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"Wir schützen doch auch Ihre Grenzen"

Ungarns Botschafter Györkös verteidigt den Flüchtlingskurs seines Landes und lobt Audi als Modell europäischer Kooperation

12.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:11 Uhr

Peter Györkös, der ungarische Botschafter in Berlin, gestern beim Gespräch in der Zentralredaktion des Donaukurier in Ingolstadt. - Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Ungarns Botschafter Györkös verteidigt den Flüchtlingskurs seines Landes und lobt Audi als Modell europäischer Kooperation.

Herr Györkös, der Ingolstädter Autobauer Audi ist mit einem großen Werk in der Stadt Györ in Ungarn vertreten. Wie wichtig ist Audi denn für Ihr Land?

Peter Györkös: Wenn so ein bekanntes Unternehmen wie Audi in Ungarn ansässig ist, hat das natürlich eine große Anziehungskraft. Ungarn ist heute nicht mehr wie vielleicht noch vor 20 Jahren eine Art verlängerte Werkbank, sondern ein integrierter Bestandteil der Wertschöpfungskette. Es geht also nicht nur um die Produktion, sondern um eine gemeinsame Vision, wie man die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken kann, wie man Arbeitsplätze schaffen und bewahren kann, wie man eine hochwertige Ausbildung sicherstellt, die Digitalisierung voranbringt und wie man die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellt.

 

Macht Ihnen die VW-Krise, die auch Audi erfasst hat, Sorgen?

Györkös: Wir verfolgen mit großem Interesse, was da passiert. Wenn man sich anschaut, wie wichtig die Autoindustrie für die deutsche Wirtschaft ist und wie eng vernetzt die deutsche und die ungarische Wirtschaft sind, dann ist es für uns sicher eine lebenswichtige Frage, dass alle Probleme, die in diesem Zusammenhang aufgetaucht sind, so schnell wie möglich ausgeräumt werden.

 

Wie wird Audi in Ungarn gesehen? Nur als deutscher Autohersteller oder auch als heimisches Unternehmen?

Györkös: Ich würde sagen, es ist eine Mischung. Aber es geht nicht nur um die Firma. Wenn Sie sich Györ anschauen, die Zusammenarbeit mit der Universität, mit dem Gymnasium, mit den Fachschulen, dann sehen Sie, dass das viel mehr ist. Dieses Modell der Zusammenarbeit geht weit über die Region Györ hinaus. Wir werden ab dem nächsten Jahr zum Beispiel die Mobilität von Arbeitnehmern im Land stärker steuerlich fördern, um dem Mangel an gut qualifizierten Arbeitskräften entgegenzuwirken. Auch da kamen Anstöße unter anderem von Audi.

 

Die Zusammenarbeit mit Audi kann man ja auch als Beispiel für europäische Integration sehen. Nun ist das Verhältnis Ungarns zur EU nicht gerade konfliktfrei. Wie steht Ihre Regierung zu Europa?

Györkös: Die Unterstützung für die EU ist in Ungarn mit am höchsten unter den Mitgliedsstaaten. Wir haben in einem Punkt einen Konflikt mit der Europäischen Kommission und einigen Mitgliedsstaaten, das ist die sogenannte Zwangsverteilung von Migranten. Aber in allen anderen Punkten sind wir auf der gleichen Linie - auch mit der Bundesregierung.

 

Die Flüchtlingsproblematik wird in Europa unterschiedlich wahrgenommen. Viele werfen Ungarn vor, sich unsolidarisch zu verhalten.

Györkös: Das weise ich entschieden zurück. Ungarn hat meiner Ansicht nach sogar am meisten solidarisch gehandelt. Wir sind in dieser Situation gelandet, weil in Europa vereinbarte Regeln missachtet wurden. Wir haben vergangenes Jahr beschlossen, einen Zaun an unserer Grenze zu Serbien bauen. Damit schützen wir die Außengrenze der Schengen-Staaten und damit das Wirtschafts- und Lebensmodell Europas. Bei uns wundern sich die Leute, wenn in Deutschland gesagt wird, wir hätten die Deutschen im Stich gelassen.

 

Es gibt auch Sorgen um die Demokratie in Ungarn unter Ministerpräsident Viktor Orban. Was antworten Sie darauf?

Györkös: Ich habe die ganze Diskussion um die Rechtsstaatlichkeit Ungarns in Brüssel begleitet. Alle Fragen, die das ungarische Grundgesetz betreffen, die Unabhängigkeit der Justiz, die Medienfreiheit, haben wir auf europäischer Ebene geregelt. Wenn man die Fakten anschaut, ist Ungarn ein gutes europäisches Land.

 

Werden Sie in Europa dann absichtlich missverstanden?

Györkös: Ich habe nie verstanden, wie die ungarische Politik als nationalistisch kritisiert werden kann, wo sie in der Migrationskrise doch nur europäisches Recht umgesetzt hat. Das ist für mich etwas absurd. Wir haben von Anfang an gesagt, koste es was es wolle, wir müssen die Außengrenzen der Schengen-Staaten schützen. Wir schützen damit doch auch Ihre Grenzen, auch hier in Ingolstadt.

 

Aber wegen Grenzzäunen alleine sind doch die Flüchtlinge nicht weg. Was sollen wir denn mit diesen Menschen tun?

Györkös: Wir sollten uns in die Lage bringen, schon außerhalb der europäischen Staaten zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten zu unterscheiden. Unsere Wahrnehmung der Lage ist, dass es sich nicht um eine Flüchtlings- oder Migrationskrise handelt. Es ist eine Völkerwanderung. Darüber müssen wir ehrlich reden.

 

Aber es bleibt doch dabei: Zäune allein nützen nichts.

Györkös: Da stimme ich zu. Aber die Reihenfolge ist wichtig. Wir waren nie gegen einen Pakt zwischen der EU und der Türkei. Aber wir sind der Auffassung, dass das nicht unsere eigene Verantwortung für den Schutz unserer Grenzen ersetzen kann. Jetzt ist dieses Problem gelöst, weil wir beides haben - den Schutz der Grenzen von innen in der Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten sowie zusätzlich durch die Verstärkung der europäischen Grenzschutzbehörde, und den Schutz von außen durch den Pakt mit der Türkei.

 

Fehlt noch der dritte Punkt, nämlich wie Europa mit den Menschen umgeht, die trotzdem zu uns kommen.

Györkös: Es gibt keine europäische Regelung, was Migration anbelangt. Jeder Mitgliedsstaat ist frei, zu entscheiden, wie er seine Gesellschaft gestalten will. Aber natürlich wollen auch wir Menschen in Not helfen.

 

Wie bewerten Sie die Diskussion um den Auftritt Orbans im bayerischen Landtag am Jahrestag des ungarischen Aufstands?

Györkös: Da war ich wirklich schockiert. Dass eine Gedenkveranstaltung für die Helden und Opfer von 1956 in Bayern so eine kontroverse politische Reaktion auslöst, ist ein Problem.

 

Was muss passieren, damit sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn wieder normalisieren?

Györkös: Reden, reden, reden. Und zuhören, zuhören, zuhören. Dass sich diese Frage überhaupt stellen kann, ist für mich schon schwierig. Wenn ich eine Liste mit den 20 wichtigsten europäischen Fragen vor mir habe, dann haben Deutschland und Ungarn in 19 die gleiche Position. Ich bin optimistisch, dass wir das regeln können. ‹ŒDK

 

Die Fragen stellten Stefan König und Johannes Greiner.