Eckersmühlen
"Wir wären froh, wenn der Krieg ein Ende nehme"

Zwei Eckersmühlener Brüder kämpften 1916 an der Westfront bei Verdun Feldpostbrief beschreibt das Grauen

19.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:47 Uhr

Sinnloser Angriff: Deutsche Infanteristen verlassen die Schützengräben, um die Höhe "Toter Mann" bei Verdun zu erstürmen. Die Aufnahme, eine der wenigen wirklich echten Kampfaufnahmen, ist am 14. März 1916 entstanden (oben). Der Eckersmühlener Soldat Michael Müller beschreibt den mörderischen Alltag dort. Sein Bruder Georg schreibt in einer Feldpostkarte (unten, Vorder- und Rückseite) an seine Eltern: "Sollte ich sterben oder erschossen werden, bekommt ihr hundert Mark." - Foto: Privatbestand Manuela Lösch

Eckersmühlen/Verdun (HK) Feldpost aus dem Schützengraben: Ein Brief und eine Postkarte der Eckersmühlener Brüder Müller, die im Mai 1916 bei Verdun kämpften, zeigen das Grauen des Ersten Weltkriegs und die zunehmende Abstumpfung der Soldaten.

"Liebe Eltern!

Sollte mir was passieren, daß der Fall komme, daß ich krank werde und sterbend oder ich werde erschossen, dann habt ihr das Recht, euch an die Krankenversicherung zu wenden.

Dann bekommt Ihr Hundert Mark. Die Hundert Mark bekommt man von der Versicherungsgesellschaft des Königs. Es wird hoffentlich der Fall nicht eintreffen." Das schreibt der Eckersmühlener Kaufmannssohn Georg Müller am 2. Mai 1916 nach Hause. Da tobte der deutsche Angriff auf Verdun. Müller wurde Im Frühjahr 1916 mit seiner Einheit, dem 14. Königlich Bayerischen Infanterieregiment "Hartmann", aus der Champagne in den Maas-Mosel-Raum zwischen Verdun und Nancy verlegt, wo es in den dortigen Stellungskämpfen eingesetzt wurde.

Im Februar 1916 startete die deutsche Oberste Heeresleitung die Operation "Gericht", ein Großangriff an der Westfront. Die Schlacht um Verdun nahm ihren Anfang und erreichte im Mai ihren Höhepunkt. Die Feldpostkarte vom 2. Mai legt nahe, dass sich der Einsatzort Georg Müllers in der Nähe von Verdun befand, da zum einen auf der Vorderseite das Foto der Karte den deutschen Kronprinzen Wilhelm bei der Inspektion von französischen Kriegsgefangenen zeigt (siehe Foto), zum anderen ist ein "Geprüft"-Vermerk auf der Textseite der Karte ersichtlich, woraus hervorgeht, dass diese die Zensur durchlief.

Der Gefechtskalender sowohl des Regiments als auch der 5. Bayerischen Division gibt für den Zeitraum Ende 1915 bis Juli 1916 als Einsatzort lapidar den "Wald zwischen Apremont und Ailly " an, was letztlich den gesamten Frontbogen um Verdun bezeichnet. Georg Müllers Einsatzraum lag im Mai 1916 südlich von Verdun bei Apremont-la-Forét, also rund 50 Kilometer vom Schauplatz der mörderischen Hauptkämpfe entfernt.

Zur gleichen Zeit lag Georg Müllers Bruder Michael am nördlichen Ende des Frontbogens um Verdun, bei Malancourt (zwischen Luxemburg und Reims), im Schützengraben. Michael Müller war der dritte Bruder, der 1916 zum Kriegsdienst herangezogen wurde. Er absolvierte seine Rekrutenausbildung in Ingolstadt und wurde umgehend danach an den Frontbogen vor Verdun verlegt, wo von März bis Mai 1916 die mörderischen Kämpfe, besonders um die Höhen 304 und "Toter Mann", tobten.

Michael Müller schreibt am 14. Mai 1916 einen Feldpostbrief an seine Schwester, in dem er die grausame Schlacht und den Alltag in den Schützengräben beschreibt:

"Liebe Schwester!

Es ist heute Sonntag und ich habe schön Zeit zu schreiben. Deinen lieben Brief und Karte habe ich mit bestem Dank erhalten.

Es freut mich immer wenn ich von der Stellung zurück kann, und habe von euch Pakete bekommen. Es wird halt jetzt bei euch draußen sehr viel Arbeit geben, und wir wären froh, wenn der Krieg ein Ende nehme und könnten draußen wieder arbeiten, anstatt wir im Schützengraben arbeiten müssen und keine Minute des Lebens sicher sind.

Wie wir die sechs Tage im Schützengraben waren und ich auf Horchposten draußen war, da hab ich von einem Granatloch Wasser getrunken und später der Sold. Kässel auch noch. Da trinkt man Wasser und wenn Tote drin lagen, dann haben wir es auch gesoffen.

Wir sind auf einem gefährlichen Platz, im Wald von Malangur (Malancourt) an der Höhe dreihundert4. Da kann einen die französische Artillerie von allen Seiten haben. Wenn wir auch viele Verluste haben, durchgekommen ist doch immer wieder einer.

