Ingolstadt
"Wir Demokraten müssen wach werden"

Gedenken an Pogromnacht 1938: Etwa 100 Menschen versammeln sich vor der ehemaligen Synagoge in der Altstadt

10.11.2019 | Stand 02.12.2020, 12:39 Uhr
Stimmungsvoll und bewegend gestaltete sich heuer wieder das Gedenken an die Pogromnacht vor 81 Jahren. Die Teilnehmer versammelten sich vor der ehemaligen Synagoge in der Theresienstraße und erinnerten an die jüdischen Opfer in Ingolstadt. −Foto: Brandl

Ingolstadt (mbl) Etwa 100 Menschen nahmen am Samstagabend an der Gedenkfeier zur Pogromnacht in der Theresienstraße 23 vor der ehemaligen Synagoge teil.

Auch heuer gestaltete die Veranstaltung sich wieder sehr bewegend und stimmungsvoll.

Verschiedene Redner erinnerten an das abscheuliche Geschehen, das sich in Nazideutschland in der Nacht vom 9. auf den 10. November abspielte und sich gegen die jüdische Bevölkerung richtete. Zum Abschluss der Gedenkstunde liefen auf einer eigens aufgestellten Leinwand die Namen aller damals in Ingolstadt lebenden jüdischen Bürger ab. Ein besonderer Moment, wie auch Sprecherin Monika Müller-Braun vom Verein Gegen Vergessen für Demokratie bekräftigte: "Die Nacht steht für das Ende des jüdischen Lebens in Ingolstadt. Es war ein Schlag, von dem sich die Stadt nicht mehr erholt hat", sagte sie.

Zuvor sprach Gerda Büttner von der Ingolstädter Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) zu den Teilnehmern. Sie erinnerte an eine Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit vor 27 Jahren in Ingolstadt und daran, dass vor dem friedlichen Protest Hunderte Flugzettel mit der Aufschrift "Ausländer raus" auf dem Paradeplatz verstreut wurden. Absender sei die Nationalistische Front Bielefeld gewesen. Heute würden Neu- und Altnazis ihren Hass im Internet verbreiten, so Büttner, die zugleich feststellte, dass Rechtsextremismus und Rassismus keine neuen Erscheinungen seien. Sie warnte zudem vor einer Beschönigung oder Verharmlosung der deutschen Nazivergangenheit. Jüngste Vorfälle wie etwa der Anschlag auf die Synagoge in Halle sollten aufrütteln und zum Handeln auffordern, sagte sie. "Wir Demokraten müssen wach werden, wir müssen uns sammeln, und wir müssen unsere Werte nicht nur verteidigen, sondern offensiv vertreten", so Büttner.

Mitredner Roberto Paskowski (Die Linke) erinnerte an die Anfänge der Diskriminierung der Juden in Deutschland unter der Herrschaft der NSDAP. Demnach erließen die Nationalsozialisten bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs über 250 diskriminierende Verordnungen, die dazu dienten, jüdische Bürger aus immer mehr Berufssparten und Lebensbereichen auszugrenzen. Europaweit seien sechs Millionen Juden Opfer des vom nationalsozialistischen Deutschland begangenen Völkermordes geworden. "Die Shoah ist ein Verbrechen, das sich jedem historischem Vergleich entzieht und das in seinem Ausmaß bis heute unvorstellbar bleibt", sagte Paskowski.

Musikalische umrahmt wurde die Gedenkfeier von Igor Loboda, Mitglied des Georgischen Kammerorchesters. Er trug auf der Geige unter anderem die Titelmelodie zum Film "Schindlers Liste" vor, Ralf Lichtenberg verlas das Gedicht "Kollektivschuld" von Wolfgang Bittner. Vor dem Gedenken besuchten die Initiatoren erstmals fünf Stationen in der Altstadt, an denen sogenannte Stolpersteine in den Boden eingelassen sind. Sie erinnern an vertriebene und getötete Juden in Ingolstadt. Dort wurden die Biografien der Personen verlesen, die Stolpersteine geputzt und eine Rose niedergelegt.