Pfaffenhofen
"Wir sind doch längst Weltmeister!"

Die Pfaffenhofener Schwedin Petmilla Kuhning verfolgt die WM sehr entspannt - und liebt Bayern

22.06.2018 | Stand 25.10.2023, 10:26 Uhr
Hilft der Schwedenhammer, den die elfjährige Paulina gegen ihren Papa Christian, Fan der deutschen Elf, schwingt? Rechts ihre Mutter Petmilla Kuhning, daneben ihr Bruder Anders und Oma Brigitta. Derweil verspielt Marcus Berg (im Hintergrund) im Duell mit Südkorea eine Chance. −Foto: Herchenbach

Pfaffenhofen (PK) Diesen Samstag fiebert Fußball-Deutschland dem schicksalsträchtigen WM-Vorrundenspiel gegen Schweden entgegen. Da ist bekanntlich Daumendrücken angesagt - aber für wen? Da ist sich zumindest die deutsch-schwedische Familie Kuhning aus Pfaffenhofen uneins.

Das kann ja heiter werden. "Mein Mann hat gesagt", erklärt Petmilla Kuhning, "wenn Schweden am Samstag gewinnt, lässt er sich scheiden." "Nein, nein", widerspricht Christian Kuhning schmunzelnd, "ich lass mich nicht scheiden, aber ..." Was aber? - Egal. So weit wird's nicht kommen. Weil die deutsche Elf ohnehin siegt. Davon sind alle Kuhnings überzeugt - trotz der Pleite gegen Mexiko.

Familiär sind die Kuhnings ein Herz und eine Seele, aber fußballerisch sind sie gespalten. Christian drückt Jogis Jungs die Daumen. Petmilla als Schwedin hält natürlich zu "Blågult", den Blau-Gelben. Paulina, die elfjährige Tochter, hat sich Mamas Schwedenshirt übergezogen. Und Anders Klang, Petmillas drei Jahre älterer Bruder, tendiert - obwohl waschechter Schwede - als begeisterter FC-Bayern-Anhänger zur deutschen Nationalmannschaft. "Fast alle Schweden sind Bayern-Fans", behauptet er und legt zum Beweis ein Kinderfoto auf den Küchentisch. Da ist er mit seiner Schwester in kurzer Lederhose zu sehen. Die hat er jetzt eigens aus der Heimat mitgebracht und legt sie neben das kleine Schwarz-Weiß-Foto. Alter Schwede! Mehr Bayern-Begeisterung ist bei einem Skandinavier kaum vorstellbar. Oder doch? Petmilla zeigt auf ein Foto an der Küchenwand: Kuhnings Ferienhäuschen an der Ostsee. Davor flattert die schwedische Nationalflagge, daneben die Bayernfahne. Farblich passt das auf jeden Fall zusammen.

Im Kuhningschen Haus in Sulzbach geht's in dieser Woche hoch her, nicht nur wegen der WM. Oma Brigitta ist aus Hedesunda angereist, einem 1000-Seelen-Dorf 170 Kilometer nördlich von Stockholm, um mit der Familie nicht nur ihren 80. Geburtstag zu feiern, sondern auch Midsommar, nach Weihnachten das wichtigste Fest im schwedischen Kalender. Zur Sommersonnenwende kommen am Freitag so um die 15 Freunde in das Sulzbacher Haus, das leicht zu erkennen ist: Die Fensterrahmen sind schweden-blau gestrichenen, im Garten flattert das ganze Jahr die Nationalflagge. Die vermisst sie bei den Deutschen. "Das ist doch ein tolles Land, es gibt allen Grund, stolz darauf zu sein. Man ist doch kein Nationalsozialist, wenn man die deutsche Flagge zeigt." An Midsommar können die Gäste mit einem Blumenkranz auf dem Kopf um ein Bäumchen tanzen, das Petmilla mit frischen Birkenblättern und Blüten dekoriert hat. Und dann kommt auf den Tisch, was es an diesem Tag immer gibt: Hering mit Dill-Kartoffeln.

Die 50-jährige Bilanzbuchhalterin ist 1986 als Au-Pair-Mädchen nach Deutschland gekommen, hat sich verliebt und wohnt mit ihrem Mann, einem Diplom-Ingenieur, seit 2004 in Pfaffenhofen. Eine tolle Stadt, sagt sie. "Obwohl sie so groß ist, hat man irgendwann jeden schon mal gesehen. Man kennt sich und wird gegrüßt." Die Bayern seien wie die Schweden: freundlich, hilfsbereit, respektvoll andern gegenüber. Und man könne schnell Freundschaften schließen. Wie aufs Stichwort klingelt es an der Tür, und eine Freundin mit ihrem Sohn, der Paulina von der gemeinsamen Kindergartenzeit kennt, bringt einen selbst gebackenen Kuchen als Geburtstagsgeschenk für die Oma vorbei. Heute an ihrem Ehrentag trägt sie auf dem Kopf einen frischen Blumenkranz. Auch Bruder Anders, der - einem nordischen Piraten nicht unähnlich - sein Haar zu einem Knoten gebunden hat, ist von Pfaffenhofen begeistert. "Meine zweite Heimat", sagt er. Mindestens vier-, fünfmal im Jahr kommt die Familie zusammen, entweder hier oder in Schweden.

Dem Samstag, an dem um 20 Uhr Blågult auf die Nationalmannschaft trifft, fiebern sie alle entgegen. Von der Küchendecke baumeln über der Anrichte kreisrunde Fotos; nicht etwa von der Königsfamilie, sondern von Zlatan Ibrahimovi, Petmillas Idol. Er gilt als einer der weltbesten Stürmer, hat 15 Jahre für die schwedische Nationalmannschaft gespielt, ist aber vor zwei Jahren aus dem Kader ausgeschieden. Wobei Petmilla Kuhning besonders sein Lebensweg imponiert. "Hut ab", sagt sie, "was der aus seinem Leben gemacht hat." Der gebürtige Bosnier ist in Schweden in ziemlich prekären Verhältnissen aufgewachsen. "Ich habe seine Biografie gelesen. Über den Sport hat er den richtigen Weg gefunden. Er hat gezeigt, dass alles geht, wenn man kämpft." Für sie ein begnadeter Fußballer. So wie der deutsche Keeper Manuel Neuer. "Den mag ich, und dann sieht der auch noch gut aus."

Natürlich wär's toll, wenn die Schweden siegen. Immerhin haben sie in den Play-offs die Italiener herb gedemütigt und den vierfachen Weltmeister aus dem Rennen geworfen: Er konnte sich nicht für die WM qualifizieren und bleibt nach 60 Jahren erstmals zu Hause. Dennoch: "Alle glauben, dass Deutschland Schweden besiegt", ist Anders überzeugt. Was ihn so sicher macht? "Die deutsche Mannschaft ist nur gut, wenn sie Druck hat." Nach der 0:1-Niederlage gegen Mexiko müsste jetzt genug Dampf im deutschen Kessel sein.

Aber egal, wie's kommt: Petmilla und ihr Bruder verfolgen das WM-Turnier ziemlich entspannt. Denn die Schweden sind ja schon Weltmeister: im Eishockey. Den Titel haben sie sich bereits zehnmal geholt. Davon kann die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nur träumen.

 
 

Albert Herchenbach