"Wir zwei sind sehr zufrieden"

Josef Götzenberg spricht über sein neues Herz, das er vor vier Jahren bekommen hat

12.02.2019 | Stand 23.09.2023, 12:14 Uhr
Kirchenmusiker Josef Götzenberger −Foto: DK

Ingolstadt - Josef Götzenberger aus Neuburg hat vor vier Jahren ein neues Herz bekommen. Er wird nie erfahren, wer der Spender war – aber er ist ihm unendlich dankbar. Jetzt hält er Vorträge an Schulen und will sogar wieder für den Stadtrat kandidieren.

Herr Götzenberger, vor genau50 Jahren wurde zum ersten Mal in Deutschland ein Herz transplantiert. Sie selbst haben vor vier Jahren, im Juli 2015, ein Spenderherz bekommen. Man darf also davon ausgehen, dass der heutige Tag für Sie bedeutsamer ist als für viele andere Menschen?

Josef Götzenberger: Ich bin Jahrgang 1959. Ich war damals neun Jahre, als das mit der ersten Herztransplantation in Deutschland passiert ist.Das ist in den Nachrichten gebracht worden. Und ich kann mich noch erinnern, dass meine Mama damals daheim in Waldau bei Ehekirchen beim Kochen so nebenbei gesagt hat: „Ich glaube nicht, dass sich das durchsetzt.“ Meine Schwester hat einen Fernseher gehabt, und da sind wir abends hin und haben das gesehen: faszinierend, toll, einfach toll, wie die da rumgeschnitten haben. Ihre Mutter ist ziemlich falsch gelegen mit ihrer Prognose.

Sie selbst haben jetzt ein neues Herz. Sie halten sogar Vorträge an Schulen.

Götzenberger: Ja, am Donnerstag bin ich in Ingolstadt an der Ickstatt-Realschule bei den achten Klassen. Ich war auch schon in Neuburg an den Realschulen. In der zehnten Klasse wird das Thema Organspende im Religionsunterricht behandelt. Und bei den achten Klassen geht es in Biologie um Transplantation. Statt irgendeinen Film zu zeigen ist es besser, wenn ein Überlebender das anschaulich darstellt.

Am 4. Juni 2020 ist Josef Götzenberger nach einer Corona-Infektion gestorben. Hier ist der Artikel dazu.

Wie reagieren die Schüler, wenn sie sehen: Da kommt jetzt einer, der dem Tod von der Schippe gesprungen ist?

Götzenberger: Man wird schon ein bisschen von der Seite angeschaut. Keiner spricht das aus, aber manche Schüler haben ein mulmiges Gefühl. „Der hat etwas Totes in sich.“ Nach dem Motto: In diesem Mann schlägt ein Herz, das nicht ihm gehört?

Spüren Sie das selbst auch manchmal so?

Götzenberger: Ja, und ich bin froh, dass ich es spüren kann – denn das alte Herz habe ich nicht mehr gespürt.Und ich bin diesem anderen Menschen dankbar, dass ich überlebt habe. Ich werde aber nie wissen, wer es war. Mein Herz ist über das Zentrum von Euro-Transplant in Leiden in Holland vermittelt worden. Da werden die ganzen Arztberichte hingeschickt – namenlos – und die Ärzte entnehmen den Befunden, wie schlimm und wie dringend es ist. Und sie entscheiden, wer auf die sogenannte Schnellliste kommt.

Wie schlimm war es denn damals bei Ihnen?

Götzenberger: Ich habe Herzinsuffienz durch eine Herzmuskelentzündung gehabt. Bei mir hat man dann jahrelang zuschauen können, wie das Herz langsamer und schlechter wurde. Am Schluss war es noch bei einer Leistung von 18 Prozent.

Dann kamen Sie auf die Schnellliste für eine Herztransplantation am Klinikum Großhadern in München, plötzlich im April 2015 gab es angeblich ein Spenderherz – und dann wurde nichts daraus?

Götzenberger: Ja. Großhadern hat gehadert: Die waren sich nicht ganz sicher – da war irgendein Wert bei diesem Herzen, der nicht zu mir gepasst hat. Da haben sie es lieber einem anderen gegeben, für den es sicher gepasst hat.

Wie war das dann für Sie? Ein Schock?

Götzenberger: Mei! Ich war damals in der „Warteklinik“ Neuwittelsbach in München, hatte die Zahnbürste für die Verlegung zur Transplantation nach Großhadern schon in der Hand – und dann wurde da nichts draus. Aber im Juli kam dann die Erlösung.

Das Warten war bestimmt nervenzehrend?

Götzenberger: Meine Einstellung war: Ich glaube es erst, wenn ich vorne auf der Brust den Schnitt sehe, also meinen „Reißverschluss“, und wenn auf dem Monitor der Puls und der Blutdruck gleichmäßig sind.

Haben Sie das gesehen?

