Ingolstadt
"Wir sind immer für euch da"

Als examinierter Krankenpfleger und mit Kalkutta-Erfahrung versorgt Bruder Martin auch jetzt Wohnsitzlose

08.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:34 Uhr
Überwältigende Hilfslieferung: 1,7 Tonnen Lebensmittel bekam die Obdachloseneinrichtung am Mittwoch vom Möbelhof gespendet. Mitarbeiter Jan Dittrich sortiert das Lager, während Bruder Martin Berni (unten) neben Essen eine andere Art von Spende an die Hilfsbedürftigen weiterreicht: selbst genähte Schutzmasken. −Foto: Hauser

Ingolstadt - Vorbildlich mit Abstand im Hof.

Dann jeweils nur einer im Treppenhaus an der Ausgabe. Wie es auf den ausgeteilten Infoblättern zu Corona stand. "Und das machen unsere Leute wirklich vom ersten Tag an. " So sieht der Krisenmodus in der Straßenambulanz St. Franziskus aus, in der Bruder Martin Berni mit seinem Team weiter jede Menge Hilfesuchende versorgt. Gerade jetzt. "Wir sind immer für euch da", ruft er den Wartenden entgegen, als sich diese knapp vor 12 Uhr an der Moritzkirche fürs Mittagessen versammeln, das es inzwischen natürlich nur noch zum Mitnehmen gibt - und das auch im Moment nur dreimal in der Woche (am Montag, Mittwoch und Freitag) statt jeden Wochentag. Aber es gibt ihn eben, diesen Bissen Normalität für die Menschen, die es aktuell besonders schwer haben. "Die Leute sind noch ausgegrenzter als wir", sagt der ehemalige Franziskaner-Bruder über die Ausgangsbeschränkung.

Gulasch mit Nudeln gibt es heute. Etwa 60 Portionen teilt Martin Berni am Türstock zur Obdachloseneinrichtung nacheinander aus. Ein Bügelbrett ist sein Tresen - und sein Abstandhalter zum Schutz zugleich. Gefüllte Plastikboxen reicht er den Menschen mit wettergegerbten Gesichtern. "Das ist natürlich umweltmäßig nicht so toll", sagt er. Aber man habe alles mögliche ausprobiert. "Weicht alles durch. " Zur Mahlzeit gibt es auch ein Lebensmittelpaket, wer will auch Brot und dazu einen (dummen) Spruch von Martin Berni gratis. "Humor ist wichtig. Gerade jetzt. Meine blöden Sprüche tun den Leuten gut. "

Ihm huscht selbst ein Lachen über die Lippen, die kurz darauf von seinem Mundschutz verdeckt werden. So tritt er den Besuchern gegenüber, die heute neben Essen ein Geschenk erhalten: auch jeweils einen Mundschutz, den eine fleißige Näherin im Dutzend der Straßenambulanz überlassen hat. Martin Berni hilft den Bedürftigen beim Anlegen und schickt bei fast jedem hinterher: "Jetzt sieht dein Gesicht gleich viel besser aus! Könntest glatt als Maskenmodel gehen. " Dann schüttelt er sich vor Lachen. Und das Gegenüber mit.

"Keine Panik, aber auch nicht leichtsinnig sein", das ist das Motto dieser Tage in der Straßenambulanz. "Ich habe das Virus nicht immer im Kopf, wenn ich mit den Menschen umgehe. Das kann ich auch gar nicht", sagt der weit gereiste Einrichtungsleiter, der nach wie vor alle ihm möglichen medizinischen Hilfeleistungen für seine Leute übernimmt. Corona hin oder her, Seit 2004 ist Martin Berni in Ingolstadt, 2005 öffnete der inzwischen 60-Jährige die Straßenambulanz in den Räumen an der Moritzstraße. In dieser Zeit hat der gebürtige Schwabe mit Wurzeln in Rottweil viel Leid gesehen, aber nicht einmal annähernd in der Dimension wie davor. "Mich erschüttert oder erschreckt das nicht", sagt er über die Corona-Krise und deren Auswirkungen. Vielmehr ist gerade jetzt die Zeit, in der er anpackt.

"Wenn eine Katastrophe wäre, bin ich einer, der sich meldet. " Wie damals als junger examinierter Krankenpfleger, den der Ruf aus Indien ereilte. Von der Station seines Krankenhauses zog es ihn nach Kalkutta zur Einrichtung von Mutter Teresa. Ein Dreivierteljahr "schaffte" der Pfleger in den Slums des Millionenmolochs unter anderem auf einer Sterbestation. "Das lässt sich natürlich nicht mit heute vergleichen. Wir hatten damals weder Mundschutz noch Handschuhe, wir hatten gar nichts. Wir waren so beschäftigt, dass wir gar nicht daran gedacht oder es geglaubt hätten, dass wir etwas abkriegen. " Dass er ungefiltertes Wasser trank, zwang den jungen Mann dann in die Knie. Diese ganz Lebenserfahrung bleibt ihm natürlich.

Auch die aus dem Krankenhaus. So kann Martin Berni noch besser als andere über die Situation an der Frontlinie im Kampf gegen das Coronavirus urteilen: "Größte Hochachtung, was da vom Pflegepersonal geleistet wird. " Die Arbeit seiner Kolleginnen und Kollegen gehöre "viel mehr wertgeschätzt, nicht nur finanziell". Jetzt merke man, "wie wichtig die Leute sind". So sehr er sich über den Sparkurs der vergangenen Jahrzehnte im Gesundheitssektor geärgert habe, so sehr freue er sich darüber, dass die Anerkennung der Mitarbeiter steige.

Auch seine Straßenambulanz genießt aktuell durchaus Aufmerksamkeit. Nicht nur wegen Ostern. "Die Hilfsbereitschaft gerade in dieser Zeit ist phänomenal. Dass Leute jetzt auch andere denken, freut mich sehr. " An diesem Morgen gleich zweimal: In der Tür steht ein junger Ingolstädter namens Christian, der einen Rucksack bei sich trägt und den Inhalt auf das Bügelbrett leert. Einige Flaschen Wasser und eine Tüte mit allerlei Lebensmitteln. Er wollte die Sachen an der Gabenbrücke auf dem Donausteg ablegen: Dort ist nun die Telefonnummer der Straßenambulanz angeben, wo die Lieferungen abgegeben werden sollen. Aber keine frische Ware, nur haltbare Lebensmittel. "Viel Gesundheit! Passt auf euch auf! ", wünscht der junge Mann und verschwindet im Hof.

An diesem Morgen ist dort schon ein Lastwagen vom Möbelhof vorgefahren. Martin Berni und Mitarbeiter Jan Dittrich trauen ihren Augen nicht. Voll! Mit 1,7 Tonnen Lebensmitteln! Von Osterhasen bis Nudeln. "Großartig", so ihr großer Dank.

Seine inzwischen 80-jährige Mutter, so gesteht Martin Berni noch, fände das übrigens gar nicht mal so toll, was er mit seinem Leben so mache. Sie würde ihn eher wie im Fernsehen in der "Schwarzwaldklinik" bei Professor Brinkmann mit noblen Patienten umgeben sehen wollen, erzählt er lachend. Aber das, sagt er und lacht noch lauter, "wäre überhaupt nichts für mich". Viele danken ihm dafür. Gerade jetzt.

DK