Ingolstadt
Wortakrobat des Absurden

Michael Vogtmann gastiert mit seinem Programm "Hättikonfetti" im Ingolstädter Altstadttheater

04.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:52 Uhr
Redet sich in Rage: Der Schauspieler Michael Vogtmann im Ingolstädter Altstadttheater. −Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Unüberhörbar liebt er das Urige, das Derbe, das Groteske der bayerischen Sprache.

Er versteht sich als "Wörtersammler" in seiner "Kreativküche". Das Surreale, das Verrückte unseres Dialekts fasziniert ihn - und er damit sein Auditorium. Bairisch bezeichnet der gebürtige Straubinger und bekennende Niederbayer Michael Vogtmann als sein Fundament, als "Ursuppe des Wahnsinnigen", als "Urschleim des Dadaismus" - und sieht es mit einem verschmitzten Augenzwinkern durchaus auch als Keimzelle für hohe Literatur an. Mit Ingolstadt verbindet den Mimen, Kabarettisten und Autor so einiges: Nicht nur, dass sein Vater hier geboren wurde; am hiesigen Theater sammelte Vogtmann auch erste berufliche Bühnenerfahrungen.

Und die setzt der aus Film und Fernsehen bekannte Schauspieler ("Tatort", "Polizeiruf 110", "Der Bulle von Tölz", "Um Himmels Willen", Double von Innenminister Joachim Herrmann am Nockherberg) bei seiner Mundart-Lyrik übers Lebn und die Liab, den Boandlkramer und den Daifi, im Ingolstädter Altstadttheater geballt ein. Anhand von originellen, mit vielen Lachern und Szenenapplaus bedachten Wortspielen ("What-Sepp-Nachricht"), raffinierten Begriffsjonglagen ("Alle duans hibisln an meine Ribisln") oder regionaltypischen Redewendungen ("Jetzt hab i n Dregg im Schachterl! ") evoziert er mit teils feinsinnigem, teils tiefgründigem, teils schwarzem Humor drastisch-plastische Bilder. Sinniert in Gedankenwanderungen nach über Fragen der menschlichen Existenz, der zwischenmenschlichen Beziehungen. Mutiert vom hektischen Gschaftlhuaba zum knorrigen, zwidernen Grantler, der sich vor lauter Hineinsteigern das Sakko ausziehen muss. So stellt er sich selbst - mitunter auf der Maultrommel oder der Mundharmonika spielend - philosophische Fragen ("Is d Lust plötzlich zaacher, oder warn d Menscher sonst gaacher? Schwer zum sagn! ", "Nix bleibt wias is", "Des is des"), beschäftigt sich mit Kindheits- und Jugenderinnerungen ("Wia i kloa war"), thematisiert den gar nicht so einfachen Weg zur Selbstfindung ("Ned i", "Siebngscheids Gscheidhaferl"), schildert anschaulich Natureindrücke - und landet immer wieder bei der Endlichkeit, bei der Vergänglichkeit des Lebens.

Da tun sich bizarr-dämonische Abgründe auf, wenn die grausige, faustisch angehauchte Geschichte zwischen "Lucifer und Gori" um einen Doppelmord auf Bayerisch ihren eigentümlichen atmosphärischen Schauercharakter entfaltet. Wenn in "Vui zvui" die Hex und da Daife als "graißliche, verbrunzte, schiache, schialaugade, wampade, hinterfotzige, stinkade, gschroamaulade Bagage" verschrien werden. Wenn in "Lucifers Hohngesang" der Satan "mit da Sägn" mitten "in den Apfedatschiduft" schneidet und die gerade erst wieder heile Welt zerstört. Wenn in der irrsinnigen "Warnung an einen Albtraum" demselben angedroht wird, die "bluadign Wasseraugn" mit der "Stahlkuglzwistl" auszuschießen.

Doch Vogtmann schlägt auch ruhigere, besinnlichere Saiten an - allerdings nur vorübergehend: Fast beschwörend flüsternd versucht er in "Wenns d scho do bist", seine fiktive Angebetete zum Bleiben zu bewegen, bevor er die gefühlvolle Stimmung mit einem barsch-pointierten "Hearst du mir überhaupt zua? " am Ende abrupt ins Komische verkehrt. Zu seinem Liebesgedicht "Manchmoi" spielt er über sein iPhone sogar chinesisch-japanisch-koreanisch-vietnamesisch anmutende Tonfolgen ein - und gesteht anschließend unumwunden, dass er hin und wieder gern "den oidn Metzger schlachten", "an weißblauen Himme petschiern" oder "den damischn Kini derbleckn" würde. So überzeugend unpathetisch funktioniert das wohl in keinem anderen Dialekt.
Pianist Charly Thomass, Allroundmusiker und Vogtmanns langjähriger Begleiter am Flügel, sorgt bei den Liedern für die ganz individuelle, verstärkend illustrierende Spannung zwischen Jazz, Drive und Blues, durchdringt in seinen Eigenkompositionen auf den Tasten melodisch wie rhythmisch einfühlsam den sprachlich-lautmalerischen Kosmos seines Kollegen. "Hättikonfetti", der leichtfüßig dahingroovende Titelsong des Programms etwa, macht hörbar, dass Bayern und Italien nicht nur geographisch, sondern auch von der Mentalität und vom Klangkolorit her gar nicht so weit auseinander liegen.

Das durch nichts zu ersetzende "Bayerngfui" aber ist und bleibt so einzigartig wie zwiegespalten. Schließlich steht "die varreckte Hoamat, des verfluachte Bayern, des sackrische, des damische. . . " für "Hölle und Paradies" zugleich. Und wo sonst gilt der Ausruf: "Du Hund, du verreckter! " als größtes Kompliment überhaupt? Wo sonst herrscht das Fazit: "Ois is nix! "?
Beim authentischen, offen bekennenden Abschlussgedicht "Weil i Schauspieler bin" wird dann vor zwei Zugaben endgültig jedem aus dem gut besetzten Publikum klar, was den Vollblutkünstler Michael Vogtmann antreibt, warum er nicht anders kann, als im Rampenlicht zu stehen, als Darsteller zu sein: "I hob koan eigna Wuin! I muaß spuin! I muaß spuin! "

Ein herrlich witziger, nachdenklicher und skurriler Abend in der Tradition eines Karl Valentin, eines Ludwig Thoma oder des "Brandner Kaspar" von Joseph Maria Lutz - und weit darüber hinaus.

Heike Haberl