Ingolstadt
"Wir fühlen uns wie in einer Familie"

23.07.2010 | Stand 03.12.2020, 3:50 Uhr

Gemütlicher Kaffeeklatsch: Jeden Mittwoch wird im Hospiz ein Angehörigen-Café veranstaltet. Hier können die Menschen ihr Herz ausschütten und Erfahrungen austauschen. Auch Bewohner des Hospizes schätzen die gesellige Runde. - Fotos: Schattenhofer

Ingolstadt (DK) Auf den ersten Blick wirkt alles wie ein ganz normaler Kaffeeplausch: Ein großer Tisch, liebevoll dekoriert mit einem kleinen Segelschiff und Muscheln auf blauem Stoffband, in der Mitte ein selbst gebackener Schokoladenkuchen. Die Menschen sind ins Gespräch vertieft. Ein Mann mit grauem Rauschebart macht gerade seinem Ärger über die Krankenkasse Luft. "Die sagen, die Mutti soll wieder nach Hause. Aber das verkraftet sie nicht."

Die Mutti – Edith Mende – ist Gast im Elisabeth-Hospiz, wo sie ihre letzte Lebenszeit verbringt. Die 91-Jährige hatte einen Hirnschlag, ist bettlägrig und auf Hilfe angewiesen. Deshalb ist ihr Sohn auch so aufgebracht, dass der Medizinische Dienst nach Aktenlage entschieden hat, dass die alte Frau nur Pflegestufe 2 hat und durchaus allein daheim leben kann. "Sie haben sie nicht einmal angeschaut", schüttelt Mende den Kopf. Die anderen Leute am Kaffeetisch nicken verständnisvoll.

 
Beim Angehörigen-Café, das seit kurzem immer mittwochs im Hospiz stattfindet, kann Bernd Mende sein Herz ausschütten, seine Sorgen los werden und sich austauschen mit anderen Menschen, die in der gleichen Situation sind und ihn verstehen. An diesem Mittwoch ist kein Platz frei am großen Tisch.

Ursula Cincelli erzählt von ihrem Mann, der an einer Erkrankung des Autoimmunsystems leidet und seit Anfang Juni im Hospiz lebt. "Als er hier reinkam, war er richtig erleichtert", erzählt die 54-Jährige. "Im Vergleich zum Klinikum ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht. Als mein Mann dort war, wurde gerade gestreikt, und es war nur eine Ärztin da. Die ist nur herumgehetzt und konnte einem fast leid tun. Hier ist alles so persönlich, und immer lächelt einem ein freundliches Gesicht entgegen." Kein Wunder: Im Hospiz ist jede Schwester für nur vier Gäste zuständig, außerdem gibt es zahlreiche ehrenamtliche Hospizhelfer – die guten Geister des Hauses.

Sie betreuen auch das Angehörigen-Café, so wie Ingrid Huber und Ulrike Fritzen an diesem Nachmittag. "Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir über mehr als 20 Ehrenamtliche verfügen", sagt Adele Gibtner, die Koordinatorin. "Jeder Gast wird im Elisabeth-Hospiz von einem Helfer betreut. So kann man eine ganz andere Beziehung aufbauen. Unser System ist einmalig, denn in anderen Häusern, etwa in München, werden die Hospizhelfer stundenweise eingeteilt."

Mit am Tisch sitzt auch eine junge Frau. Franziska Koppitz, 17 Jahre alt und Schülerin am Gnadenthal-Gymnasium, absolviert gerade ein zweiwöchiges Praktikum im Hospiz. Sie hätte auch in einen Kindergarten gehen können, aber nachdem ein Hospizhelfer an der Schule über seine Tätigkeit berichtet hatte, war sie neugierig geworden. "Ich war total überrascht, denn ich dachte, hier hängen alle an Schläuchen und können nicht mehr reden. Dabei ist es ganz anders: Man kann sich gut unterhalten mit den Gästen: Es ist, als würde man mit der Oma sprechen. Eine Frau hat mir allerdings auch erzählt, sie würde gern sterben, und was man da tun könne."

Schon nach wenigen Tagen hat Franziska Koppitz ihr Urteil gefällt: "Es ist toll, dass es dieses Hospiz gibt. Wenn ich jetzt ans Sterben denke, ist es nicht mehr so schlimm." Ähnlich tröstlich empfinden auch die Angehörigen. "Man muss begeistert sein, wenn man das hier sieht: Die Lage inmitten der Stadt, dieser schöne Garten", sagt Bernd Mende. Vor allem aber dieses unheimlich freundliche und nette Personal. Wir fühlen uns hier wie in einer Familie." Auch die Mutti fühle sich wohl hier, nachdem das Zimmer mit ein paar Möbeln von daheim und selbst gemalten Bilder ausgestattet ist.

Michael Geibel sitzt an diesem Mittwoch in seinem Rollstuhl ebenfalls am Tisch und genießt die gesellige Runde. Er ist seit fünf Wochen Gast im Hospiz, zuvor war er in einem Pflegeheim untergebracht. Ein Albtraum für ihn: "Da war ich eingesperrt wie ein kleiner Bub und um mich herum nur schwerkranke Menschen. Es war nicht zum Aushalten, und obendrein teuer. Die ganze Rente ist draufgegangen."

Spindeldürr ist Michael Geibel, er leidet an Lungenkrebs und hat eine Operation hinter sich. "Ich bin ein Mensch, der kämpft", meint der 54-Jährige trotzig: Er will mit weniger Medikamenten auskommen und die Beziehung zu seiner Verlobten festigen. "Ohne sie hätte ich schon längst aufgegeben." Die Frau sitzt mit am Tisch, die beiden halten Händchen, als wollten sie einander nie mehr loslassen. Der Tod scheint in weite Ferne gerückt. Aber er sitzt mit am Tisch, wie ein unsichtbarer Gast.