Brüssel
"Wir dürfen jetzt nicht zögerlich sein"

Wie sieht die Zukunft des automatisierten Fahrens in der EU aus? Darüber haben nun Experten in Brüssel diskutiert

22.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:54 Uhr

Brüssel (DK) Das automatisierte Fahren kommt - das gilt als sicher. Nur welche Voraussetzungen braucht es dafür? Und ist Deutschland bei der Entwicklung noch vorne dabei? Darüber diskutierten am Donnerstagabend Experten auf Einladung des Verbands der bayerischen Wirtschaft (vbw) in Brüssel.

Bertram Brossardt kann es in Sachen automatisiertes Fahren gar nicht schnell genug gehen. "Wir dürfen jetzt nicht zögerlich sein", sagte der vbw-Chef in der Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union. "Ziel muss es sein, den technologischen Wandel auch künftig von der Spitze aus mitzugestalten." Deshalb forderte er "europaweit funktionierende und miteinander kompatible Systeme für den Austausch von Informationen zwischen Fahrzeugen und Umgebung - sowohl technisch als auch rechtlich". Brossardt treibt die Angst um, dass andere Nationen sonst davonfahren: "Wenn wir es nicht machen, dann machen es andere - etwa die USA oder China."

Ins gleiche Horn stieß Anton-Klaus Kathrein, Chef der auch als Automobilzulieferer tätigen Kathrein-Werke KG. Wenn schon nicht weltweit, dann müsse man zumindest EU-weit gleiche Standards und Richtlinien festlegen. "Wenn wir in Europa zu kleinteilig bleiben, werden wir von anderen Ländern wie China abgehängt", sagte Kathrein. Während man hier noch diskutiere, schaffe man im Reich der Mitte bereits Fakten.

Man müsse auch nicht erst auf ein 5G-Netz warten, um das automatisierte Fahren weiter voranzutreiben, so Kathrein. So eine enorme Bandbreite sei zwar gut, aber im Moment noch nicht unbedingt nötig - besonders eigne sich 5G für die Passagiere des autonomen Fahrzeugs, die sich hochauflösende Filme auf ihre Mobilgeräte streamen. Viel dringender sei derzeit eine Erhöhung der Qualität der bestehenden Netze. Ebenfalls wichtig sei es, bei der Entwicklung darauf zu achten, dass sicherheitsrelevante Signale immer Vorrang hätten - etwa vor der Videoübertragung.

Miklos Kiss, Leiter der Vorentwicklung Funktionsalgorithmik bei Audi, wollte sich den derzeitigen Stand beim automatisierten Fahren nicht kleinreden lassen. "Wir sind vorne dabei", sagte Kiss und verwies auf den neuen A8, der Mitte nächsten Monats präsentiert werden soll. Die Oberklasselimousine beherrsche als erstes Serienauto das autonome Fahren auf dem sogenannten Level 3 - zumindest auf der Autobahn. Trotzdem habe man noch viel Arbeit vor sich: "Die Landstraße ist das schwierigste Szenario", sagte Kiss. "Dort haben wir für viele Fragen noch gar keine Lösung." Stadtverkehr sei aufgrund der niedrigeren Geschwindigkeiten leichter in den Griff zu bekommen.

Der Vertreter der Europäischen Kommission aus dem Kabinett von Verkehrskommissarin Violeta Bulc, Nikolaus Von Peter, betonte, dass die Entwicklung des autonomen Fahrens kein Selbstzweck sein dürfe - sie müsse Probleme lösen. Zwar werde oft behauptet, dass durch das automatisierte Fahren Emissionen reduziert, Staus verhindert und Unfälle vermieden würden - doch gesetzt den Fall, dass man allein auf diese Technologie setze, könne auch das Gegenteil eintreten. Weil das Fahren damit unter Umständen so komfortabel wäre, dass es möglicherweise auch Leute nutzten, die vorher auf ein Auto verzichtet haben, könnte es zu mehr Staus und Emissionen kommen.

Deshalb sei es aus Sicht der EU-Kommission wichtig, einen ganzheitlichen Ansatz zu finden. "Automatisiertes Fahren darf keine Konkurrenz zum Öffentlichen Personennahverkehr sein", sagte von Peter. "Es muss eine Ergänzung sein." Beispielsweise könnte sich die Technik besonders gut für die "erste" beziehungsweise "letzte Meile" hin zu Bahn oder Bus-Stationen eignen. "Wir müssen alles dafür tun, dass Alternativen zum Auto attraktiver werden."

Während von Peter mit einer Übergangszeit von rund 20 Jahren rechnet, glaubt Audi-Mann Kiss, dass es noch wesentlich länger dauern werde, bis man ausschließlich automatisiert fahre. Kiss verglich die neue Technik mit der Einführung des ESP. Etwa 15 Jahre habe es gedauert, bis sich die Technik in allen Fahrzeugklassen durchgesetzt habe. Aber dann seien manche Autos ohne ESP immer noch 30 Jahre in Betrieb.