Nürnberg
"Wir lassen uns nicht für doof verkaufen"

5000 Landwirte demonstrieren in Nürnberg gegen die Düngemittelverordnung

17.01.2020 | Stand 23.09.2023, 10:06 Uhr
  −Foto: Pelke/Karmann, dpa

Nürnberg - Aus allem Himmelsrichtungen haben sich die Bauern mit ihren Traktoren am Freitag auf den Weg nach Nürnberg gemacht.

Unter dem Motto "Wir ackern für Bayern" hat die Bewegung "Land schafft Verbindung" zu der Sternfahrt mit anschließender Protestkundgebung auf dem Volksfest-Platz aufgerufen. Die Polizei zählt 5000 Teilnehmer und 2500 Traktoren.

Bereits Stunden vor dem Beginn der Demonstration haben sich auch die Bauern aus dem Nürnberger Knoblauchsland kurz vor den Toren der Stadt mit ihren Traktoren getroffen. "Wir hätten schon viel früher auf die Straße gehen sollen", ist sich Rudolf Dworschak, Gemüse-Bauer aus dem fruchtbaren Gemüsegürtel der alten Reichsstadt sicher.

Während die Wintersonne die Felder rund um den Nürnberger Flughafen in goldenes Morgenlicht taucht, blasen die Bauern zum Abmarsch. Doch die Stimmung unter den Landwirten ist wenig romantisch. "Die bürokratischen Vorschriften wachsen uns allen über den Kopf", sagt Dworschak, der mit fast 50 Mitarbeitern hauptsächlich Bio-Tomaten und Bio-Kräuter anbaut. "Wir wollen uns von der Politik nicht mehr länger für doof verkaufen lassen", sagt der 45-jährige Gemüse-Bauer und schaltet seinen Bulldog einen Gang höher.

Dworschak findet, dass die Bauern zum Sündenbock der Nation gemacht werden. Während die Autoschlange hinter der Traktoren-Kolonne immer länger wird, klagt der Landwirt über das Unverständnis der Politik und die Ignoranz der Gesellschaft. "Wir müssen jeden Schritt dokumentieren. Ich bin mehr im Büro als bei meinen Kulturen", ärgert sich Dworschak. Er beliefert mit seinem Bio-Gemüse auch Supermärkte. Die meisten Verbraucher nimmt der Landwirt in Schutz. "Würden die Leute beim Einkaufen nicht so stark auf regionale Produkte achten, wären viele Bauern schon längst verloren. "

Am Straßenrand stehen freundliche winkende Passanten, um den Bauern nach dem Motto "Recht habt ihr" zu applaudieren. Sogar staugeplagte Autofahrer nehmen den Protest gelassen und strecken erhobene Daumen zum Zeichen der Zustimmung aus dem heruntergekurbelten Wagenfenster. Die Polizei hat alle Hände voll zu tun, die tausenden Traktoren über das ehemalige Reichsparteitagsgelände langsam aber sicher auf den Volksfest-Platz zu lotsen. Trotz Wut im Bauch scheint kein Bauer aus der Reihe zu tanzen. In der Zwischenzeit laufen im Traktor-Radio die Verkehrsmeldungen: In und um Nürnberg stehen fast alle Autofahrer im Stau. Das befürchtete Verkehrschaos ist aber ausgeblieben.

Nach zwei Stunden haben auch die Bauern aus dem Knoblauchsland das Ziel vor Augen. Im Schneckentempo tuckert die Karawane mit den dicken Reifen zum Volksfest-Platz mit dem monströsen Nazi-Bau im Nacken. Protestplakate mit Aufschriften wie "No Farmers. No Food. No Future" glänzen in der Sonne. Rudolf Dworschak steigt auf das Dach seines Traktors und schießt für den Sohnemann, der den Familienbetrieb einmal weiterführen soll, ein Selfie.

Auf der Bühne versucht Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) derweil, den Unmut der protestierenden Bauern zu besänftigen. Aiwanger spricht von Bienen und Mehrheiten. Ein Bauer ruft ihm entgegen: "Der Wahlkampf ist vorbei! " Spontan ist auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu Großdemonstration der Bauern geeilt. "Der Hubert hat ja schon alles versprochen", sagt Söder und erntet gleich viele Lacher. "Ich bin kein Landwirt. Aber ich schwöre euch, die Staatsregierung beschäftigt sich Woche für Woche mit den Problemen", ruft Söder diesmal ganz im Ernst den protestierenden Bauern zu.

Die Lage sei schwierig, gibt Söder zu. Das Grundproblem sei die fehlende Wertschätzung. Überall würde schlecht über die Bauern gesprochen. Damit müsse endlich Schluss sein. Zur Freude der Landwirte wird der Ministerpräsident sogar relativ konkret. Die Zahl der Trinkwasser-Messstellen müsste mindestens verdoppelt werden, damit vereinzelte Nitrat-Belastungen nicht zum Höfesterben in ganzen Landkreisen führen könnten. Noch handfester ist die Maßnahme, die Söder den bayerischen Kantinen in den Speiseplan diktieren will. In allen öffentlichen Behörden sollten nur noch Lebensmittel aus Bayern auf dem Tisch landen.

"Außer uns beiden gibt es wenige, die euch helfen können", ruft der Ministerpräsident den protestierenden Bauern zum Abschluss zu - neben ihm steht Wirtschaftsminister Aiwanger. Tatsächlich muss sich Ludwig Hartmann, der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, deutlich mehr böse Zwischenrufe als Söder und Aiwanger zusammengenommen anhören. "Euren Frust kann ich nachvollziehen", versucht Hartmann den Unmut zu besänftigen. Mit dem "Bauern-Bashing" müssten seiner Meinung nach auch die Grünen langsam aufhören. Auch wenn es noch einige Differenzen im Dialog auszuräumen gelte.

Derweil legt Dieter Jäckel die letzte Bratwurst auf den Grill, den er standesbewusst auf dem Anhänger seines Traktors aufgebaut hat. "Meine Schweine, meine Wurst: Ich mache alle Bratwürste komplett selber", sagt der Landwirt aus Burghaslach im Landkreis Neustadt an der Aisch. Die Demo habe sich trotz langer Anfahrt in den Augen des grillenden Multitalents gelohnt. "Jetzt ist es wirklich mal wichtig, dass die Leute unsere Probleme mitbekommen und die Politik sich dadurch endlich mal bewegt. "

DK

Nikolas Pelke