Riedenburg
Wild durch die Weltgeschichte

Steinmetzgeselle Andreas Mann ist auf der Walz - und hat dabei eine Woche in Riedenburg verbracht

31.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:53 Uhr
Eine Station von Hunderten: Den Steinmetzgesellen Andreas Mann hat es auf der Walz nach Riedenburg verschlagen. Diese Woche arbeitete er im Betrieb von Günter Schinn mit. Die beiden haben sich in Ingolstadt kennen gelernt - aus purem Zufall. −Foto: Schmied

Riedenburg (DK) Sein Zuhause ist die ganze Welt. Für mindestens drei Jahre und einen Tag. Denn Steinmetzgeselle Andreas Mann aus dem baden-württembergischen Weissach ist auf der Walz - und dabei prompt in Riedenburg gelandet.

Schicksal oder Zufall? Bei Ersterem ist sich Andreas Mann nicht so sicher, das Zweite würde er aber auf jeden Fall unterschreiben. "Ohne Zufälle funktioniert Wanderschaft nicht", sagt er. Davon ist der 28-Jährige überzeugt, und nach einem Jahr und neun Monaten auf der Walz kann er das wohl auch sein. Und so war es ein schicksalhafter Zufall, der den Steinmetzgesellen Anfang Januar in eine Ingolstädter Kneipe verschlagen hat, in der ganz zufällig 20 andere Steinmetze saßen, die nach einem Gestaltungsseminar gemeinsam den Abend ausklingen ließen. "Das war Mittwoch, der 10. Januar", sagt Günter Schinn, einer der Besagten. Einen der Ihrigen ließen sie dann auch nicht mehr so einfach gehen. Danach war Andreas Mann um einige Visitenkarten reicher. "Und zwei Wochen später steht er da", verrät Günter Schinn.

In dessen Riedenburger Steinmetzbetrieb packt Andreas Mann diese Woche über mit an. Weit bis in die Dreiburgenstadt hatte er es ja nicht. Zuvor war er in Hemau, danach geht es weiter ins Allgäu. Lange hält es der 28-Jährige eh nicht an einem Ort aus. Drei Monate am Stück sind das Maximum, das Handwerksgesellen auf der Walz in einem Betrieb verbringen dürfen. "Ich bin meistens nach zwei Monaten wieder weg. In dieser Zeit hat man das Meiste aus einem Betrieb gelernt." Abschauen kann man sich da so einiges. "Zum Beispiel, dass man den Mörteleimer mit einem Haken ans Gerüst hängen kann, damit man sich nicht so oft bücken muss", sagt er - immer noch völlig begeistert von dieser Erkenntnis.

"Man tauscht 50 Kilometer gegen den Rest der Welt."

Wandergeselle Andreas Mann

 

Seine Ausbildung absolvierte Andreas Mann in der Bauhütte in Esslingen. Schon kurz nach der Gesellenprüfung zog es ihn in die Fremde. 60 Prozent arbeiten, 40 Prozent reisen lautet das Grundrezept. "Man kann auf der Walz handwerklich viel lernen - aber auch über sich selbst", sagt er. Neuland beschritten hat er beispielsweise in einem Betrieb, in dem er einen Grabstein anfertigen durfte, das hatte er in seinem Lehrbetrieb nie getan. In einer anderen Firma verlegte er Platten und setzte Treppen. In Riedenburg geht es nun sehr kreativ zu. Firmenchef Günter Schinn arbeitet derzeit an vier Grabmalen für die diesjährige Landesgartenschau in Würzburg. An einem, einem Urnenstein, macht sich aktuell Andreas Mann zu schaffen.

Aber wie ist das jetzt eigentlich mit der Walz? Warum macht man das? "Weil man dadurch die Möglichkeit bekommt, die Welt zu sehen", lautet Andreas Manns Begründung. Jeder, der ein traditionelles Handwerk erlernt hat, kann in die Ferne ziehen - vorausgesetzt, er ist unter 30 Jahre alt, ledig, kinderlos, schuldenfrei und nicht vorbestraft. Die Heimat ist während dieser Zeit, mindestens drei Jahre und einen Tag also, tabu. Näher als 50 Kilometer darf der 28-Jährige aktuell also nicht an Weissach im Landkreis Böblingen heran. Heimweh? "Hatte ich noch nie. Was will ich zu Hause? Auf der Walz tauscht man 50 Kilometer gegen den Rest der Welt." Diese Distanz sei heutzutage ohnehin im Grunde keine mehr. Man könne sich auch ganz einfach woanders treffen. Quasi an der Grenze zum Bannkreis - der öffentliche Nahverkehr macht's möglich.

Die Regeln für die Walz stammen aus dem Mittelalter, sind 700 Jahre alt, erzählt Andreas Mann. Damals war die handwerkliche Bildungsreise Voraussetzung für die Meisterprüfung. Während man zu dieser Zeit mit dieser Methode verhindern wollte, das sich zu viele Meister an einem Ort tummeln, ist zumindest der Grundgedanke der Walz bis heute unverändert: Erfahrungen sammeln und der Austausch untereinander. "Im deutschsprachigen Raum sind aktuell um die 500 Wandergesellen unterwegs. Ich denke, zwischen 25 und 30 davon sind Steinmetze", erklärt Andreas Mann.

Zu übersehen sind sie alle nicht. Denn Handwerksgesellen auf der Walz tragen eine besondere Kluft, je nach Gewerk in einer speziellen Farbe. Zimmerer schwarz, Schmiede blau, Steinmetze grau, beige oder weiß. Die Kleidung erfüllt auch einen regulierenden Zweck. "Wenn sich einer von uns in einer Stadt daneben benimmt, hat es der Nächste ziemlich schwer. Wir achten untereinander auf gutes Benehmen." Und darauf, dass es der nächste Geselle im Ort besser hat als man selbst.

Besitzen darf Andreas Mann während seiner Reise übrigens nichts. Kein Geld, nur das nötigste an Kleidung, kein Handy. Die große Freiheit. "Wir leben im Hier und Jetzt", so nennt er das. Mit ihrer Arbeit verdienen sie Geld, ansonsten freuen sich die Wandergesellen natürlich auch über Einladungen, sagt der Steinmetz. Zum Essen oder zum Schlafen. Wenn das nicht klappt, verbringt man eben mal eine Nacht unter dem Sternenhimmel. Wie ist das in Bayern? "Wenn man mit der Kluft ins Gasthaus geht, bekommt man gleich etwas zu essen. Wenn man am nächsten Tag mit der Kluft am Straßenrand steht und trampt, schauen einen die Leute komisch an", meint Andreas Mann und lacht.

Ob das in Russland anders ist, will er im Sommer testen. Gemeinsam mit anderen Gesellen will er unter anderem über Georgien und Armenien dorthin. Fünf Monate soll die Reise dauern. "Ein paar Sachen haben wir schon in Aussicht", erklärt Andreas Mann auf die Frage, ob sich dort auch Arbeit finden lässt. "Die haben da ja auch Steine." Der große Reiz liege ja überhaupt erst darin, dass man am Morgen nicht weiß, wo man am Abend landet. Wild durch die Weltgeschichte, sozusagen. Wenn er nach der Walz wieder daheim ist, will er darum erst einmal ein oder zwei Jahre als Geselle arbeiten - um herauszufinden, was von dem Gelernten die eigene Routine bereichern kann.