Ingolstadt
Wüste Rauferei im ICE

21.04.2021 | Stand 23.09.2023, 18:08 Uhr

Ingolstadt - Es war nur die übliche Fahrkartenkontrolle in einem ICE von München über Ingolstadt in den Norden der Republik, doch einem 38-jährigen Würzburger, der nach eigenen Angaben zuvor am Münchner Hauptbahnhof reichlich einem bekannten Kräuterlikör zugesprochen hatte und deshalb selig in seinem Sitz schlummerte, war die jähe Störung durch eine Zugbegleiterin zu viel: Der Mann, der sich zuvor bereits zwischen den Sitzreihen übergeben hatte, soll sich ziemlich abfällig geäußert und die Fahrausweiskontrolle konsequent verweigert haben.

Auch eine Corona-Schutzmaske wollte er angeblich partout nicht tragen.

Die DB-Bedienstete ließ daraufhin beim Halt in Ingolstadt Polizeibeamte der hiesigen Inspektion zusteigen. Sie konnte wohl nicht ahnen, dass das den Auftakt zu einem Handgemenge bedeutete, in das neben dem unflätigen Fahrgast schließlich vier Polizeibeamte verwickelt waren. Zwei Polizistinnen erlitten Hämatome, die sie noch ein paar Tage spürten.

Der Vorfall vom 15. März dieses Jahres fand am Mittwoch eine für Maßstäbe der Strafjustiz recht zügige Fortsetzung am Ingolstädter Amtsgericht. Dort hatte sich der Würzburger, der inzwischen gut fünf Wochen in Untersuchungshaft gesessen hat, wegen Angriffs auf und Widerstands gegen Amtsträger, wegen mehrfacher Körperverletzung, Sachbeschädigung und sogar wegen Raubes zu verantworten.

Letzteres resultierte aus der Annahme, dass sich der Mann während der Rauferei mit den Beamten für einige Zeit - in der Anklage war von rund drei Minuten die Rede - in den Besitz eines Pfeffersprays gebracht haben sollte, das vom Gürtel einer Polizistin abgerissen worden war. Hätte sich dieser Tatverdacht in der Verhandlung erhärten lassen, wäre der Würzburger wohl nachmittags nicht ohne Polizeibegleitung aus dem Gerichtssaal marschiert.

Doch dieser Anklagepunkt wurde eingestellt. Die Vernehmung der beiden Beamtinnen brachte nämlich für Vorsitzenden Stephan Gericke und seine Schöffen längst nicht ein so klares Bild, wie es die Ermittler nach ihren Recherchen gewonnen zu haben glaubten. Offenbar war das Spray nicht mit Absicht entwendet (also geraubt) worden, sondern es hatte sich im wüsten Gerangel, als der Mann nach allem griff, was er erwischen konnte, gelöst. Benutzt hatte er das Reizgas ohnehin nicht.

Dennoch war die vom Gericht verhängte Strafe nicht belanglos: Zehn Monate Haft zur Bewährung für sämtliche anderen Straftaten aus der Anklage sollten dem renitenten Zugreisenden, der bislang nur drei kleinere Vorstrafen wegen Diebstählen aufwies, eine Warnung sein, sich künftig bei Bahnfahrten kooperativer zu verhalten. Denn eine Fahrkarte hatte er am bewussten Tag durchaus bei sich gehabt.

Dass er sie nicht vorgezeigt hatte, mag an der damals gehörigen Alkoholisierung (knapp 1,5 Promille bei der Blutprobe drei Stunden später) gelegen haben. Womöglich aber auch an einer grundlegenden Missstimmung aufgrund seiner allgemeinen Lebensumstände: Als Enddreißiger ist er nach vielfachen Jobs und Träumereien als Bandmusiker immer noch auf der Suche nach einer Ausbildung im Sozialsektor. Just am Tag nach der so missratenen Zugfahrt hatte er ein Bewerbungsgespräch in seiner Heimatstadt führen wollen. Daraus war nach der Festnahme natürlich nichts mehr geworden.

DK

Bernd Heimerl