"Wir haben Verantwortung"

26.03.2020 | Stand 23.09.2023, 11:23 Uhr
Lukas Schönach
"Zwei Meter Sicherheitsabstand - für Gottes Segen kein Problem", sagt Gerhard Rupprecht zu diesem Bild. Die Kirche hinter ihm ist zwar momentan leer, immer sonntags zu den Gottesdienstzeiten steht Rupprecht dennoch für ein kurzes Gespräch an der Tür. Die Gläubigen können so den Segen erhalten. −Foto: Rupprecht

Die Corona-Krise bringt viele Einschränkungen mit sich. Gerade Berufe, bei denen der persönliche Kontakt eine wichtige Rolle spielt, sind stark betroffen. Dazu zählt auch der Pfarrberuf. Welche Möglichkeit gibt es, wenn die direkte Seelsorge nicht mehr funktioniert? Was sind wichtige theologische Botschaften in dieser schweren Zeit? Der evangelische Pfarrer Gerhard Rupprecht gibt Antworten.

 

Pfarrer Rupprecht, für viele ist es derzeit nicht leicht, den Alltag zu meistern. Wie gehen Sie ganz persönlich mit der derzeitigen Situation um?
Gerhard Rupprecht: Für mich hat die Situation zwei Seiten: Zum einen die Außenseite, die ganz gut funktioniert. Man hält sich da an die Vorgaben, achtet auf den Abstand und die Ausgangsbeschränkungen. Das ist zwar ein bisschen lästig, aber es funktioniert. Die andere Seite ist die Innenseite. Die ist ganz anders. Mich belastet es schon, dass ich mit den Menschen, für die ich verantwortlich bin, nicht im direkten Kontakt stehe. Man kann sich zum Beispiel nicht treffen, sich nicht die Hand geben. Das macht mir mehr aus, als ich eigentlich gedacht hätte.

Das knüpft gleich an die nächste Frage an: Persönliche Seelsorge ist im Moment nicht möglich. Finden Sie dennoch Wege, den Menschen helfen zu können?
Rupprecht: Wir sind derzeit in einer Situation, in der die gewohnten Wege der Seelsorge nicht mehr funktionieren. Ich kann nicht mehr zu Geburtstagen, in das Krankenhaus oder zu Notsituationen gehen. Deswegen haben ein kleines Team und ich angefangen, Menschen, die wir sonst normalerweise in der Kirche oder im Alltag häufig sehen, anzurufen. Das ist für die Leute auch oft überraschend.

Warum ist das überraschend und gleichzeitig wichtig?
Rupprecht: Das Zeichen, dass sich die Kirche für einen interessiert, ist bedeutsam. Auch die Tatsache, dass wir fragen, wie es einem geht und ob es schwierig ist, kommt sehr gut an. Auch wenn es für die Menschen unmittelbar nicht schwierig ist, spürt man, dass es gut tut, zu reden und wahrgenommen zu werden. Wir müssen jetzt selbst viel aktiver werden als in der Vergangenheit.

Gibt es auch den umgekehrten Weg? Bekommen Sie Anrufe von Menschen, die bestimmte Anliegen haben?
Rupprecht: Ja, es sind aber nicht mehr Anrufe als vor der Corona-Krise. Es sind viele Management-Anliegen. Die Situation brachte und bringt natürlich viele Absagen und Änderungen von Veranstaltungen und Terminen mit sich. Darüber möchten die Menschen reden, der Beratungsbedarf ist auf jeden Fall da. Anrufer mit starken persönlichen Problemen gibt es noch nicht so sehr.

Man hört auf jeden Fall heraus, dass Sie derzeit keine Pause haben und einiges an Arbeit da ist, oder?
Rupprecht: Das ist ganz seltsam. Ich habe neulich geschaut und ich arbeite nicht weniger als sonst. Das Reden mit Menschen am Telefon kostet natürlich Energie und Zeit. Das ist aber absolut wichtig.

Eine Sache fällt momentan ja weg. Es gibt derzeit keine Gottesdienste mehr, das gilt auch in Schrobenhausen. Wie gehen Sie damit um?
Rupprecht: Es ist sehr verwunderlich, am Samstag keinen Gottesdienst vorzubereiten. Vor allem, weil es sich im Moment ja Woche für Woche wiederholt. Ich merke aber, dass die Kirche da ist. Wir unterstützen logischerweise das Versammlungsverbot; da stehen wir voll dahinter. Aber: Zwei bis drei Menschen können in den Kirchenraum. In diesen Krisen-Zeiten denke ich, dass der Kirchenraum noch mehr als sonst hilft. Dort ist man geborgen, man kann - wenn man religiös ist - beten. Die Menschen können dort zur Ruhe kommen. Der Raum strahlt schon etwas aus, was stabilisiert und ermutigt.

