Ingolstadt
Wenn es draußen so richtig kalt wird

Eisige Nächte stehen in den kommenden Tagen an - Bruder Martin ist in der Straßenambulanz vorbereitet

11.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:50 Uhr

Ein Bett für die Nacht: Egal ob Winter oder Sommer, das Notlager der Straßenambulanz ist meistens voll. Für den Winter hat Bruder Martin viele Hilfsbedürftige in Pensionen unterbringen können. - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Für diese Woche sind Nächte mit bis zu minus acht Grad angekündigt. Kein Wetter, bei dem man sich gerne im Freien aufhält. Obdach und weitere Hilfe finden Wohnungslose bei Bruder Martin. Ein Besuch bei ihm in der Straßenambulanz St. Franziskus.

Zwei Stockbetten stehen in dem kleinen Zimmer. Die vier Schlafplätze sind sauber, Kissen und Bettdecke akkurat und ordentlich gefaltet. "Ordnung ist sehr wichtig hier", erzählt Bruder Martin. Und das halten die Männer und Frauen, die in der Notschlafstätte der Straßenambulanz übernachten, auch ein. Seit Februar 2005 befindet sich die Einrichtung in direkter Nähe zum Rathaus. "Wir sind froh, dass wir so mittig in der Stadt liegen", sagt er. Das macht die häufigen Wege zu Behörden sehr kurz. Wenn einer der Hilfesuchenden keinen gültigen Pass mehr hat, ist das Bürgeramt direkt um die Ecke. Fehlt ein Passfoto, befindet sich in der Straße nebenan ein Fotogeschäft. "Wir stellen auch immer mal fest, dass jemand Diabetes oder Bluthochdruck hat", erzählt Bruder Martin. "Deshalb ist es auch gut, Ärzte und Apotheken in der Nähe zu haben. Es ist ganz wichtig, gut vernetzt zu sein."

Für die kalten Wintermonate sorgen Bruder Martin und sein Mitarbeiter Oliver Markgraf natürlich vor. An warmer Kleidung mangelt es nicht. "Einmal im Jahr bekommen wir vom Amadeus mehrere Säcke mit Anoraks, die dort liegen gelassen und vergessen wurden", erzählt er. Ihn wundere es manchmal, wie viel in der Innenstadt-Disco hängen bleibe. Manches kaufen sie aber auch selber, zum Beispiel Handschuhe. "Und es gibt Frauen, die das ganze Jahr über Socken für uns stricken."

Doch nicht nur an warmer Kleidung soll es im Winter nicht mangeln. "Wir sind bemüht, schon im Herbst für die Menschen Pensionen zu finden, in denen sie unterkommen können. Dann haben sie für die kalten Tage ein Zimmer", sagt Bruder Martin. Denn es gebe einfach zu wenig Wohnraum in Ingolstadt. Schon ein Normalverdiener habe kaum eine Chance, hier eine Wohnung zu finden. "Beim sozialen Wohnungsbau liegt wie in anderen Städten viel im Argen", sagt er. Trotzdem habe er im vergangenen Herbst für viele - vor allem junge Leute - eine Bleibe gefunden. Die Miete bezahle dann das Jobcenter.

Eines fällt ihm in den vergangenen Jahren immer mehr auf. "Die Menschen, die zu uns kommen, werden immer jünger", erzählt der Bruder. Die meisten sind zwischen 18 und 35 Jahre alt. Woran das liegt? "Wir haben uns in eine Ellenbogengesellschaft entwickelt. Die Leute sind sehr karriereorientiert. Da bleiben manche auf der Strecke." Immer erreichbar sein, steigender Leistungsdruck in den Betrieben: Das führe auch zu immer mehr psychischen Erkrankungen. Und manche packen diesen Leistungsdruck einfach nicht.

Es klingelt an der Tür. Kurze Unterbrechung. Der Postbote bringt einen Stapel Briefe. Ein Teil davon ist nicht an Bruder Martin adressiert. "Viele Obdach- und Wohnungslose haben keine feste Wohnadresse", erzählt er. "Deshalb kommen die Briefe hierher, und die Leute können sie sich dann abholen."

Bruder Martin und Oliver Markgraf haben gut zu tun. "Wir arbeiten jeden Tag etwa 12 bis 13 Stunden", erzählt Martin Berni. 80 bis 100 Leute sind über den Tag verteilt in der Einrichtung. Für diejenigen, die übernachtet haben, gibt es morgens immer Frühstück. Neben dem einen Zimmer mit den zwei Stockbetten sind noch weitere Räume vorhanden, die man zu Schlafräumen umfunktionieren kann. "Es wird hier viel miteinander gemacht", erzählt Bruder Martin. Konflikte gebe es hingegen nur sehr selten. Anfangs stand noch ein Fernseher im Gemeinschaftsraum, aber immer weniger hat es die Besucher interessiert, was "in der Glotze" läuft. Deshalb steht an dieser Stelle jetzt ein Aquarium. "Die Leute spielen lieber Gesellschaftsspiele." In den kalten Wintermonaten bleiben die Menschen auch über den Tag länger in der Unterkunft. "Draußen wäre es für sie zu kalt", sagt er.

Dass Bruder Martin seine Aufgabe Spaß macht, wird einem klar, je mehr man sich mit ihm unterhält. Er mag es, Menschen zu helfen und ihnen eine neue Perspektive in ihrem Leben geben zu können. Mit Freude erzählt er von einem jungen Punker, der gerne Koch werden wollte, mit der Schnelligkeit und dem Druck in der Küche anfangs aber überfordert war. "Über Umwege hat er mittlerweile eine Ausbildung zum Beikoch abgeschlossen und macht gerade eine Lehre zum Koch." Doch er sieht auch immer wieder Schicksale, in denen es nicht so glücklich läuft. "Viele haben es schon x-mal probiert und sind gescheitert. Für sie müssen wir eine Alternative finden", sagt Bruder Martin mit Nachdruck.

Die Argumentation, eine Einrichtung wie seine würde solche Leute gerade erst in die Innenstadt ziehen, weist er zurück. "Wir haben die Menschen nicht arbeitslos gemacht", sagt er. Jedoch: "Wir leben in einer sehr reichen Stadt. Aber so wie die Stadt wohlhabender wird, gibt es auch Menschen, die davon abgehängt werden. Aber auch sie sind ein Teil unserer Gesellschaft."

Manchmal sieht er seine Arbeit als ein Fass ohne Boden. Hat er gerade einem geholfen, auf die Beine zu kommen, steht der Nächste vor der Tür. "Wir suchen schon länger einen weiteren Mitarbeiter", erzählt er. Bruder Martin und Oliver Markgraf werden auch weiterhin für die Armen der Gesellschaft da sein. "Wir wollen den Heimatlosen hier eine Heimat geben", sagt er. Damit keiner nachts erfrieren muss, legt Bruder Martin Zettel aus, um an seine Notunterkunft hinzuweisen. Er weiß, wo sich die Bedürftigen normalerweise aufhalten. So kann er sich sicher sein, dass diejenigen, die nachts einen warmen Platz zum Schlafen brauchen, ihn jetzt auch finden werden.