Würde auch am Lebensende

19.10.2008 | Stand 03.12.2020, 5:30 Uhr

Pöttmes (kx) "Dieser Patient ist austherapiert." Diese Phrase, die eine Pflegerin zitierte, ist nicht nur eine Beschönigung der Tatsache, dass einem Mensch ärztlich nicht mehr geholfen werden kann. Für die Mitarbeiterinnen des Caritas-Pflegezentrums St. Hildegard bedeutet sie auch, dass hier ihre Arbeit beginnt.

In den vergangenen zwei Jahren hat St. Hildegard zusammen mit dem Aichacher Pflegeheim St. Elisabeth und der Sozialstation Aichach als ambulanter Einrichtung das von der Caritas Bayern initiierte und von der Bayerischen Hospizstiftung geförderte Pilotprojekt "Selbstbestimmung und Fürsorge an den Lebensgrenzen" durchgeführt. Nun wurde in einer Feierstunde eine erfolgreiche Bilanz gezogen: Es habe ein Umdenken in den Heimen stattgefunden, sagte Hospizhelferin Rosemarie Huber. Zugleich wurde aufgefächert, was neben der Grundversorgung von oft hinfälligen Menschen alles zum Pflegedienst gehören kann. Leitgedanke war, wie Heimleiterin Centa Plöckl formulierte, die Menschenwürde auch am Lebensende zu wahren, anders als bei der von Teilen der Bevölkerung befürworteten aktiven Sterbehilfe.

Die Mitarbeiterin der Sozialstation, Silke Boie, schilderte ihre Probleme im Umgang mit der Tochter einer Patientin, die offenbar nicht einsehen konnte, dass medizinische Kunst den Zustand ihrer Mutter nicht mehr bessern konnte. Nach einem langen Gespräch habe die Tochter schließlich begriffen, dass eine bestimmte Infusion für die Mutter nicht mehr von Nutzen war. Sie habe daraufhin Sicherheit verspürt, Entscheidungen für die Kranke zu treffen, sagte Boie. Dabei sei wichtig, dass alle Mitarbeiter der Sozialstation an einem Strang ziehen, was mit Hilfe eines Teambesprechungsprotokolls gelungen sei.

Der Pöttmeser Hausarzt Thomas Riemensperger, der auch Patienten im Pflegezentrum betreut, charakterisierte die zwei Seiten der Medizin so: Ohne Wissenschaft sei sie Betrug, aber eine rein technokratische, nicht humane Medizin sei ein Greuel. Die meisten Menschen wollten würdig sterben. Das sei häufig vergessen worden. Es sei aber sehr wichtig, weil künftig immer weniger Menschen zu Hause gepflegt werden könnten. Sein Aichacher Kollege Harald Räder merkte kritisch an, dass die Gesellschaft derzeit nicht bereit sei, Pflegearbeit so angemessen zu bezahlen wie die Apparatemedizin. Das nannte er einen Skandal. Für ihn persönlich sei es wertvoll, Menschen in Extremsituationen zu begleiten und dabei über sein eigenes Leben nachzudenken.

Karin Erhardt vermittelte die Sicht einer Angehörigen. Ihre krebskranke Mutter habe den Wunsch gehabt, zum Sterben aus dem Krankenhaus nach Hause zurückzukehren. Anfangs sei sie sehr unsicher gewesen. Wenn sich der Zustand der Mutter verschlechterte, konnte sie nicht den Notarzt rufen, weil ihre Mutter ja nicht mehr in die Klinik wollte. Sie habe aber stets der Hilfe der Sozialstation sicher sein können. "Wir haben nichts mehr beschönigt", schilderte sie ihr Verhältnis zu ihrer Mutter. Sie habe zuletzt gesagt: "Ich bin jetzt der lebende Tod." Als sie gestorben war, sei sie froh gewesen, sie zum Abschied mit aufbahren zu können. "Es war so, wie sie es wollte", betonte sie.

Der Heimseelsorger, Pfarrer Gottfried Settele, berichtete, die Patienten in St. Hildegard könnten meist nicht mehr lesen und häufig nur noch wenig aufnehmen, "aber ich muss mich wundern, was noch drinsteckt in den Leuten, was zu bestimmten Gelegenheiten rauskommt." Er singe oft mit ihnen Lieder, die sie mögen – "das ist unser Gottesdienst". In den Liedern komme nicht nur Traurigkeit zum Ausdruck, sondern auch die Hoffnung.

Von Juli 2006 bis Juli 2008 hatten in den drei beteiligten Einrichtungen regelmäßig Fachgruppensitzungen stattgefunden, in denen der Pflegedienst von Grund auf neu definiert wurde, wie die Projektleiterinnen, Andrea und Christine Neukäufer, berichteten. Koordiniert wurde das von Hildegard Schröppel vom Diözesan-Caritasverband. Am Beginn und am Ende füllten Mitarbeiter und Besucher jeweils umfangreiche Fragebögen aus. Hatten sich am Anfang einige Defizite gezeigt, so ergab sich am Ende ein durchgehend hohes Zufriedenheitsniveau von durchschnittlich 8,3 bis 9,3 von zehn möglichen Punkten.

Nach der Veranstaltung feierte Caritasdirektor Peter Manz zusammen mit den Teilnehmern in der Kapelle des Pflegezentrums einen Gottesdienst.