Ingolstadt
"Wir haben das Happy End gestrichen"

Olaf Danner über die Titelrolle im "Hauptmann von Köpenick" - Freilichtpremiere am Freitag in Ingolstadt

24.06.2019 | Stand 02.12.2020, 13:40 Uhr
Olaf Danner spielt in der Ingolstädter Inszenierung im Turm Baur den "Hauptmann von Köpenick". Viele prominente Schauspieler wie Heinz Rühmann, Harald Juhnke und Katharina Thalbach (unten, von links) taten das ebenfalls. −Foto: Woelke, Reimer-Deck, Kumm/dpa

Ingolstadt (DK) "Ein deutsches Märchen in drei Akten" nannte Carl Zuckmayer sein Stück über den arbeitslosen Schuster Wilhelm Voigt, der als Hauptmann verkleidet das Rathaus von Köpenick besetzte, den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse konfiszierte.

Die Köpenickiade ereignete sich im Herbst 1906. Carl Zuckmayer nutzte diese wahre Begebenheit als Satire auf den deutschen Untertanengeist. Als "Der Hauptmann von Köpenick" 1931 am Deutschen Theater uraufgeführt wurde, kündigte sich bereits eine neue Phase von Uniformhörigkeit an. In der Ingolstädter Freilichtaufführung des Stücks, die am Freitag im Turm Baur Premiere hat, spielt Olaf Danner die Titelrolle.

Herr Danner, wünscht man sich so eine Rolle?

Olaf Danner: Ich habe sie mir nicht gewünscht. Eigentlich bin auch zehn Jahre zu jung für diese Figur. Denn im Hauptteil des Stücks ist die Figur Mitte 50. Ich habe erst mal gestutzt, als ich von der Besetzung erfahren habe. Aber je mehr ich mich mit der Figur auseinandersetze, desto sympathischer wird sie mir.

Wie ist das eigentlich mit dem Freilicht? Ist man da gern dabei? Oder ist es abhängig vom Wetter und vom Stück?
Danner: Das Wetter ist das geringste Problem. Wenn ich so zurückdenke an die vergangenen Jahre, kann ich mich an keine großen Wetterkapriolen erinnern. Aber das Freilicht ist schon eine Besonderheit im Spielplan. Auch weil die Leute neben ihrem Picknick eine spezielle Erwartungshaltung mitbringen. Open-Air-Theater verspricht mehr Happening, sie wollen Action sehen. Aber die Bedingungen im Turm Baur sind backstage nicht die Angenehmsten. Es gibt wenig Platz. Es ist feucht und schmutzig. Da kriegt man schnell mal einen Lagerkoller. Oft sind es Stücke mit großem Personalaufwand und unbefriedigenden Aufgaben für das Gros der Schauspieler. Und das am Ende einer meist doch recht anstrengenden Spielzeit. Also wenn Freilicht, dann will man auch etwas zu tun haben, etwas zeigen. Insofern kann ich für die Titelrolle schon dankbar sein.

Sie sind jetzt 15 Jahre in Ingolstadt. An welche Ihrer zahlreichen Rollen denken Sie gern zurück?
Danner: Ich habe mal nachgerechnet und bin auf 71 Inszenierungen gekommen. Alles in allem sind das über 100 Figuren. Worauf ich sehr stolz bin, war die Arbeit mit Calle Fuhr im Studio in Daniel Kehlmanns "Heilig Abend". Da passte alles. Gern zurückdenke ich an die frühen Arbeiten mit Schirin Khodadadian - "Kissenmann", "Messer in Hennen" und "Woyzeck". "Die 39 Stufen", das Hitchcock-Stück, war sicher ein Highlight. Und in letzter Zeit war die Zusammenarbeit mit Brit Bartkowiak, zuletzt bei "Kleiner Mann - was nun? " sehr erfreulich. Auch den Professor Heinzelmann im "Weißen Rössl" mochte ich gern. Das war zwar eine kleine Rolle, aber da durfte ich schwäbeln.

Viele berühmte Schauspieler haben diesen Wilhelm Voigt schon verkörpert: Heinz Rühmann, Harald Juhnke, Katharina Thalbach, Milan Peschel . . .
Danner: Das ist auch eine gewisse Hypothek. Ich habe es vermieden, mir diese Vorbilder anzuschauen, musste aber feststellen, dass Heinz Rühmann mir immer noch im Kopf rumspukt, obwohl ich den Film von Helmut Käutner aus den 50er-Jahren lange nicht mehr gesehen habe. Letztendlich wird mein Voigt ein ganz eigener sein.

