„Wir brauchen die Blaue Plakette“

Cem Özdemir, Vorsitzender des Verkehrsausschusses, zum Fahrverbot in Hamburg

23.05.2018 | Stand 02.12.2020, 16:21 Uhr
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir sitzt seit dieser Legislaturperiode dem Verkehrsausschuss des Bundestages vor. Er stellt der Regierung im Diesel-Skandal ein schlechtes Zeugnis aus. −Foto: Kappeler/dpa-Archiv


Herr Özdemir, in der kommenden Woche treten in Hamburg erste Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge in Kraft. Drohen solche Maßnahmen bald auch in anderen Städten?

Cem Özdemir: Es ist wirklich ärgerlich, dass die Hamburger durch die Untätigkeit der Bundesregierung nun zu einer solchen Maßnahme gezwungen sind. Aber man sollte die Kirche im Dorf lassen: Es geht dort jetzt um die Sperrung von zwei Straßenabschnitten. Bundesweit droht jedoch ein Flickenteppich von Einzelregelungen in den Kommunen, wenn die Bundesregierung und Verkehrsminister Scheuer nicht endlich ihre Blockadehaltung gegenüber wirksamen Nachrüstungen schmutziger Diesel und gegenüber der blauen Plakette aufgeben. Die Blaue Plakette ist ein Vollzugsinstrument und kein Verbotsinstrument. Auch immer mehr Vertreter der Automobilindustrie zeigen sich im Gespräch mit mir durchaus aufgeschlossen gegenüber der Blauen Plakette.
 Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer verspricht, dass das Sofortprogramm „Saubere Luft“   dazu führen werde, dass es in weniger als zehn Städten Fahrverbote für Diesel geben werde. Teilen Sie seinen Optimismus?

Özdemir: Der EU-Kommission in Brüssel ist inzwischen der Geduldsfaden gerissen. Seit mehr als acht Jahren werden die Immissionsgrenzwerte für Stickstoffdioxid überschritten, Brüssel fordert die Bundesregierung seit 2015 auf, endlich dagegen vorzugehen. Die Manipulationen bei Diesel-Fahrzeugen sind seit zweieinhalb Jahren bekannt. Doch der Bund lässt die Kommunen im Stich. Die Haupttätigkeit des von der CSU geführten Verkehrsministeriums bestand bisher darin, durch konsequentes Wegschauen dazu beizutragen, dass dieser Skandal nicht vollständig aufgeklärt wurde. In Deutschland müssen die verantwortlichen Autobosse anders als in den USA keinerlei Sanktionen fürchten.
Wie lassen sich weitere Fahrverbote in deutschen Metropolen aus Ihrer Sicht noch vermeiden?

Özdemir: Wir brauchen ein umfassendes Programm zur wirksamen Nachrüstung der schmutzigen Diesel-Motoren. Dafür müssen die Verursacher, die Autokonzerne aufkommen. Wir brauchen die Blaue Plakette. Und es muss eine Verkehrswende geben, die diesen Namen auch verdient. Dazu gehört der kräftige Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs und des Fahrradverkehrs. Die von der Bundesregierung versprochene Aufstockung der Mittel für den Radverkehr auf 200 Millionen  lässt immer noch auf sich warten.  
Wäre die Hardware-Umrüstung von schmutzigen Diesel-Motoren denn eine sinnvolle Lösung, um den Schadstoffausstoß  signifikant zu verringern?

Özdemir: Was am wirkungsvollsten ist, hängt auch vom Alter und Wert des Fahrzeugs ab. Das Verkehrsministerium hält noch immer ein Gutachten über die Kosten der Hardware-Umrüstung für Diesel-Fahrzeuge zurück. Offensichtlich sind die Ergebnisse und die Zahlen dem Minister nicht genehm, die Kosten für die Umrüstung deutlich geringer als angenommen und die Machbarkeit deutlich höher.  
In den USA werden vom Diesel-Skandal betroffene Autobesitzer teils kräftig entschädigt. Hierzulande gehen sie  hingegen leer aus. Können Sie den Unmut vieler Betroffener verstehen?

Özdemir: Klar, den Unmut der Diesel-Besitzer verstehe ich sehr gut. Sie haben sich ihr Fahrzeug in gutem Glauben zugelegt und schauen jetzt in die Röhre, werden von der Bundesregierung allein gelassen. Diesen Skandal hat nicht nur die Automobilindustrie zu verantworten. Die Bundesregierung war tatkräftig beteiligt und hat weggeschaut. So wie amerikanische Verbraucher das Recht auf Entschädigung haben, muss dieses Recht auch Betroffenen in Deutschland zustehen. Das Instrument der Gruppenklage muss endlich kommen.
 
Die Fragen stellte Andreas Herholz.