Liebe Schwester, mir hat im Graben meinen Tornister ein großer Granatsplitter durchgehaut und ich war am Eck draufgelegen. Er ist genau da übers Genick gepfiffen. Wenn der mich auf den Kopf geschlagen hätt, wär ich schon lange tot. Meinen Nebenmann mit Namens Fröschel hat es die Splitter in den Rücken gehaut. Der ist in den Graben gestoßen, wo ich gelegen.

Es bekommen auch viele einen schönen Granatschuß, ein solcher wär schon recht. Man muss halt nur das Beste hoffen. Wir haben halt das Glück gehabt, das sie uns zu den 13. ins Feld haben; es gibt Regenwetter, die haben's schön im Feld. Da wo gleich den ganzen Tag nicht ein Artillerieschuß fällt. Dagegen schießt bei uns die Artillerie so viel, als wenn Maschinengewehr schießen würde.

Wo ist der ruhige Mathias Käser und Math. Miederer? Hoffentlich werden sie an dieser Stelle nicht teilnehmen brauchen. Denn die Hälfte meiner Kameraden ist bereits verwundet oder tot.

Mein Nachbar Georg Schneider hat mir die warme Gans bracht. Demnach muss er eine bessere Stellung haben.

Ich wünsch es keinem meiner Kameraden, daß sich einer freiwillig ins Feld melden soll. Wir haben 6 Nächte in Stellung, da sind wir immer todmüde bis wir ankommen, und kommen wir zurück, dann müssen wir exerzieren und haben Appell so gut wie in der Schanz.

Liebe Schwester, was schreibt der Christoph immer? Ist er noch bei der Feldküche?

Ich habe ihm eine Karte geschrieben wo ich bin. Er hat mir aber keine Antwort darauf geschrieben. Hoffentlich hat er es mitbekommen. Von Laffenau hab ich auch keine Antwort bekommen. Wahrscheinlich haben sie die verkehrten Adressen geschrieben.

Wir waren zurück in Exneau und jetzt in Schatel. Es ist in Deutschland immer wieder schöner als in Frankreich. Es geht schon wieder, morgen oder übermorgen, in Stellung; hoffentlich werd ich wieder glücklich durchkommen.

Ich bin so weit noch gesund, was ich auch von Dir, Eltern und Geschwister hoffe.

Sei herzlich gegrüßt auf ein glückliches Wiedersehen von deinem Bruder M. Müller.

Viele Grüße an Familie Zeh und Schneider.

Hoffentlich werden die Großeltern auch noch gesund sein, was die Hauptsache ist. Das Paket von Frau Zeh habe ich mit bestem Dank erhalten."

Die Hoffnung Michael Müllers auf einen "schönen Granatschuss", den so genannten "Heimatschuss" spricht für die Verzweiflung und die Sehnsucht, diesem Inferno irgendwie entkommen zu wollen. Und sei es durch eine Verwundung. Auch ein gewisser Sarkasmus bezüglich seines "Glücks, zu den 13ern ins Feld zu kommen" lässt sich herauslesen. Weiter erkundigt sich Michael Müller nach zwei Freunden aus Eckersmühlen, die zu diesem Zeitpunkt an der Ostfront (Käser), beziehungsweise an der Balkanfront (Miederer) eingesetzt waren. Michaels Bruder Christoph hatte mittlerweile das Glück, einen, wohl zeitlich begrenzten Posten bei der Feldküche zu bekommen.

Der Nachbar Michael Müllers, Georg Schneider, überlebte die Schlacht von Verdun. Er fiel aber, im Alter von 21 Jahren, während der "Großen Schlacht von Frankreich" am 22. März 1918 bei Trith-Saint-Léger in Nordfrankreich und liegt im Soldatenfriedhof von St. Laurent-Blangy, bei Arras, begraben.

Bis Ende Mai 1916 waren in Verdun bereits über 170 000 Soldaten beider Seiten entweder gefallen oder verwundet worden. Besonders Verlustreich war die deutsche Offensive gegen die "Höhe Toter Mann" und "Höhe 304". Da die Zahl der Todesopfer bis zum Mai gewaltige Ausmaße angenommen hatte, bat Kronprinz Wilhelm die Oberste Heeresleitung um den Abbruch der Offensive. Generalfeldmarschall Erich von Falkenhayn lehnte dies aber strikt ab, da er immer noch von höheren Verlusten auf französischer Seite ausging und somit die Offensive als Erfolg betrachtete, was ein Irrtum war.

Nach den starken alliierten Angriffen an der Somme waren weitere Angriffe bei Verdun nicht mehr vertretbar und der Misserfolg an der Westfront offensichtlich. Auch innenpolitisch war die Schlacht ein einziges Desaster. Im Sommer kam Falkenhayn einer Intrige des Generalstabs zuvor und bat um seinen Rücktritt, den Kaiser Wilhelm am 29. August 1916 trotz seines Widerwillens gegenüber dem Feldherrenduo Hindenburg und Ludendorff, das Falkenhayn nachfolgte, gewährte. Vor allem der spätere Nationalsozialist Erich Ludendorff brutalisierte den Krieg weiter. Auf ihn geht die Idee des "totalen Krieges" zurück, eine Blaupause für den Zweiten Weltkrieg.