brem. Fügt aber gleich hinzu: "in sehr harmlosem Maß". Es geht um die Geschichte vom weißen und vom roten Kaninchen. Eine Art Parabel. "Es ist sehr komisch, hat aber auch einen sehr spannenden gesellschaftspolitischen Aspekt", sagt Brem. Denn der Autor weiß seine Botschaften geschickt zu verpacken, indem er Autobiografisches mit philosophischen und sozialkritischen Betrachtungen mischt. Weil er selbst den verpflichtenden Wehrdienst in seinem Heimatland Iran verweigerte, stellten ihm die staatlichen Behörden keinen internationalen Reisepass aus, was ihn zu einem Gefangenen im eigenen Land machte. Mit "Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen" schuf Nassim Soleimanpour ein Manifest des Protestes - eben mit den Mitteln, die ihm als Autor zur Verfügung stehen. Statt seiner reiste nämlich das Stück inzwischen um die halbe Welt. Erstmals vorgestellt wurde es bei einem Theaterfestival im kanadischen Toronto. Seitdem wurde es in mehr als 25 Sprachen übersetzt und weltweit gespielt. Jahrelang stand es beispielsweise in New York auf dem Spielplan, wo sich etwa Hollywoodstar Whoopi Goldberg diesem Experiment auslieferte. In Wien taten es Adele Neuhauser und Caroline Peters, in Mannheim Corinna Harfouch, Walter Sittler und Christoph Maria Herbst, in Oldenburg Edgar Selge.

Nassim Soleimanpours Text überschreitet Grenzen und stellt die Frage nach Macht, Manipulation, Vertrauen, Konformität oder Gruppenzwang.Wie lässt sich der Schauspieler auf den Text ein? Und wie reagiert das Publikum? Wie gesagt, ein Experiment.

Anja Witzke