Neuburg
Wer unterdrückt nun wen?

"Der dressierte Mann" im Stadttheater überzeugt auf ganzer Linie

15.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:07 Uhr

Völlig neue Erkenntnisse für Helen (Martina Dähne), die sich als kleines Mädchen schon nicht für Puppen, sondern die Abrechnung des Kaufmannsladens interessiert hat: Mutter Konstanze (Karin Dor) und Schwiegermutter in spe Elisabeth (Marianne Rogée) bringen ihr bei, ihren Mann Basti zu dressieren - Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Der entscheidende Satz, die Quintessenz, fällt schon früh: „Unabhängigkeit zwischen Mann und Frau gibt es nicht – die einzige Möglichkeit ist der Zölibat“.

Weitere anderthalb Stunden mit „Der dressierte Mann“ im Neuburger Stadttheater lohnen sich dennoch. Und wie! Ein Lacher jagt den nächsten. Unglaublich, dass Esther Vilars gleichnamiges Buch, das John Düffel als Vorlage für sein Theaterstück diente, mehr als 40 Jahre alt ist. Damals, 1971, drehte Vilar den Spieß einfach um, mit dem Feministin Alice Schwarzer die Männerwelt piesackte. Das Streitgespräch der beiden ist legendär. Und steht als kurze Einblendung am Anfang von knapp zwei Stunden heiteren Schlagabtauschs auf der Bühne. Wer unterdrückt nun wen? Der Mann die Frau, wenn er in die Arbeit geht und sie zu Hause „einsperrt“? Oder die Frau den Mann, indem sie ihn hinaus in die feindliche Welt schickt, das notwendige Kleingeld zu verdienen, damit sie es ausgeben kann?

Kein Thema für Bastian (Stephan Schleberger) und Helen (Martina Dähne), die glauben, „eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit fast gleichem Einkommen“ zu führen. Was aber nur so lange gilt, wie er einen Tick mehr verdient als sie. Der geplante Heiratsantrag bleibt Basti im Halse stecken, als er erfährt, dass Helen den Job bekommen hat, auf den er selbst spekuliert hatte – und nun zehnmal so viel verdient wie er.

Der Heiratsantrag fällt aus. Basti deklariert die Ringe, die bereits auf dem aufwendig gedeckten Tisch liegen, als Freundschaftsringe, der Appetit auf Pizza – das feine Essen ist längst angebrannt – ist ihm vergangen und der auf Sex ebenso. „Ab morgen nehm’ ich Viagra.“ Stattdessen ertränkt er seinen Kummer in Alkohol, was Schlebergers mit Abstand größte Szene zur Folge hat. „Ich lass mich schei’n“, nuschelt er. „Aber wir sind doch gar nicht verheiratet“, wundert sich Helen, die plötzlich – Karrierefrau hin oder her – unbedingt heiraten will, während er auf gar keinen Fall „das ganze Personalbüro über mich und Steuerklasse V lachen“ sehen will.

Da treten die Mütter auf den Plan. Karin Dor, ganz Weibchen, als Konstanze Engelbrecht, in dritter Ehe mit einem Zahnarzt verheiratet und der festen Überzeugung, „Männer sind Versorger. Wenn du ihnen das nimmst, fühlen sie sich überflüssig“. Was Helen mit unschuldig-naivem Augenaufschlag kontert: „Aber das sind sie ja auch.“ Doch um der Heirat willen lässt sie sich von Mutter und Schwiegermutter (überzeugend: Marianne Rogée) in den Typus „60er-Jahre Hausfrau“ – Stöckelschuhe, Federn im Haar und zuckersüße Stimme – verwandeln.

Faszinierend, wie gut sich die beiden reifen Frauen verstehen, obwohl sie doch eigentlich völlig konträre Frauentypen verkörpern. Hier die Weiblichkeit ausspielende Zahnarztgattin, die den Titel ihres Mannes benutzt und „0,0 Prozent männliche Anteile hat, was sehr selten ist“, wie Bastis Mutter Dr. Elisabeth Schröder-Röder die Anziehungskraft Konstanzes auf Männer erklärt. Dort die promovierte Emanze, die ihren Sohn in einer Frauen-WG aufwachsen lässt, zum Haushaltsdienst verdonnert und in Häkelseminare geschleift hat. Ihre Wege sind unterschiedlich, ihre Außenwirkung ebenfalls, doch einig sind sich beide darin, dass der Mann dressiert werden müsse. Liebeskummer? Für die Frau nur das Gefühl, „dass ihr ein lukratives Geschäft wegschwimmt“. Treue? „Es kommt nicht darauf an, dass der Mann seinen Samen bei sich behält, sondern ob er zahlt.“ Ein schlechtes Gewissen verdreifache mitunter sogar die Zahlungen.

Dem auf höchstem schauspielerischen Niveau agierenden Ensemble gelingt es wunderbar, die topaktuelle Problematik der Rollenfindung von Frau und Mann pointiert, unterhaltsam, ausgewogen und ohne Polemik auf die Schippe zu nehmen. Um am Ende glaubhaft zu machen, dass Augenhöhe zwischen den Geschlechtern letztlich Augenwischerei ist – egal, in welcher Richtung.