Ingolstadt
Wohlfühlmusik und wilde Töne

03.08.2010 | Stand 03.12.2020, 3:48 Uhr

Milde Brahms-Töne: Anne-Sophie Mutters Sonaten-Abend war der Höhepunkt des Festivals. - Foto: Audi

Ingolstadt (DK) Ja, auch in dieser Saison der Audi-Sommerkonzerte konnte wieder ein Rekord gebrochen werden. Diesmal allerdings sorgten nicht die Besucherströme oder die Anzahl der Konzerte für einen neuen Höhepunkt, sondern allein die profane Lautstärke.

Noch nie – so zumindest der subjektive Eindruck – wurde bei einem klassischen Konzert im Ingolstädter Festsaal ein solcher Lärmpegel erzeugt wie beim Abschlusskonzert des Festivals mit Kompositionen des zeitgenössischen Tonsetzers Wolfgang Rihm. Um die Hörnerven zu schonen, hatte der Veranstalter zuvor sogar Ohrstöpsel verteilt.

Ansonsten überzeugte die gerade abgelaufene Festival-Runde durch geradezu wohltuende Normalität. Die Sommerkonzerte haben schon lange ihr Konzept gefunden, die Besucher können sich darauf einstellen, seriöse, meist klassische Konzerte hören zu können, gelegentlich versehen mit einigen Farbtupfern aus dem Bereich der Weltmusik. Normalität herrschte auch beim Kartenverkauf, der allerdings heuer etwas besser verlief als im vergangenen Jahr. Zwölf der 18 angebotenen Veranstaltungen waren am Ende ausverkauft. Insgesamt kamen mehr als 15 000 Besucher. Von den 11 500 zum Verkauf stehenden Tickets gingen 10 400 über den Ladentisch, die Platzausnutzung der Konzerte belief sich auf rund 90 Prozent – ein besseres Ergebnis als in den Vorjahren. Die meisten Besucher zählte natürlich der kostenlose Open-Air-Abend mit der Audi-Bläserphilharmonie. Hier kamen 6000 Musikfreunde. Die Zuschauer-Bilanz wäre sicherlich noch positiver verlaufen, wenn nicht zwei Veranstaltungen abgesagt werden mussten: Der bereits ausverkaufte Liederabend mit Thomas Quasthoff und Michael Schade und das Freiluft-Konzert mit dem Georgischen Kammerorchester.

Zwei potenzielle Höhepunkte des Festivals-Programms entfielen also – und doch erscheint der diesjährige Sommerkonzerte-Jahrgang immer noch so gelungen wie kaum einer zuvor – was vielleicht mit der Vielgestaltigkeit des Angebots zu tun hat. Sommerkonzerte-Mitarbeiter Sebastian Wieser wies zu Recht darauf hin, dass diesmal konzeptionell kaum ein Konzert allzu große Ähnlichkeit mit irgend einer anderen Veranstaltung aufwies. Zu noch launigeren Worten greift sein Kollege Oliver Scharfenberg. Für ihn gleicht das Festival einer abenteuerlichen Flussreise. Von beschaulichen Wohlfühllandschaften etwa beim Konzert des Hilliard-Ensembles ging es unvermittelt gleich am folgenden Tag zu einer Art musikalischem Wildwasser-Rafting beim Abschlusskonzert mit Werken von Rihm. "Hier wird man fast unangenehm durchgerüttelt in einer Weise, wie das bei der alten klassischen Musik niemals möglich ist." Auch Audi-Kulturreferent Jürgen Bachmann zeigt sich im Nachhinein vom abwechslungsreichen Programm begeistert. Besonders die verschiedenen Weltmusik-Abende von der Pekingoper bis zur indischen Musik habe das Festival spürbar bereichert.

Wenn man Besucher und Veranstalter nach dem künstlerischen Höhepunkt des Festivals fragt, wird immer wieder ein Name genannt: Anne-Sophie Mutter. Die Geigerin ist sicherlich der bedeutendste Star der Saison, ihr Konzert war am schnellsten ausverkauft und für Audi war dieses Konzert (obwohl nur zwei Künstler auftraten) das teuerste. Anne-Sophie Mutter ist schon etliche Male in Ingolstadt aufgetreten. Da sollte man eigentlich annehmen, dass die Künstlerin das Publikum kaum noch zu verblüffen vermag. Und doch: So hinreißend, so nuanciert, so tiefgründig, so beklemmend melancholisch hat man die Geigerin in Ingolstadt noch nicht erleben können. Die drei Brahms-Sonaten spielte sie herbstlich-zurückhaltend, ohne jegliche auftrumpfende Geste. Ein erschütternder Abend.

Aber es gab weitere Highlights: Neben dem orgiastischen Abschlussabend mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester etwa der jugendlich-frische Beethoven gespielt vom Originalklang-Ensemble Anima Eterna unter der Leitung von Jos van Immerseel. Oder das Indien-Konzert mit seinen für unsere Ohren extrem fremdartigen Klängen. Oder auch der hinreißende Auftritt der Audi-Jugendchorakademie zusammen mit dem Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung von Kent Nagano.

Auch im kommenden Jahr soll nach Auskunft von Jürgen Bachmann der einmal beschrittene künstlerische Weg weiter verfolgt werden. Beim kommenden Festival, das wahrscheinlich am 1. Juli 2011 eröffnet wird, möchte Audi versuchen, noch mehr Menschen anzusprechen, die bisher den Weg in den Konzertsaal scheuten. Und man will die Anstrengungen vergrößern, die Besucher etwa durch Einführungsveranstaltungen auf die Konzerte vorzubereiten. Sicher ist man sich allerdings, dass es nach über 20 Jahren Sommerkonzerte schwer sein wird, noch einmal einen neuen Rekord aufzustellen.