München
Zerbrechliche Körper

In der Münchner Glyptothek konfrontiert Andreas Kuhnlein eigene Skulpturen mit denen der Griechen und Römer

30.06.2016 | Stand 02.12.2020, 19:36 Uhr

Andreas Kuhnlein: Sisyphos. - Foto: Kühling

München (DK) Größer kann ein Gegensatz nicht sein: Hier eine glänzende Oberfläche, glatt und geschlossen - und dort wird die gesamte Form durchlöchert und aufgebrochen. "Zerklüftete Antike" heißt die Ausstellung in der Glyptothek, die wieder einmal die Statuen der Griechen und Römer konfrontiert mit zeitgenössischer Kunst.

Selten waren in diesen Räumen Exponate so gegensätzlich und dennoch sich wechselseitig befruchtend wie diesmal, wenn Andreas Kuhnlein seine Skulpturen zeigt.

Der Künstler wurde 1953 im Chiemgau geboren, wo er bis heute lebt. Er wirkt unaufgeregt, bodenständig und authentisch, wenn er über sich und seine Arbeit spricht. Zunächst hat er eine Ausbildung zum Schreiner gemacht, dann beim Bundesgrenzschutz gearbeitet, später einen Bauernhof betrieben und ist schließlich zum Werkstoff Holz zurückgekehrt. "Ich war Hundert Mal in der Glyptothek, aber habe nie geträumt, dass ich hier mal eine Ausstellung zeigen könnte", erzählt er und blickt fast staunend im Museum umher.

Aus ganzen Eichenstämmen arbeitet Kuhnlein seine Figuren heraus, mit der Kettensäge. Gerade in dem Hartholz, das schwer zu bearbeiten ist, entdeckt er die Zerbrechlichkeit des Menschen. Und am liebsten nimmt er alte Menschen als Modell, mit zerfurchten Gesichtern und Körpern, die vom Leben gezeichnet sind. "Das ist gespeichertes Leben, wie bei einem Baumstamm die Jahresringe." Was nach der Arbeit mit der Säge noch als feine Splitter das Auge stört, wird schließlich mit dem Bunsenbrenner abgeflämmt.

Und so entstehen Figuren, braun und wie verwittert und geborsten wirkend, die jetzt unmittelbar neben den glatten Steinskulpturen stehen. Einige von ihnen nehmen Bezug auf die Körperhaltungen der antiken Plastiken. Ein "Sohn der Niobe" sitzt Rücken an Rücken mit seinem Alter Ego - hier der polierte Marmor, dort das aufgebrochene Holz, mit geöffneter Seite zeigt er sein verletztes Inneres. Eine Frauenstatue der Antike mit langen Gewändern ist konfrontiert mit einer hölzernen Figur, deren Beine durchlöchert sind und deren Torso geöffnet ist. Unwillkürlich denkt man an den Titel der Installation von Joseph Beuys: "Zeige deine Wunde!".

Ungezählt sind die Verletzungen, die Götter und Menschen in der Antike erlitten haben - die Sagen des Altertums erzählen von Kämpfen, Intrigen und Tragödien, die so verheerend sind, dass selbst Steine Tränen vergießen. Die idealisierten Marmorskulpturen täuschen jedoch stets unverletzte Körper vor. Anders Andreas Kuhnlein, der geschundene Leiber zeigt, die dennoch die bekannten Körperposen der Antike beibehalten. Selbst der zerklüftete Sisyphos wird nicht müde, den schweren Brocken eine Schräge hinaufzuschieben, sich mit aller Kraft gegen das Gewicht stemmend. "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen", urteile Albert Camus, der Sisyphos für einen glücklichen Menschen hielt. Andreas Kuhnlein sagt mit einem zufriedenen Blick auf das Eichenholz: "Ich brauche den Widerstand."

Bis zum 30. Oktober in der Glyptothek am Königsplatz, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.