Ingolstadt
Wer spielt denn heute noch Schach?

Bestandsaufnahme einer stillen Sportart, die doch immer mehr Kinder und Jugendliche fasziniert

23.02.2012 | Stand 03.12.2020, 1:48 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Irgendwie ist dieses Training ganz anders. Still und hoch konzentriert sitzen sich die Spieler gegenüber – sinnieren und taktieren, und werden wohl nie verstehen, warum so mancher bestreitet, dass Schach überhaupt eine Sportart ist.

Schach ist spannend und mitreißend, auch wenn die Schweißtropfen nicht so schnell fließen wie bei körperlich aktiven Sportarten. Trotzdem ist es ein kleines Wunder, dass Schach in der Region einen gewissen Boom erlebt.

Immerhin ist die Ruhe, mit der Schach gespielt wird, das komplette Kontrastprogramm zur heutigen, immer schnelleren und hektischeren Zeit. Dass der Aufschwung ausgerechnet durch Kinder und Jugendliche (plus 47 Prozent seit 2000) verursacht wird, überrascht daher umso mehr. Schließlich ist der Nachwuchs durch die oft beeindruckend animierten Computerspiele optisch so verwöhnt, dass ein schlichtes Spiel wie Schach fast anachronistisch wirken muss.

Doch der Ingolstädter Theo Ritter, der Öffentlichkeitsreferent des Bayerischen Schachbundes, bestätigt, „dass wir in den letzten elf Jahren eine wahnsinnige Steigerung hatten“. Rund 1000 Aktive, davon ein gutes Drittel Nachwuchsspieler, spielen im Kreis Ingolstadt/Freising momentan Schach, gut 29 Prozent mehr als zur Jahrtausendwende. Ein erstaunlicher Trend, nachdem viele andere Sportarten einen kontinuierlichen Mitgliederschwund verzeichnen. „Wir stellen fest, dass uns vor allem die Jugendlichen ab der Mittelstufe immer stärker wegbrechen“, bestätigt auch Sandra Bösel, die beim Deutschen Olympischen Sportbund für die Statistik zuständig ist.

Den Grund für den Aufschwung im Nachwuchsbereich sieht Ritter vor allem darin, dass das Bayerische Kultusministerium im Jahr 2008 Schach in das Programm „Sport nach 1“ aufgenommen hat. In dem Kooperationsmodell zwischen Schule und Verein wird die Sportart laut Ritter unter anderem während der Nachmittagsbetreuung angeboten. Einziges Problem: Es gibt nicht genügend Vereinstrainer, die am frühen Nachmittag Zeit haben.

Ganz erstaunlichen Zulauf erleben aber auch schulische Arbeitsgemeinschaften wie die Schach-AG der Grundschule an der Münchner Straße in Ingolstadt. Gut 30 Kinder der ersten und zweiten Klasse haben sich für das freiwillige Wahlfach angemeldet und bleiben noch eine Schulstunde, wenn die Klassenkameraden bereits nach Hause gehen. Seit vier Jahren bietet Sabine Würz die AG an. Mit einem so großen Erfolg hatte die Lehrerin nicht gerechnet. „Ich war verblüfft. Die Kinder erleben dieses Spiel, weil es so vielseitig ist, als total interessant“, sagt sie. „Natürlich sind sie zunächst vor allem deshalb glücklich, weil sie eine Figur erobert haben. Mit der Zeit entwickeln sie dann die Strategien.“

Dass Schach immer dort boomt, wo es gefördert wird, hat sich laut Würz auch beim Schulschach-Kongress in Ettlingen bestätigt. 120 Lehrer lernten im November in Workshops verschiedene Methoden des Schachunterrichts kennen. In Hamburg, weiß Würz, wird Schulschach inzwischen sogar als Möglichkeit genutzt, das Profil der Schule zu schärfen. „Schulen, die Schach anbieten, haben mehr Zulauf“, sagt Würz.

Dabei ist es erstaunlich genug, dass sich Kinder freiwillig der Qual des ruhig Sitzens stellen. Für Erwachsene sind die positiven Nebeneffekte dieses Sports ohnehin klar. „Schach schult das Gedächtnis, fördert die Ausdauer und zwingt zu langer Konzentration“, weiß Ritter.

Doch auch im sonst so erfolgreichen Schachkreis Ingolstadt/Freising gibt es Probleme. Die Vereine in Manching und Reichertshofen haben sich aufgelöst. „Warum, da zermartern wir uns stundenlang die Köpfe“, sagt Ritter vom Bayerischen Schachbund. „Aber meistens ist es die Arbeit des Abteilungsleiters, die entscheidend ist. Die Moosburger beispielsweise standen kurz vor der Auflösung. Dann gab es einen neuen Abteilungsleiter und jetzt ist Moosburg der größte Verein im Kreis.“ Bleibt noch die Frage, ob das alte Klischee stimmt, nach dem vor allem vergeistigte Einzelgänger Schach spielen. Ritter lacht: „Nein, das ist totaler Unsinn. Bei unseren Kindern sind Engel und Bengel dabei. Manchmal haben wir auch richtige Rabauken im Training. Aber das kriegen wir schon hin.“ In mancher Beziehung gleicht Schach dann eben doch jeder anderen Sportart.