München
Wer lügt, ist nicht frei

Heinrich Manns Roman "Die Jagd nach Liebe" als Slapstick im Münchner Marstalltheater

28.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:46 Uhr

Schwabing ist kein Ort, sondern ein Zustand: Andrea Wenzl als Ute in „Die Jagd nach Liebe“ nach Heinrich Mann. - Foto: Horn

München (DK) Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg und die Umstände, die dazu geführt haben: Auf dem Buchmarkt, in Ausstellungen und Dokumentationen wird dieser „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ ausgiebig gedacht. So auch im Bayerischen Staatsschauspiel – mit der Dramatisierung von Heinrich Manns Roman „Die Jagd nach Liebe“ von 1903.

Schwabing zu der Zeit, als „München leuchtete“: Künstler und Lebenskünstler, behäbige Rentiers und reiche Söhnchen, die Schönen der Nacht und ihre Galane tummeln sich zwischen Ateliers und Varietés, zwischen dem Englischen Garten und den Wirtshaussälen von „Wahnmoching“ mit ihren ausgelassenen Faschingsfesten. Schwabing nicht als Ort, sondern als Zustand, wie Gräfin Franziska zu Reventlow „Münchens schönste Tochter“ einst charakterisierte und wie es Heinrich Mann in „Die Jagd nach Liebe“ ebenso süffisant wie kritisch aufspießte: Claude Marehn ist ein blasierter Jüngling und Millionenerbe nach dem frühen Tod seines Vaters. Von verarmten Gräfinnen und Tingeltangel-Mädels umschwärmt, gibt er sich dem Weltschmerz und dem Nihilismus hin, um zwischenzeitlich freilich auch das Leben mit echten und falschen Freunden (Tom Radisch und Simon Werdelis) zu genießen. Katerstimmung inklusive. Und neben einem unfähigen Theaterintendanten lässt Heinrich Mann einen ausgefuchsten Grundstückshai und Kapitalisten (Götz Argus als fies-feister Choleriker) als Claudes Vormund hier agieren, der mit seinem Geld alle gefügig zu machen versucht. Ein Stimmungsbild aus „Schwabylon“ der Belle Époque, ein mit viel Ironie durchpulstes Sittengemälde über das Schwabing der Boheme vor dem Ersten Weltkrieg mit reichlich Klischeefiguren hat Heinrich Mann (1871–1950) hier zu Papier gebracht, das die Schweizer Regisseurin Barbara Weber und die Dramaturgin Veronika Maurer zum Theaterstück formten. Doch in Barbara Webers Inszenierung bleibt die Bühnenfassung trotz aller munteren Regieeinfälle und der Rasanz im Spiel, trotz kunterbunten Allotrias und wüsten rhetorischen Duellen allzu papieren. Dazu ein Bühnenbild (von Sara Giancane) mit Plüschsofa, Kaffeehausmobiliar und Pappkulissen, schrägen Kostümen (von Pascale Martin) und einer in Goldbronze schillernden Nackten, die auf einer Diskokugel über der Arena schwebt. Alle rackern sich nach Kräften in köstlichen Persiflagen und aberwitzigen Slapstickeinlagen ab, doch die allzu grelle Überzeichnung der Figuren kann über die seichte Handlung ohne dramatischen Biss auch nicht hinwegtrösten.

Nächste Vorstellungen im Marstall: heute, 5. und 24. Mai, 21. Juni. Kartentelefon: (0 89) 21 85 19 40.