Egal wie groß die Rolle ist, es fällt auf, wie genau Sie eine Figur erarbeiten. Wie muss man sich dieses Herantasten vorstellen?
Danner: Ich erschließe mir meine Figuren durch das Textstudium. Ganz simpel. Beim Textlernen entwickelt sich bei mir der Charakter. Ich nehme das alles aus dem Wort. Max Reinhardt soll gesagt haben: "Nicht Verstellung ist die Aufgabe des Schauspielers, sondern Enthüllung. " Ich versuche, das Wesen einer Figur aus ihren Worten zu enthüllen. Dem füge ich hinzu, was der Text in mir auslöst.

Was war das hier?
Danner: Ein gewisser Gerechtigkeitssinn, Melancholie, Einsamkeit.

Also ein bisschen wie der Woyzeck.
Danner: Genau das ist mir auch aufgefallen. Beide Figuren basieren auf realen Vorbildern. Wilhelm Voigt ist eine tragische Gestalt. Das wird in unserer Fassung im Turm Baur noch verstärkt. Denn wir haben das Happy End gestrichen. Bei uns wird es keinen lachenden Kaiser geben und keine Begnadigung. Wir brechen nach dem letzten gescheiterten Versuch, einen Pass zu ergattern, ab. In der letzten Szene winkt bei uns das Jenseits - oder eine Utopie von einem schöneren Leben. Bei der Spielplanvorstellung - also lange, bevor ich überhaupt wusste, dass ich den Hauptmann spielen würde - dachte ich noch: Was will man denn mit so einer Schmonzette? Aber jetzt merke ich, dass es ein hoch aktuelles Stück ist. Nehmen wir an, Wilhelm Voigt wäre ein Flüchtling, den kein Schiff mehr aufnimmt, oder wenn doch, hockt er stumpf in einem Ankerzentrum rum. Die Verzweiflung wäre vermutlich eine ähnliche.

Versteht man das Stück als Kommentar zu Gegenwart?
Danner: Wir werden keine aktuellen Bezüge in der Inszenierung haben, aber ich hoffe doch sehr, dass der Zuschauer sie herstellt. Weil sie offensichtlich sind.

Ist es ein passendes Stück fürs Freilicht?
Danner: Das haben wir uns auch gefragt. Es wird spannend. Wir werden kein Feuerwerk haben, keine Militärkapelle, keine Pferde, keine Massenaufläufe. Es wird keine Statistenkompanie aufmarschieren. Die Inszenierung wird sehr auf der Situation und auf dem Wort basieren. Man wird schon auch zuhören müssen. Insofern enttäuschen wir vielleicht die Erwartung nach leichter Unterhaltung und Spektakel. Aber natürlich gibt es auch viele Sachen zum Lachen.

Haben Sie denn überhaupt gedient?
Danner: Ja. Ich habe brav meinen Grundwehrdienst abgeleistet. Das war eine gravierende Erfahrung, bestimmt keine erfüllende Zeit, ermöglichte mir aber einen Blick in eine völlig andere Welt. Für mich war das Terra incognita - rein soziologisch. Diese Militärwelt ist schon sehr eigen, aber die Eindrücke von damals sind heute bei der Arbeit an dem Stück durchaus hilfreich. Regisseur Andreas von Studnitz war übrigens Zeitsoldat. Egal, ob preußisches Militär, Reichswehr oder Fremdenlegion - es geht immer um Befehl und Gehorsam, um die Ausschaltung des Individuums, um Unterordnug. Und darauf zielte Zuckmayer hin. Als das Stück 1931 uraufgeführt wurde, dämmerten die Nazis am Horizont. Das war schon sehr hellsichtig.

Haben Sie sich die Frage gestellt, was Sie getan hätten in dieser Zeit?
Danner: Natürlich. Ob ich die Chuzpe für so einen Verkleidungs-Coup gehabt hätte? Sicherlich hätte mich die Ungerechtigkeit frustriert, hätte ich am System gezweifelt. Aber was folgt daraus? Wir diskutieren schon auch die Frage: Wie gefährlich ist dieser Voigt? Könnte er zum Terroristen werden? Ich denke nicht. Alles, was ihn interessiert, ist, an einen Pass zu kommen. Er gründet keine revolutionäre Zelle, keine Partei, initiiert keine Montagsdemo. Es gäbe ja genügend Unzufriedene. Er bleibt für sich. Er ist ein Einzelgänger. Ich glaube nicht mal, dass er bewusst das System entlarven will - das passiert ihm so nebenbei. Wenn man es genau betrachtet, ist er auch damit gescheitert. Am Schluss wird er zum Helden stilisiert und dazu benutzt, das System erst recht zu glorifizieren. Deshalb finde ich es gut, dass wir das Happy End rausgenommen haben.