Götzenberger: Die Transplantation war am 18. Juli 2015. Wie ich aufgewacht bin, nach 17 Tagen im Wachkoma, ging mein erster Blick nach unten zur Brust – und ich habe den roten Strich gesehen. Dann habe ich auf den Monitor auf der Seite neben dem Bett geschaut, und da war ein gleichmäßiger Herzschlag da. So was von schön gleichmäßig! Früher hat das bei mir ausgeschaut wie ein Strickmuster und jetzt plötzlich – herrlich!

Sie waren 17 Tage im Koma?

Götzenberger: Ja, normalerweise sind es drei, vier Tage. Man ist im künstlichen Koma, läuft über die Herz-Lungen-Maschine, eigenes Leben ist schon nicht mehr da. Ich hatte eine Nahtod-Erfahrung...

So wie man sich das vorstellt? Man ist kurz vor dem Tod, geht durch einen Tunnel?

Götzenberger: Ich weiß auch, was dahinter ist. Ich weiß, wie es weitergeht – und das ist beruhigend.Ich weiß, dass auf der anderen Seite jemand ist mit einem verdammt großen Herzen. Aber ich bin wieder zurückgekommen.

Mit einem neuen Herzen.

Götzenberger: Das Tolle ist: Dieses Herz ist mittlerweile so eingewachsen, dass man fast nicht mehr sieht, dass es irgendwann ausgetauscht wurde. Wie hat der Professor im Klinikum Großhadern zur Schwester gesagt: Stellen Sie sich vor, wir haben das Herz rein, und alle Anschlüsse haben gepasst!

Da kommt der Klempner im Herzchirurgen durch!

Götzenberger: (lachend) Wie bei einem Waschbecken... Wie sie das Herz haben anlaufen lassen, hat es sofort geschlagen.

Gelten Sie jetzt in Großhadern als Musterpatient?

Götzenberger: Eigentlich ja. Denn sämtliche Ärzte haben im Vorfeld gesagt, dass ich die denkbar schlechtesten Karten habe. Anfang 2015 hat es geheißen: Das Jahr überleben Sie nicht.

Die Krankheit hat Sie aus einem aktiven Leben gerissen. Sie waren Musiklehrer, Organist, Chorleiter.

Götzenberger: Von 100 Prozent oder sogar 120 Prozent auf 20 Prozent runtergebremst zu werden, das war der Horror.

Was können Sie heute wieder machen, mit Ihrem neuen Herzen?

Götzenberger: Ich kann wieder Orgel spielen – aushilfsweise in verschiedenen kleinen Gemeinden. Aber ich mache heute nur noch das, was mir Spaß macht.

Dazu gehört anscheinend auch die Lokalpolitik. Sie sind für die CSU im Neuburger Stadtrat. Treten Sie denn bei den Wahlen im nächsten Jahr wieder an?

Götzenberger: Wenn’s mir so geht wie jetzt: Ja! Mit so Kleinigkeiten wie der Dialyse drei Mal in der Woche kann man das Leben gut gestalten. Ich bin mittendrin. Ich wollte übrigens immer schon im Sommer Geburtstag haben – ich bin nämlich im Dezember geboren –, und jetzt feiere ich im Sommer: am 18. Juli.

Wie prägt Sie all dieses? Sind sie mit dieser Erfahrung und mit dem neuen Herzen auch ein neuer Mensch geworden?

Götzenberger: (klopft sich auf die Brust) Wir zwei sind sehr zufrieden. Ich bin ruhiger geworden und lebe bewusster.Ich lasse mich nicht mehr drangsalieren.

Fühlen Sie sich privilegiert? Es gibt so viele Menschen, die auf ein Spenderherz warten – und Sie sind zum Zug gekommen.

Götzenberger: Leider ist die Bereitschaft zur Organspende recht mau bei uns in Deutschland. Das ist wirklich schlimm in Deutschland. Dabei stehen so viele auf den Listen. Also: Ich hatte mehr Glück als Verstand. Dass es so schnell gegangen ist, und dass genau dieses Herz dann gepasst hat und meinen Körper nicht überfordert hat – denn Herz und Lunge müssen zusammenpassen. Übrigens habe ich erst vor einem halben Jahr erfahren, dass eigentlich ein Teil vom alten Herzen noch drin ist. Ein Stück vom Vorhof ist noch da – und da wurde das neue Herz angenäht.

Zwei Herzen schlagen – ach – in meiner Brust...

Götzenberger: Mein Humor ist ein bisschen bizarr, fast britisch. Vor drei Jahren war ich in Neuburg am Faschingsball. Und als was bin ich gegangen? Als „Doppelherz“-Flasche.

ZUR PERSON

Josef Götzenberger lebt in Neuburg. Der heute 59-Jährige war Musiklehrer an der Mädchenrealschule Maria Ward, Kirchenmusiker der Pfarrei St. Peter und Leiter von zwei Chören. Er ist für die CSU Mitglied im Neuburger Stadtrat. Am 18. Juli 2015 erhielt er in der Klinik Großhadern ein Spenderherz.

Richard Auer