Randnotiz
Zeit für mehr Romantik

26.04.2018 | Stand 23.09.2023, 3:02 Uhr

Es hätte alles so schön sein können.

So schön kitschig. Da holt der FC Bayern Jupp Heynckes aus dessen wohlverdienten Fußballrente zurück. Dann macht der 72-Jährige den trägen Rekordmeister wieder flott. Mehr noch. Er formt die Münchner zu einer spielstarken Einheit und zu einem ernsthaften Aspiranten auf den Gewinn der Champions League.

Nun aber könnten das Halbfinale und wieder einmal der spanische Gigant Real Madrid Endstation des bayerischen Traums vom Europacup-Triumph sein. 1:2-Heimniederlage im Hinspiel. Und diese Pleite hatte wirklich alles - aber sicher kein Kitsch-Potential. Der Fußballgott ist eben kein Romantiker in dieser Saison. Beste Beispiele dafür hat der europäische Klassiker am Mittwoch geliefert. Warum müssen die Fans des FC Bayern ihr Team ausgerechnet in dem Spiel verlieren sehen, in dem die Anhänger die Allianz-Arena ausnahmsweise in einen Hexenkessel verwandeln. Das passiert selten genug. Wenn es dann aber schon mal der Fall ist, sollte dieser Enthusiasmus auch belohnt werden, nicht wahr.

Herzzerreißend statt herzerfrischend war es, den Sportsfreund Rafinha gegen Real zu sehen. Seit fast sieben Jahren ein Bayer, spielt er seine bislang stärkste Saison im Münchner Trikot. Und zwar so gut, dass der Außenverteidiger auf dem besten Weg war, Konkurrent David Alaba dauerhaft aus der Startelf zu verdrängen. Und dann unterläuft Rafinha gegen Real ein kapitaler Bock, der zum 2:1 für die Madrilenen führt.

Kein Wunder, dass der sonst stets gutgelaunte Deutsch-Brasilianer nach Spielschluss völlig konsterniert war. Hat es das wirklich gebraucht. Dazu kommen drei verletzungsbedingte Wechsel. Arjen Robben waren ganze acht Minuten Halbfinale vergönnt, Javi Martínez bekam einen astreinen Brummschädel verpasst. Am schlimmsten erwischte es aber Jérôme Boateng. Er verletzte sich ohne Fremdeinwirkung schwer am Oberschenkel und fällt nun einige Wochen aus. Sogar seine WM-Teilnahme scheint in Gefahr. Fußballgott, ernsthaft jetzt.
Noch gibt es für den FC Bayern aber keinen Anlass, aufzugeben. Der große Traum, die Reise nach Kiew zum Finale, ist nach wie vor möglich. Dafür sprechen vier Gründe. Erstens hat der Rekordmeister im Europapokal schon große Schlachten geschlagen. Auch auswärts. Und gerade auch in Madrid. Wo sonst hätte die FCB-Legende von der "bestia negra", also der "schwarzen Bestie", entstehen sollen. Außerdem haben die Münchner mit Sven Ulreich einen Torhüter in titelverdächtiger Form. Drittens ist es unmöglich, dass die Bayern ein weiteres Mal so fahrlässig mit ihren Torchancen umgehen. Zu guter Letzt findet das Rückspiel ja am 1. Mai statt. Vielleicht hat ja auch der Fußballgott frei - oder ist bessere Laune. Es ist schließlich ein Feiertag. Da bleibt mehr Zeit für Romantik.

Florian Wittmann