Ingolstadt
Wo die Künstlerin ihre Kreise zieht

31.05.2010 | Stand 03.12.2020, 3:58 Uhr

Bettelndes Vogelkind: Mit der Stichsäge und Farbe hat Waltraud Sangl einem alten Regalbrett neues Leben eingehaucht.

Ingolstadt (DK) Blühende Blumen, ausladende Apfelbäume, stattliche Staudenbeete – die gängige Vorstellung, wie ein "schöner" Garten auszusehen hat, gilt für Waltraud Sangl nur bedingt. Die 50-Jährige aus dem Stadtteil Mühlhausen mag es gerne bunt.

Das farbenfrohe Spiel der Natur gerade zur Frühjahrszeit ist ihr aber längst nicht genug. Und so hilft sie dort nach, wo die Natur ihre Grenzen zeigt. Kunst ist ihre große Leidenschaft, aber warum nur in den eigenen vier Wänden? So hat die Ingolstädterin ihr Grundstück kurzerhand zur Galerie gemacht. "Die Leute lachen manchmal, aber das ist mir egal", sagt sie. "Ich hab’ schon immer den Drang gehabt, alles herzuzeigen."

Farbe und Stichsäge

So ist ihr Garten rund um das Haus an der Hanfgartenstraße zunächst einmal ein ganz gewöhnlicher Garten, wie er vielerorts zu finden ist. Da sind die Gemüsebeete mit Erdbeeren, Radieschen und Salat. Metallene Spiralstäbe warten darauf, dass die Tomaten an ihnen Halt suchen. Oder der Buchs, hier mal kantig, dort mal kugelig geschnitten. Im südöstlichen Eck schimmert grün das Wasser in einem kleinen Teich. Nadelbäume, die eigentlich in den Wald gehören gibt es auch, aber sie werden weniger: Waltraud Sangls Ehemann ist ständig am Auslichten. Die Stämme lässt er stehen. Denn sie bieten Möglichkeiten für das, was den Garten der 50-Jährigen von anderen unterscheidet. "Ich hab’ das einfach mal was ausprobiert und einen farbig bemalt", erzählt sie. Blaue, gelbe und purpurne Muster zeugen von solchen Experimenten. "Mir gefällt’s", freut sich die gelernte Friseurin. Auf anderen hat sie Kugeln platziert: "Ein Symbol für die Welt!" An einer Fichte lehnt ein altes Regalelement, das sie beim Ausräumen eines Speichers entdeckt hat. Waltraud Sangl hat für alles eine Verwendung. Nun lehnt das Holzteil am Nadelbaum. "Das ist meine Himmelsleiter." Andere ausrangierte Möbelstücke hat die 50-Jährige mit der Stichsäge geformt. Herausgekommen sind bizarre Formen, aber auch konkrete Gestalten. Wie das bettelnde Vogelkind mitten im Erdbeerbeet.

Nachahmen will die Künstlerin nicht, sich höchstens von anderen inspirieren lassen. "Ausprobieren, lernen, das ist das Leben." Und ihre Philosophie. Die ihr neuen Mut geschenkt hat, als es zwischendurch nicht zum Besten um sie stand. Zweimal haben Krankheiten sie heftig mitgenommen. Als junge Frau schon war sie wochenlang auf der Intensivstation gelegen, danach – in der Reha – rappelte sie sich wieder auf. Damals drängte sich die Kunst vehement zurück in ihr Leben. Schon als Kind hatte Waltraud gerne gezeichnet und sich so ausgedrückt, weil sie oft allein war. Während der Rekonvaleszenz ist ihr die Malerei erneut eine wichtige Stütze, auch später, als sie noch einmal für längere Zeit ärztlicher Behandlung bedarf. Ob mit Acryl oder Öl, auf Holz, Seide, Kerzen oder einfach klassisch auf Leinwand, nichts ist ihr fremd. Dazwischen töpfert sie oder kreiert, wie vor einem Jahr, ein Kruzifix, als die Mutter stirbt. Und findet darin ihren Frieden. Trotz einiger Rückschläge überwiegt ihr Optimismus. "Bei mir gibt es kein Zurück, es muss stets nach vorne gehen." Mit der Zeit sammeln sich immer mehr ihrer Werke im Haus der Familie an. Nun also wandern sie abwechselnd in den Garten. "Ich brauche dieses Kreative für die Seele!"

Selbst mit der Porträtmalerei ist Waltraud Sangl vertraut. Warum sich nicht mal an einem Horst Seehofer versuchen, wo er doch im nahen Gerolfing wohnt? Dort stellt die 50-Jährige mitunter einige ihrer Werke im Würzburger-Laden aus. Oder seinen Vorgänger im Ministerpräsidentenamt, Edmund Stoiber, malen? Auch kein Problem.

Wo andere den bloßen Schaden sehen, erkennt sie die Chance: Ein Mauerdurchbruch in der Garagenwand, der beim Bohren ungewollt entstanden ist, wird zur Herausforderung.

Lauschige Plätze

Mit dem Zuspachteln allein ist es für die Mühlhausenerin nicht getan. Sie malt bunte Kreise drum herum und verziert auch die übrige Wand. Eine Bank davor, dazu einige Kübelpflanzen, und fertig ist ein lauschiger Platz, der in der Hitze des Sommers kühlen Schatten bietet. Nicht minder einladend wirkt der kleine Sitzplatz mit zwei Klappstühlen direkt unter eine kunstvoll beschnittenen Kiefer neben dem Hauseingang. Hier möchte ich verweilen, denkt der Gast und fühlt sich gleich daheim.

Ja, der Kunstgarten der Waltraud Sangl böte noch viel Platz für ihre bunten Experimente. Ebenso wie sich in ihrem Kopf viele Ideen dafür stapeln. "Aber mir reicht einfach die Zeit nicht", lacht die 50-Jährige.