Die Kirche bleibt also nach wie vor geöffnet?
Rupprecht: Das ist essenziell. Es gibt keinen Gottesdienst, sonntags bin ich aber dort. Das heißt, ich stehe an der Tür und biete mit Abstand ein kurzes Gespräch an. Manche sagen dann: "Es sind zwar zwei Meter Abstand, Gottes Segen würde ich trotzdem gerne mitkriegen." Und den bekommen die Menschen von mir natürlich.

Viele sehnen sich dennoch nach einem Gottesdienst. Haben Sie eine Art Alternative, auf die man erst einmal zurückgreifen kann?
Rupprecht: Selbstverständlich. Die Medienangebote sind ziemlich vielfältig. Da gibt es beispielsweise Fernsehgottesdienste, Radiogottesdienste, verschiedene Links. Viele nehmen diese Angebote auch wahr und sind begeistert. Das ist übrigens bei vielen Älteren, die nicht mehr so mobil sind, oft mehr verankert als man denkt.

Gibt es im Lokalen, also in Schrobenhausen, schon Ideen für zusätzliche Angebote, die den Menschen Halt geben?
Rupprecht: Wir arbeiten gerade daran, mit Inputs für die Schrobenhausener Stadtgesellschaft wahrnehmbar zu sein: Mit einem Zeichen der Ermutigung, vielleicht einem Bibelspruch oder einer kleinen Geschichte. Wir werden das wahrscheinlich auf unsere Internetseite stellen oder per E-Mail weitergeben an die Menschen, die es gerne möchten. Mal schauen, was die Katholiken dazu sagen. Da ist es natürlich immer gut, Aktionen zusammen zu machen. Das ist der nächste Schritt, den ich gehen möchte. Es ist ein einfaches Format, das ich aber unbedingt gut machen möchte. Es sollen Sätze sein, die es in sich haben. Die Menschen sollen merken, dass es in Schrobenhausen eine ausgeprägte spirituelle Seite gibt.

Es sind derzeit nicht nur die Gottesdienste, die ausfallen müssen. Die Konfirmation ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Wie gehen die betroffenen Menschen damit um?
Rupprecht: Die Familien sind in dieser Sache sehr rational und vernünftig. Wir haben zwei Möglichkeiten angeboten. Entweder bieten wir - wenn es bis dahin möglich ist - eine eingeschränkte Konfirmation an, sozusagen im Krisen-Modus. Oder wir verschieben die Konfirmation. Die Antwort aller war eindeutig: Keiner möchte den Krisen-Modus. Den Menschen ist es wichtig, die Konfirmation mit Freunden und Verwandten ausgiebig zu feiern. Deswegen ist es besser, es zu verschieben.

Wir haben jetzt über viele Dinge gesprochen: Konfirmation, Seelsorge, Gottesdienst, Kirche. Glauben Sie, dass die Corona-Krise den Glauben und die Kirche in Zukunft verändern wird?
Rupprecht : (überlegt) Wenn die Krise vorbei ist, werden wir in sehr vielen Bereichen, auch im Bereich der Religion, eine Situation haben, die anders ist als davor. Ehrlich gesagt habe ich vor einer Woche gedacht, dass die Leute nach der Krise fragen, warum man die Kirche überhaupt noch braucht. So stimmt das nicht. Es wird ein anderes Bewusstsein dafür entstehen, wofür Kirche da ist und was sie machen kann. So ist man halt dabei und es ist ganz nett. Nach der Krise wissen manche Leute deutlicher, warum sie dabei sind und dass das echt ihr Ding ist. Es wird vielleicht auch gegenteilige Stimmen geben. Dass man einfach mit schwimmt, wird sich aber unter dem Strich - so denke ich - in mehr Bewusstheit wandeln.

Zum Abschluss: Was möchten Sie den Menschen in dieser schwierigen Zeit als zentrale Botschaft mitgeben?
Rupprecht: Jede Situation ist für Menschen, die glauben, eine Aufgabe. Die Frage ist nicht, warum Gott das macht oder zulässt. Die Frage ist, wofür Gott jeden ganz individuell braucht. Und er braucht jetzt die Menschen , die ihm glauben. Dafür, dass wir für andere da sind. Dafür, dass keiner alleine bleibt, wenn es möglich ist. Dafür, dass man einander stärkt. Das ist ganz viel. Wir werden gebraucht in dieser Krise, wir haben Verantwortung.

SZ

Das Gespräch führteLukas Schönach.

Lukas Schönach