München
Wenn Kinder Mobilmachung spielen

Das Bayerische Hauptstaatsarchiv in München zeigt Dokumente zum Ersten Weltkrieg

23.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:26 Uhr

Deutsche Kriegspostkarte um 1914 – die französischen Soldaten in ihren veralteten rot-blauen Uniformen werden hier als Angsthasen dargestellt. - Foto: Katalog

München (DK) „Eine Mobilmachung hält man nicht auf.“ An diese Haltung der Militärs im August 1914 erinnert Gerhard Hetzer, Direktor im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, inmitten einer Ausstellung unter dem Titel „Krieg! Bayern im Sommer 1914“. Denn es war Sommer, die Herren trugen Strohhüte, und an den Litfaßsäulen wurde für Froschfett geworben, das Soldatenstiefel weich macht.

Wie erzählt man heute diesen Krieg, der unter Historikern als „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird? Wie bringt man die Stimmung der Menschen von damals in unseren Tagen zum Klingen? Kein leichtes Unterfangen.

Das von Leo von Klenze gebaute Haus, in dem heute eine Fülle von Dokumenten, Plakaten, Postkarten, Landkarten und Fotografien gezeigt wird, war damals Bayerisches Kriegsministerium. Im hinteren Gebäudeteil saß die Zensurbehörde, die alle Veröffentlichungen genehmigen oder verbieten musste. Feldpostkarten wurden gedruckt, denn der Erste Weltkrieg ist auch der Beginn einer neuen Form von Massenkommunikation. Und Plakate verunglimpften den Gegner oder riefen zur Solidarität mit der eigenen Armee auf. Bekannt sind die Aufnahmen von Eisenbahnzügen, in denen lachende Soldaten aus den Fenstern winken und zur Front fahren. Die bayerische Armee kämpfte zunächst bei Saarburg im deutschen Lothringen, dem heutigen Sarrebourg. Die Frontlinie erstreckte sich schließlich auf 750 Kilometern Länge in einem hügeligen, bewaldeten Gebiet, und in den ersten Wochen starben 17 000 bayerische Soldaten – ein teuer erkaufter Sieg in Lothringen. Welche Einzelschicksale sich hinter diesen Zahlen verbergen, wird vor allem in der Hörstation der Ausstellung nachvollziehbar, wo Zeitzeugen-Interviews aus den 1960er Jahren das Geschehen lebendig werden lassen – etwa der Lazarett-Bericht einer Krankenschwester. Zugleich wird hörbar, dass Lieder wie die „Wacht am Rhein“ oder „Ich hatt’ einen Kameraden“ damals aktuell waren, aber bis heute zum aktiven Liedschatz bestimmter Bevölkerungsgruppen gehören.

Die Zivilbevölkerung, auch das deutet die Ausstellung an, musste in jenen Jahren den Krieg finanzieren, indem Frauen beispielsweise ihren Goldschmuck in Eisen umtauschten oder durch den Kauf von Kriegsanleihen, die 1918 kaum noch einen Wert besaßen. Zugleich litten die Menschen Hunger, weil Deutschland von notwendigen Importen abgeschnitten war. Kinder sollten Obstkerne in die Schule mitbringen, aus denen Fette und Öle hergestellt werden sollten.

Angesichts dieser Dokumente ist eine Aufnahme vom August/September 1914 im ersten Raum der Ausstellung eindrücklich: Da ziehen Kinder mit ernstem Gesicht durch München, auf dem Kopf ausgeliehene Pickelhauben, in den Händen Fahnen und Trommeln. Sie spielen den Auszug der Soldaten nach, wie heutzutage in den Hinterhöfen von Kriegsgebieten Kinder mit Gewehren spielen. Manche dieser jungen Münchner von 1914 werden ihren Vater nicht mehr wiedergesehen haben. Und manche, die da barfuß für den unbekannten Fotografen still stehen, werden 15 Jahre später in den Zweiten Weltkrieg gezogen sein.