Was ist denn die größte Herausforderung? Das Berlinern - als gebürtiger Stuttgarter?
Danner: Davor hatte ich großen Respekt. Allerdings hat mir die Kollegin Teresa Trauth, die ja gebürtige Berlinerin ist, glaubwürdig versichert, dass es authentisch klingt. Man hat das irgendwie im Ohr. Das war also nicht die Schwierigkeit. Die Herausforderung wird vermutlich sein, den Raum, das Halbrund im Turm Baur, mit der reduzierten Spielweise, die wir anstreben, zu füllen.

Was ist für Sie die wichtigste Szene im Stück?
Danner: Eine Schlüsselszene ist sicherlich die Auseinandersetzung zwischen Wilhelm Voigt und seinem Schwager Friedrich Hoprecht nach der Beerdigung. Da geht es um das System. Hoprecht verteidigt es, Voigt zieht es in Zweifel - und sagt den entscheidenden Satz: "Erst kommt der Mensch, dann die Menschenordnung. " In der nächsten Szene besetzt er in der Hauptmannsuniform das Rathaus der Stadt. Und die Begegnung mit dem sterbenden Mädchen spielt bei uns eine übergeordnete Rolle. Da sieht man kurz einen glücklichen Voigt.

Sie sind jetzt 15 Jahre in Ingolstadt, fühlen Sie sich hier wohl?
Danner: Grundsätzlich schon. Allerdings ist diese Kammerspiel-Diskussion schon etwas, was das ganze Ensemble sehr enttäuscht hat. Dass es kein klares Bekenntnis der Stadt dazu gibt. Seit Knut Weber seine Intendanz angetreten hat, hat er unermüdlich dafür gekämpft. Eigentlich sollte alles längst in trockenen Tüchern sein. Jetzt scheint es wieder einen Rückzieher zu geben. Das können wir nicht verstehen. Zumal es bei dem üppigen Zuschuss des Freistaats geradezu ein Schnäppchen wäre. Es kann doch nicht im Ernst um 200 Tiefgaragenstellplätze gehen. Vielleicht sind wir ja auch ein bisschen selbst schuld. Weil wir trotz aller Widrigkeiten immer versuchen, ein optimales Produkt abzuliefern. Jetzt plant man einen neuen Bahnhofskomplex samt Hochhaus als Repräsentationsobjekt. Ist denn ein neues Theater nicht repräsentativ? Das beschäftigt uns alle sehr.

Welche Rollen stehen noch auf Ihrer Wunschliste?
Danner: Ich würde gern mal wieder einen Tschechow, einen Horvath oder einen Kleist spielen. Ich will mir aber gar keine Rollen wünschen, weil ich es viel spannender finde, was Regisseure in mir sehen. Ich freue mich, Mareike Mikat, unsere neue Oberspielleiterin bei ihrer Einstandsinszenierung "Romeo und Julia" kennenzulernen. Ansonsten würde ich liebend gern die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Calle Fuhr, Brit Bartkowiak oder Jochen Schölch fortsetzen.

Eine Besonderheit gab es noch in dieser Saison: Im "Siegfried" standen Sie mit Ihrem Sohn Finley auf der Bühne. Wie war das für Sie beide?
Danner: Es war für uns beide schon was Besonderes, auch wenn wir auf der Bühne gar nicht zusammen agiert haben. Schön war, dass er nicht nur als Statist dabei war, sondern dass es sich um eine richtige kleine Rolle mit Text gehandelt hat. Und ich finde, er hat sich wirklich begabt angestellt, da habe ich wohl ein paar Theatergene vererbt. Als er sich bei seiner persönlichen Premiere verbeugen durfte, da ist mein Vaterstolz mächtig geschwollen. Ich fürchte fast, er hat Blut geleckt.

Die Fragen stellte Anja Witzke.

 

ZUR PERSON

Olaf Danner wurde 1970 in Stuttgart geboren. Seine Schauspielausbildung absolvierte er an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Sein Erstengagement führte ihn an die Münchner Kammerspiele. 2001 wechselte er ans Landestheater Linz. Seit 2004 ist er festes Ensemblemitglied am Stadttheater Ingolstadt.