Eichstätt
"Wir verbreiten keine Hirngespinste"

23.01.2011 | Stand 03.12.2020, 3:14 Uhr

Mit Schwung bei der Arbeit: Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth auf dem Zukunftskongress ihrer Partei in Eichstätt. - Foto: Chloupek

Eichstätt (DK) Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen, war am Samstag zu Gast in Eichstätt, wo ihre Partei einen Zukunftskongress abhielt. DK-Redakteurin Susanne Hagenmaier sprach mit ihr am Rande der Veranstaltung.

Frau Roth, in Wahlumfragen kommen die Grünen im Bund aktuell auf etwa 20 Prozent. Ist das der Verdienst Ihrer Partei oder liegt es an der Schwäche der anderen?

Claudia Roth: Es ist sicher auch ein Ausdruck von Verdruss über das, was wir in der Regierungspolitik erleben, aber Umfrageexperten sagen uns, dass die Situation auch hausgemacht ist. Die Menschen sagen: Die Grünen haben tatsächlich einen Gegenentwurf, eine Alternative. Die grünen Themen sind mitten in der Gesellschaft angekommen. 30 Jahre nach unserer Gründung nimmt man uns ab, dass wir keine Hirngespinste verbreiten, sondern Realpolitik.

Auf dem Zukunftskongress in Eichstätt haben Sie gesagt, Sie seien stolz darauf, wieder der politische Hauptgegner der CSU zu sein. Das klingt nicht so, als ob Schwarz-Grün je eine Option gewesen wäre.

Roth: Wir haben es aber auch nicht ausgeschlossen. Wenn es um Bündnisse geht, hocken wir nicht im ideologischen Schützengraben. Aber Teile der SPD etwa haben immer noch nicht verstanden, dass wir eine eigene politische Kraft sind. Wir sind nicht der Juniorpartner, das Anhängsel, die Abspalter. Wir waren immer eine eigenständige Partei.

Aber eine Regierung mit dem Hauptgegner wäre wohl schwierig, oder?

Roth: CDU und CSU haben sich, seit sie in der Regierung sind, in Riesenschritten von uns entfernt. Mit den Grünen geht keine Atompolitik, keine Spaltung der Gesellschaft wie bei der Gesundheitsreform, keine Ausgrenzung von Migranten und Flüchtlingen. Im Saarland sagen unsere Grünen, das geht gut mit der CDU. Wir werden sehen, wie das weitergeht, wenn Ministerpräsident Peter Müller aufhört. In Hamburg ging es gut mit Ole von Beust, mit Christoph Ahlhaus überhaupt nicht. Man muss immer schauen, was möglich ist. Wir sind der SPD deutlich näher, aber ich schließe andere Bündnisse nicht per se aus.

Wie groß ist die Chance auf eine Regierungsbeteiligung in Bayern?

Roth: Es ist großartig, wenn Umfragen das Undenkbare möglich erscheinen lassen, dass es eine Mehrheit jenseits der CSU gibt. Das ist ein politisches Erdbeben in einem Bundesland, wo die CSU immer den Eindruck erweckt hat, der Liebe Gott hätte ihnen Bayern vermacht. So ist es aber nicht. Der Liebe Gott liebt Vielfalt.

Im "Spiegel" hieß es: "Nur Grünen gelingt es, ungestraft Politik gegen sich selbst zu machen." Die Münchner Bewerbung um die Olympischen Spiele 2018 ist ein Beispiel: Zuerst waren Sie dafür, jetzt sind Sie dagegen. Wie lang geht so etwas gut?

Roth: Wir wären keine Grüne Partei, wenn wir über Großereignisse wie die Olympischen Spiele nicht diskutieren würden. Was nützt uns der Hurra-Patriotismus der anderen? Natürlich frage ich nach den ökologischen und sozialen Folgen und ob die Leute vor Ort die Spiele überhaupt wollen.

Warum sind Sie jetzt gegen die Olympia-Bewerbung?

Roth: Das ist ein Parteibeschluss. Ich bin Vorsitzende einer sehr demokratischen Partei, und wenn die Partei auf allen Ebenen Beschlüsse gefasst hat, kann ich nicht sagen, das interessiert mich nicht. Ich hätte es mir auch anders vorstellen können, aber selbstverständlich trage ich die Entscheidungen der Partei mit.

Sie sagen, die ökologische Frage sei nicht nur für die, die es sich leisten können. Biobauern brauchen aber nur deshalb keine Massentierhaltung, weil sie für das einzelne Tier mehr Geld bekommen – weil etwa ein Biohuhn im Supermarkt zehn Euro kostet. Wie löst man dieses Problem?

Roth: Es ist ja schon gut, dass regionale und biologische Produkte jetzt ein breiteres Publikum erreichen. Jeder soll essen, was er will, aber unsere Ernährung ist auch nicht besonders gesund. Man muss mal überlegen, was alles teurer geworden ist und wie der Preis etwa für ein Ei stagniert. Und was uns die Agroindustrie gesellschaftlich kostet, muss man auch mal hinterfragen.

Wenn das Biohuhn billiger wäre, könnten es sich mehr Leute leisten, aber dann würde der Bauer wieder weniger verdienen. Wenn es so teuer bleibt, können es viele nicht bezahlen. Was tun?

Roth: Bei einem Huhn für zwei Euro dreißig stimmt doch was nicht, dieser Preis kann nur unter ausbeuterischen Verhältnissen zustande kommen. Wir brauchen eine grundsätzliche Wende der Agrarkultur und einen grundsätzlichen Wandel der Esskultur, und dann müssen wir dafür sorgen, dass sich auch sozial Schwächere höhere Produktpreise leisten können.