Neuburg
Wenn kleine Kämpfer aufgeben

Der Neuburger Verein für Familiennachsorge Elisa unterstützt Eltern, deren Kinder sterben müssen

03.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:21 Uhr

Ein scheinbar gesundes Mädchen. Nur der Schlauch aus der Nase lässt erahnen, dass die kleine Anna (Name geändert) todkrank ist. Wenige Monate später starb sie an einer Lungenentzündung. - Foto: privat

Neuburg (DK) Die Geschichte der kleinen Anna ist so unendlich traurig, dass sie so gar nicht in die Weihnachtszeit passen will, in der Menschen auf der ganzen Welt die Geburt eines Kindes feiern. Mit einer tödlichen Erbkrankheit geboren, starb das Mädchen mit nur 13 Monaten.

Im August 2012 freute sich Familie M. (Namen geändert) über Töchterchen Nummer vier. Anna war putzmunter. Nichts deutete auf eine Erkrankung hin. „Im November ist mir aufgefallen, dass sie ihre Beine nicht so bewegt“, erzählt ihre Mutter. „Sie hat auch nicht in meinen Haaren gespielt, wie meine anderen Töchter damals. Da ist es mir schon aufgefallen.“

Im Dezember stellten die Kinderärzte fest, dass Anna keine Reflexe in den Knien zeigt. Zuerst hoffte die Familie noch, Anna würde nur etwas länger brauchen, alles sei nicht so schlimm. Doch eine DNA-Untersuchung zerschlug alle Hoffnungen: Spinale Muskelatrophie Typ eins.

„Das ist eine vererbte Sache, angeboren“, erklärt der promovierte Kinderarzt Florian Wild. Beide Eltern müssen das defekte Gen in sich tragen. Wenn beide es weitergeben, erkrankt das Kind. „Die Zellen im Rückenmark, die die Muskeln steuern, gehen langsam kaputt.“ Die Muskeln werden immer schwächer, weil sie von den Nerven nicht mehr gesteuert werden – bis hin zu den Atemmuskeln. Schleim bildet sich und kann nicht abgehustet werden. Der Tod tritt bei Typ eins meist in den ersten beiden Lebensjahren ein.

„Es ist nicht behandelbar. Keinerlei Medikamente. Nichts“, sagt die Mutter. Schon sechs Monate nach Annas Geburt sahen sich ihre Eltern mit der grausamen Frage konfrontiert, ob sie ihr Baby künstlich beatmen sollen – oder nicht.

„Ohne Elisa hätten wir darüber nicht nachdenken können“, sagt Dorothea M. In der Kinderklinik hat die 36-Jährige eine Broschüre des Neuburger Familiennachsorgevereins gesehen. „Für schwerst-, chronisch- und krebskranke Kinder“, stand darauf. Die Spezialisierte Ambulante Pädiatrische Palliativ-Versorgung (SAPPV) wird darin vorgestellt. Bilder zeigen das Kriseninterventionsteam aus Ärzten, Kinderkrankenschwestern, Sozialpädagogen und einem Seelsorger. Ein anderes Foto zeigt ein Kindergrab.

„Wir hatten das Bedürfnis, uns helfen zu lassen“, erklärt Dorothea M. Magensonde, Morphingabe, Sauerstoffunterstützung: Bis zum Schluss pflegte Annas Familie die Kleine zu Hause. „Ich wusste ja, ich hab’ sie nur eine Zeit“, erklärt die 36-Jährige mit Tränen in den Augen. Sie würde das wieder daheim machen wollen: „Wir waren da. Auch als sie schon fast tot war.“ An einem Freitag im September bekam Anna Fieber, eine Lungenentzündung. Vater, Mutter und die zwölfjährige Tochter wachten an ihrem Bett, bis sie starb.

„Ich hasse den Tod. Und ich wollte das nicht. Und ich wollte damit nicht konfrontiert sein“, sagt die Mutter und weint. „Du musst Dich nicht entschuldigen“, sagt Renate Fabritius-Glaßner. Die Elisa-Geschäftsführerin hat bis heute Kontakt zur Familie – und Dorothea M. betont immer wieder, wie wichtig die Unterstützung in den dunklen Stunden gewesen sei.

„Egal, welche Fragen gestellt werden, wir werden offen darüber reden, aber auch nichts verschweigen“, erklärt Fabritius-Glaßner die Arbeit ihres Palliativ-Teams. Die Entscheidungen müssten die Eltern selbst treffen. „Aber wir versuchen, sie dafür stark zu machen.“ Immerhin gebe es auf dem Weg des Abschieds ganz viele Zweifel. „Wir wussten zum Beispiel gar nicht, dass wir das Recht haben, unser Kind zu Hause zu pflegen“, sagt Dorothea M. Auch bei vielen anderen rechtlichen Fragen oder beim Briefverkehr mit Versicherungen halfen die Elisa-Mitarbeiter, kümmerten sich auch um die drei älteren Töchter, zehn, zwölf und 18 Jahre alt.

Von diesen spezialisierten Kinder-Palliativ-Teams gibt es laut Renate Fabritius-Glaßner nur sechs in Bayern. Elisa hilft von der ambulanten Kinderkrankenpflege bis zur Schulbegleitung behinderter Schüler – und zwar in der ganzen Region 10. Das Problem: Die erbrachten Leistungen würden nur zum Teil von den Krankenkassen getragen, erklärt Renate Fabritius-Glaßner. Deshalb ist die Organisation auf Spenden angewiesen.